Der Siemens-Konzern lässt seine Arbeiter für die weltweite Wirtschaftskrise zahlen. Stefan Bornost erklärt wie und was wir dagegen tun können.
Siemens global, unsozial, neoliberalSiemens ist einer der größten multinationalen Konzerne und der drittgrößte Konzern in Deutschland. Nach Umsatz und Mitarbeiterzahlen zählt Siemens zu den sechs größten Unternehmen der Weltelektronikindustrie. Siemens ist auch der größte Atomkonzern der Welt. |
Steckt Siemens in der Krise?
Siemens hat 2003 einen Rekordgewinn von 2,4 Milliarden Euro erzielt. Die Gewinnvorhersage für 2004 liegt bei 2,7 Milliarden Euro. Damit hätte Siemens zum dritten Mal in Folge den höchsten Gewinn der Firmengeschichte.
Siemens-Chef von Pierer hat angekündigt, andere Großkonzerne übernehmen zu wollen. Auf der Einkaufliste steht unter anderem der französische Atomkonzern Alstom. Dafür hat Siemens Rücklagen in Höhe von 5,8 Milliarden Euro angehäuft.
Wegen der rot-grünen Steuerreform zahlt Siemens keine Steuern. Im Gegenteil: Letztes Jahr steuerte das Finanzamt 329 Millionen Euro zum Konzerngewinn bei.
Schon vor der Steuerreform hat Siemens vom Staat dreimal mehr Subventionen bekommen, als das Unternehmen Steuern zahlte.
Wenn der Konzern Profit macht, warum greift er dann die Beschäftigten an?
Der globale Wettbewerb zwischen den Konzernen hat sich dramatisch verschärft besonders im Informationstechnologie (IT)-Bereich, in dem Siemens einer der führenden Hersteller ist. Anfang der 90er haben so genannte Experten ein beinahe unbegrenztes Wachstum des IT-Bereiches vorhergesagt. In der New Economy herrschte Goldgräberstimmung.
Siemens und seine Konkurrenten investierten Milliarden in die Produktion von Computerchips und Handys. 1997 hat Siemens Computerchips im Wert von 8,5 Milliarden Euro verkauft ein Siebtel des weltweiten Konzernumsatzes. Der Konzern beschäftigte 60.000 Menschen in diesem Bereich.
In Hoffnung auf mehr Profite erhöhten die IT-Firmen die Produktion. Die Aktienpreise stiegen, weil die Anleger zukünftige Gewinne erwarteten. Die hohen Aktienkurse ermöglichten es Konzernen wie Siemens, Schulden aufzunehmen, um ihre Produktion weiter zu erhöhen.
1997 zerplatzten die Träume vom ewigen Wachstum. Die Aktienkurse brachen ein, weil mehr Chips auf dem Markt waren, als verkauft werden konnten. In Asien begann eine weltweite Finanzkrise. 1998 sanken die Preise für Speicherchips um 60 Prozent, bei einigen Chiparten sogar um 95 Prozent. Siemens verkaufte eilig seine Chip-Produktion und entließ zehntausende Arbeiter.
Anders als bei Chips ist Siemens nicht aus der Handyproduktion ausgestiegen. Kamp-Lindfort und Bocholt die beiden Siemens-Werke, welche die 40-Stunden-Woche durchgesetzt haben, produzieren Handys.
Doch auch der weltweite Handymarkt ist mittlerweile gesättigt. Marktforscher gehen davon aus, dass weltweit insgesamt 550 Millionen Handys verkauft werden können. Die tatsächliche Produktion liegt 150 Millionen Handys drüber Tendenz steigend. Der finnische Marktführer Nokia möchte nächstes Jahr seinen Markanteil um 10 Prozent erhöhen und steigert die Produktion, um seine Konkurrenten durch geringere Stückkosten unterbieten zu können.
Um in diesem Unterbietungswettbewerb gegenüber seinen Konkurrenten zu bestehen, muss auch Siemens die Preise senken. Deshalb hat der Konzern die Löhne gesenkt und die 40-Stunden-Woche eingeführt.
Werden Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerung die Siemens-Jobs retten?
Nein. Die Konkurrenten von Siemens, Nokia und der amerikanische Konzern Motorola haben angekündigt, ihrerseits den Gewinn pro Beschäftigten im nächsten Jahr zu erhöhen. Schon im letzten Jahr mussten die Nokia-Beschäftigten reale Lohnkürzungen von 2, 7 Prozent hinnehmen. Motorola hat in den letzten drei Jahren nicht nur tausende Mitarbeiter entlassen, sondern auch die Arbeitszeit um mehr als drei Stunden erhöht.
