Wirtschaftskrisen

»Akkumulation von
Reichtum einerseits und von Armut andererseits«, so faßte
Marx die Entwicklung des Kapitalismus zusammen.

Jeder Kapitalist fürchtet
die Konkurrenz des anderen, deshalb treibt er seine Beschäftigten
so hart wie möglich an, deshalb zahlt er ihnen einen möglichst
geringen Lohn.

Das Resultat ist ein
Mißverhältnis zwischen dem ungeheuren Wachstum der
Produktivkräfte auf der einen Seite und einem begrenzten
Wachstum der Löhne und der Anzahl der beschäftigten
Arbeiter auf der anderen Seite. Das ist nach Marx die grundlegende
Ursache für die Wirtschaftskrisen.

Das läßt sich
sehr einfach erklären: Wer kauft die wachsende Menge der Waren?
Die niedrigen Löhne der Arbeiter machen es unmöglich, daß
sie es sich leisten könnten, die von ihnen selbst hergestellten
Güter auch zu kaufen. Und die Kapitalisten können die Löhne
nicht entsprechend erhöhen, weil das ihren Profit zerstören
würde, die treibende Kraft des Systems.

Aber wenn die Firmen die
Waren, die sie herstellen, nicht verkaufen können, müssen
sie Fabriken stillegen und Arbeiter entlassen. Die Gesamtmasse der
Löhne verringert sich dann noch mehr und weitere Fabriken können
ihre Waren nicht mehr verkaufen. Eine Überproduktionskrise
entsteht. Berge von Waren häufen sich in der ganzen Wirtschaft
an, die die Menschen sich nicht leisten können.

Das war ein immer
wiederkehrendes Merkmal der kapitalistischen Gesellschaft in den
letzten 160 Jahren.

Aber ganz gewitzte
Verteidiger des Systems werden nun rasch eine einfache Lösung
für die Krise anbieten. Die Kapitalisten brauchen nur ihre
Profite in neuen Fabriken und Maschinen anzulegen, dann werden mehr
Arbeiter eine Stelle finden, die dann ihrerseits wieder mehr Geld
haben und so die unverkauften Waren kaufen können. Mit anderen
Worten: Solange es Neuinvestitionen gibt, können alle
hergestellten Waren verkauft werden, und das System kann die
Vollbeschäftigung sichern.

Marx war kein Narr, der das
übersehen hätte. Wie wir bereits festgestellt haben, gibt
es geradezu einen Zwang für die Kapitalisten, ständig neue
Investitionen zu machen, weil sie sonst durch die Konkurrenz aus dem
Rennen geworfen werden. »Aber heißt das auch, daß
die Kapitalisten tatsächlich ihre Profite ständig und
fortwährend investieren werden?«
, fragte er sich.

Der Kapitalist wird nur
dann investieren, wenn er die Garantie auf einen "vernünftigen"
Profit sieht.

Wenn er nicht mit einem
entsprechenden Profit rechnen kann, wird er das Risiko, sein Geld zu
investieren, nicht eingehen. Er wird es stattdessen auf die Bank
legen und dort lassen.

Ob der Kapitalist
investiert oder nicht, hängt davon ab, wie er die
wirtschaftliche Lage einschätzt. Wenn die Lage gut aussieht,
stürzen sich alle Kapitalisten gleichzeitig auf neue
Investitionen, fallen übereinander her bei der Suche nach neuen
Bauplätzen, beim Kauf neuer Maschinen, bei der Suche nach neuen
Rohstoffquellen in allen Teilen der Welt und sind sogar bereit,
höhere Löhne für knappe Facharbeitskräfte zu
bezahlen.

Das nennt man gewöhnlich
den Boom oder die Hochkonjunktur.

Aber der irrsinnige
Wettlauf um Bauland, Rohstoffe und Facharbeiter treibt die Preise in
die Höhe, plötzlich entdecken einige Firmen, daß ihre
Kosten so stark angestiegen sind, daß all ihre Profile zunichte
sind.

Der Investitionsboom weicht
ganz plötzlich einer Investitionskrise. Niemand will mehr neue
Fabriken – Bauarbeiter werden entlassen. Niemand will mehr neue
Maschinen – die Maschinenbauindustrie gerät in eine Krise.
Niemand will mehr das ganze Eisen und den Stahl kaufen – die
Stahlindustrie ist plötzlich nicht mehr voll ausgelastet und
wirft nicht mehr genügend Profit ab. Stillegungen und
Schließungen springen von einem Industriezweig zum nächsten
über, Arbeitsplätze werden vernichtet und mit ihnen die
Kaufkraft der Arbeiter, um die Waren anderer Industriezweige zu
kaufen.

Die Geschichte des
Kapitalismus ist eine Geschichte solcher periodischer Pendelschläge
in die Krise, in den Wahnsinn, wo arbeitslose Arbeiter hungrig vor
stilliegenden Fabriken stehen und unverkaufbare Warenberge
dahinrotten.

Der Kapitalismus bringt die
Überproduktionskrisen in regelmäßigen Abständen
hervor, weil es keine Planung gibt. Daher gibt es auch keine
Möglichkeit, die panikartigen Bewegungen des Kapitals rein in
die Investitionen und wieder heraus zu stoppen.

Viele dachten, daß
der Staat dazu in der Lage sei. Durch sein Eingreifen in die
Wirtschaft könne der Staat selbst investieren, wenn die
Privatinvestitionen niedrig wären und seine Investitionen wieder
zurückschrauben, wenn die Privatinvestitionen wieder anzögen.
Der Staat könne so die Produktion auf einer gleichen Höhe
halten. Aber heutzutage sind Staatsinvestitionen selbst diesen
verrückten Schwankungen unterworfen.

Nehmen wir als Beispiel die
deutsche Stahlindustrie. Vor ein paar Jahren wurden im Ruhrgebiet und
an der Saar zehntausende Stahlarbeiter entlassen, mit Hilfe
staatlicher Investitionsprogramme. Damals wurde eine Reihe von großen
Stahlbetrieben zusammengelegt, andere wurden stillgelegt. Stattdessen
sollten neue, noch modernere, arbeitskräftesparende
Produktionsanlagen aufgebaut werden. Für diese Zwecke gab die
Regierung riesige Investitionskredite an private Firmen. Mehr Stahl
sollte so billiger hergestellt werden.

Heute heißt es, daß
wieder Tausende von Arbeitern ihre Arbeitsplätze verlieren
sollen, weil die deutsche Stahlindustrie nicht die einzige war, die
rationalisiert hat, die riesige Anlagen aufbaute. Frankreich,
England, die USA, Brasilien, Osteuropa und sogar Südkorea
machten alle einen weltweiten Überschuß an Stahl – eine
Überproduktionskrise. Die Stahlinvestitionen werden beschnitten.

Das ist der Preis, den die
Menschheit bis zum heutigen Tag für ein Wirtschaftssystem
bezahlen muß, das einer kleinen privilegierten Gruppe, die nur
am Profit interessiert ist, Reichtümer gibt. Es macht keinen
Unterschied, ob diese Gruppe die Industrie direkt kontrolliert oder
indirekt, wie zum Beispiel die staatlichen Unternehmen VW und Veba.
Sie benutzen ihre Verfügungsgewalt über die Industrie dazu,
miteinander um den größten Anteil des Profits zu
konkurrieren, und die Arbeiter haben währenddessen die Folgen zu
erleiden.

Der eigentliche Wahnsinn
dieses Systems liegt darin, daß die "Überproduktionskrise"
gar keine ist: All die "überschüssigen" Mengen an
Stahl könnten helfen, den Welthunger zu beseitigen. Bauern in
vielen Teilen der Welt beackern bis zum heutigen Tag ihre Äcker
mit hölzernen Pflügen – Stahlpflüge würden die
Nahrungsmittelproduktion steigern. Aber diese Bauern haben kein Geld,
deshalb interessiert das die Kapitalisten nicht – da ist kein Profit
zu holen.

Warum sich Krisen
verschärfen

Wirtschaftskrisen kommen
und gehen mit monotoner Regelmäßigkeit. Aber sie werden
mit der Zeit auch immer schlimmer.