Die Siemens-Beschäftigten haben durch die 40-Stunden-Woche nichts gewonnen, außer einer kurzen Atempause. Die erhöhte Ausbeutung der Arbeiter verschafft dem Konzern nur einen kurzfristigen Wettbewerbsvorteil, weil der Markt insgesamt nicht größer wird. Die Konkurrenten werden dieselben Einschnitte auch von ihren Arbeitern fordern.
Ohne Gegenwehr der Belegschaften gibt es nur eine Grenze, die dieser Ausbeutungsspirale nach unten gesetzt ist: die Leistungsgrenze des menschlichen Körpers. Der Siemens-Konzern hat schon in seiner Vergangenheit bewiesen, das er bereit ist, an diese Grenze zu gehen, um Profit zu machen: Im Zweiten Weltkrieg haben zehntausende Zwangsarbeiter bei Siemens gearbeitet viele wurden regelrecht zu Tode gearbeitet.
Das Siemens-Management hat seinen Beschäftigten mit Standortverlagerung gedroht. Was ist dran an dieser Drohung?
Der Siemens-Konzern ist international organisiert in Deutschland sind 170.000 Menschen beschäftigt, im übrigen Europa 108.000. In Nordamerika sind es 87.000, in Asien 44.000 und im Rest der Welt 8.000.
1991 haben 243.000 Menschen bei Siemens in Deutschland gearbeitet. Damals hatte der Konzern weltweit 402.000 Beschäftigte, heute sind es 417.000. Die Zahl der Beschäftigten steigt weltweit, während sie in Deutschland sinkt. Die Produktionsverlagerung ist Realität.
Falsch ist die Behauptung, dass zu hohe Lohnkosten und zu niedrige Arbeitszeiten der Hauptgrund für Verlagerungen sind. Damit versuchen die Unternehmer die Arbeiter zu erpressen.
Der Lohnkostenanteil bei der Siemens-Handyproduktion liegt bei 2 Prozent. Selbst eine Lohnerhöhung um 10 Prozent würde die Handys nur um 0,2 Prozent verteuern.
Das ist nichts im Vergleich zu anderen Faktoren wie zum Beispiel Wechselkursschwankungen. Seit seiner Einführung ist der Euro gegenüber dem Dollar um 6 Prozent gestiegen und damit die Preise für Importe von Deutschland in die USA. Das würde einer Lohnerhöhung von 300 Prozent entsprechen. Tatsächlich stagnieren die Löhne in Deutschland sei Jahren.
Konzerne verlagern ihre Produktion, um diese Wechselkurschwankungen zu umgehen und näher am Absatzmarkt zu produzieren.
Die ständige globale Neuorganisierung der Produktion ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hat Siemens, einer der ersten weltweit operierenden Konzerne, mehr als 20 Prozent seiner Arbeiter im Ausland beschäftigt.
Dieser Vorgang ist weder aufzuhalten noch an sich problematisch. Problematisch ist, wenn sich die Gewerkschaften durch die Verlagerungsdrohung erpressen lassen und Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung zustimmen. Damit geben sie den Standortlügen der Unternehmer Recht, anstatt sie als Propaganda zu entlarven.
Was ist die Alternative?
Die Arbeiter müssen sich genauso international organisieren wie die Konzerne selbst. Dann schaffen es die Konzerne nicht mehr, die Belegschaften gegeneinander auszuspielen. Ein Weltbetriebsrat hätte bei Siemens mit einem internationalen Streik an allen Standorten drohen können. Ein alter Grundsatz der Gewerkschaftsbewegung lautet: Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.
Das erfordert ein grundsätzliches Umdenken in der Gewerkschaftsbewegung. Jahrzehntelang haben sich Gewerkschaften als Sozialpartner ihrer nationalen Konzerne verstanden. Was gut ist für Siemens, ist auch gut für die Siemensarbeiter das war der Leitgedanke.
Unter den Umständen weltweiter Krise ist das Gegenteil der Fall. Siemens geht es nur gut, wenn es den Siemens-Arbeitern schlecht geht in Deutschland und weltweit. Deshalb ist die Organisation der Solidarität der Arbeiter auf internationaler Ebene der richtige Weg und nicht die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Landes.
Nur durch internationale Solidarität können Arbeiter eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse verhindern. Der ständige Kreislauf von Konkurrenz um Profite, mörderischem Wettbewerb und verheerenden Krisen ist damit noch nicht gebrochen. Dieser Irrsinn endet erst, wenn Konzernherren wie Heinrich von Pierer die Kontrolle über ihre Fabriken und Büros entrissen wird und der unermessliche Reichtum dieser Welt denen zugute kommt, die ihn auch produzieren.