Selbst wenn es bei den
Investitionen keine Schwankungen nach oben und unten gäbe und
sie beständig in gleicher Höhe vorgenommen würden,
änderte dies nichts am allgemeinen Trend zur Krise.

Der Grund dafür liegt
in der Konkurrenz unter den Kapitalisten und den kapitalistischen
Nationen, die sie dazu zwingt, arbeitskräftesparende Anlagen
anzuschaffen. Die meisten Investitionen heute in der BRD werden
gemacht, um die Zahl der beschäftigten Arbeiter zu senken.
Deshalb gibt es jetzt weniger Industriearbeiter als vor zehn Jahren.
Obwohl sich die Industrieproduktion in der Bundesrepublik zwischen
1970 und 1980 um etwa ein Drittel erhöht hat, ist die Zahl der
Industriearbeiter im gleichen Zeitraum von 12,2 um mehr
als eineinhalb Millionen Arbeiter auf 10,8 Millionen gefallen.

Nur durch die
Rationalisierung der Produktion, durch Erhöhung der
Produktivität und durch den beständigen Abbau der
beschäftigten Arbeitskräfte kann ein Kapitalist heute sein
Stück vom Kuchen vergrößern. Aber das Ergebnis ist
für das gesamte System verheerend. Denn es bedeutet, daß
die Zahl der Arbeiter sich nicht annähernd so rasch vermehrt wie
die Investitionen.

Aber die Arbeit ist die
Quelle des Profits, die Energie, die das System am Leben
erhält.

Wenn die
Investitionen größer und größer werden, ohne
daß es eine entsprechende Ausdehnung der Quelle des Profits
gibt, ist der Zusammenbruch schon vorprogrammiert.

Deshalb hat Marx vor über
100 Jahren vorausgesagt, daß gerade der Erfolg des
Kapitalismus, riesige Investitionen in der Form neuer Anlagen
anzuhäufen, einen tendenziellen Fall der Profitrate mit sich
bringen müßte und damit auch die sich ständig
verschärfenden Krisen.

Seine Behauptung kann sehr
einfach auf den heutigen Kapitalismus übertragen werden. An die
Stelle des früheren Auf und Ab der Konjunktur, des ständigen
Wechsels von Krise und Aufschwung, tritt die weltweite, nicht enden
wollende Krise. Selbst in der Bundesrepublik, die gern als
mustergültiges Land des Wachstums hingestellt wird, hat sich die
Wirtschaft seit der Krise von 1974 nicht mehr richtig erholt. Die
Konjunkturaufschwünge sind flacher und kürzer geworden. Sie
reichen auch nicht mehr aus, um die Arbeitslosigkeit wesentlich
abzubauen.

Die Anhänger des
Systems führen das darauf zurück, daß die
Investitionen nicht hoch genug waren. Ohne neue Investitionen gebe es
keine neuen Arbeitsplätze und ohne neue Arbeitsplätze dann
auch kein Geld, um neue Waren zu kaufen. Soweit können wir
zustimmen, aber wir stimmen nicht überein mit ihrer Erklärung,
warum das so ist.

Sie geben den Löhnen
die Schuld. Die Löhne seien zu hoch, sagen sie, und das bedrohe
die Profite im innersten Mark. Die Kapitalisten fürchten sich,
zu investieren, weil sie keine Garantie für eine "ausreichende
Entschädigung" mehr sehen.

Aber die Krise dauert jetzt
schon über zehn Jahre, in denen der Lebensstandard der Arbeiter
durch die Regierungspolitik beschnitten und die Profite hochgetrieben
wurden.

Die Arbeiterklasse ist zwar
heute zahlenmäßig größer als 1974, aber ihr
Anteil am gesellschaftlichen Reichtum ist gesunken. Die Reichen sind
noch reicher geworden – ihr Anteil am Volkseinkommen ist seit 1974
beträchtlich gestiegen.

Trotzdem gibt es immer noch
nicht genügend Investitionen, um die Krise zu überwinden,
und das gilt nicht nur für die Bundesrepublik, sondern erst
recht für Großbritannien, für Frankreich und auch für
Japan.

Wir wollen besser darauf
hören, was Karl Marx vor 100 Jahren gesagt hat, anstatt jenen zu
glauben, die heute den Kapitalismus verteidigen.

Marx sagte voraus, daß
die Krisen des Kapitalismus mit seiner Dauer sich notwendig
verschärfen müßten, weil die Quelle des Profits, die
Arbeit, bei weitem nicht so rasch wächst wie die Investitionen,
die notwendig sind, um die Arbeiter zu beschäftigen. Marx
schrieb zu einer Zeit, als der Wert der Fabrik und der Maschine, der
notwendig war, um die Arbeiter zu beschäftigen, noch ziemlich
niedrig war. Er ist seitdem in die Höhe geschnellt, und heute
kostet ein Arbeitsplatz oft 100.000 DM und mehr.

Die Konkurrenz hat die
Firmen gezwungen, noch größere Anlagen und noch teurere
Maschinen aufzubauen. Der Zeitpunkt ist längst erreicht, wo in
den meisten Industriezweigen die Neuanschaffung von Maschinen
gleichgesetzt wird mit dem Abbau von Arbeitskräften.

Die Arbeitsplätze in
den wichtigsten Industrieländern der Welt werden in den nächsten
Jahren weiter abnehmen, selbst wenn es durch irgendein Wunder noch
einmal zu einem Investitionsaufschwung kommen sollte.

Dazu wird es aber nicht
kommen. Weil die Kapitalisten sich sehr genau überlegen, ob ihre
Geldanlage Profit bringt oder nicht, und wenn sich ihre Investitionen
vervierfachen, ihre Gewinne aber nur verdoppeln, dann geraten sie
schon ganz aus dem Häuschen. Eben das geschieht aber, wenn die
Industrie rascher wächst als die Quelle des Profits, die Arbeit.

Die Profitrate wird
tendenziell fallen, sagte Marx. Er sagte voraus, daß ein
Zeitpunkt erreicht werde, wo jede neue Investition als gefährliches
Abenteuer erscheine. Die Ausgaben für eine neue Anlage und neue
Maschinen würden dann kolossal sein, aber die Profitrate wäre
zugleich niedriger als je zuvor. Wenn dieser Punkt erreicht sei,
würden die einzelnen Kapitalisten (oder kapitalistischen
Staaten) Pläne für riesige neue Investitionen schmieden –
aber sich zugleich davor fürchten, diese Pläne zu
verwirklichen, weil sie Angst vor dem Bankrott hätten.

Die Weltwirtschaft von
heute nähert sich diesem Zeitpunkt. Der britische
Automobilkonzern Leyland plant neue Produktionsanlagen für einen
neuen "Mini" – aber fürchtet, daß er dabei
Verluste macht. Die Spitzen der deutschen Stahlkonzerne träumen
von neuen modernen Anlagen – können aber den Stahl, den sie
bereits mit den alten herstellen, nicht mehr verkaufen. Die
japanischen Schiffsbauer und Werften haben es aufgegeben, in neue
Werften Geld zu investieren – einige müssen sogar geschlossen
werden.

Gerade der Erfolg des
Kapitalismus bei der Entwicklung und beim Einsatz ständig
riesigerer und produktiverer Maschinen hat das System an den Punkt
einer Dauerkrise gebracht.

In den
Sklavengesellschaften des Altertums und in den feudalen
Gesellschaften des Mittelalters gab es jeweils einen Zeitpunkt, wo
die Gesellschaft entweder durch eine Revolution auf eine neue Stufe
gehoben wurde oder in einer Dauerkrise steckenblieb, die eine
Rückwärtsentwicklung einleitete.

Im Fall von Rom hatte das
Ausbleiben einer Revolution gerade die Zerstörung der römischen
Kultur und den Einbruch des "dunklen Mittelalters" zur
Folge.

Im Fall einiger
Feudalgesellschaften, erst in England und später auch in
Frankreich, zerstörten Revolutionen die alte morsche Ordnung und
legten so die Grundlagen für einen neuen gesellschaftlichen
Fortschritt, den Kapitalismus.

Heute steht der
Kapitalismus seinerseits vor dem Scheideweg zwischen einer
Dauerkrise, die die Menschheit schließlich durch Armut und
Krieg in die Barbarei zurückschleudern wird, oder einer
sozialistischen Revolution.

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