Sudan: Die gemachte Katastrophe

Die Bilder der Hungernden im Sudan schockieren die Welt. Die Anteilnahme der westlichen Regierungen aber ist geheuchelt – sie sind für die Katastrophe mit verantwortlich.

Das Erbe der Kolonialzeit

Die Teile-und-Herrsche-Politik der britischen Kolonialherrschaft von 1899 bis 1956 hat die Grundlage für wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Spaltungen in der sudanesischen Bevölkerung gelegt.
Die Briten achteten darauf, dass der muslimische Norden und der christliche Süden des Sudan geteilt blieben. Sie fürchteten, der Islam könne die Völker des Sudan gegen die koloniale Unterdrückung vereinen, falls er sich in den überwiegend christlichen Süden ausbreite. Deshalb trieben sie auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordens und Ostens voran und vernachlässigten den Süden und Westen.
Nach der Unabhängigkeit von 1956 blieben die vom britischen Kolonialismus geschaffenen Auseinandersetzungen bestehen. Heute nutzen die Regierung und die Ölmultis diese Spaltungen, um wie vormals die Briten eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere auszuspielen.

Erdölkonzerne morden mit

Die Ölquellen im Süd-Sudan bergen bis zu drei Milliarden Barrel Rohöl (1 Barrel = 159 Liter). Seit 1999 sind die Förderanlagen in Betrieb. Etwa 15 Jahre wird die Ölförderung dauern.
Neben zwei sudanesischen profitieren internationale Konzerne von der Förderung, unter ihnen die europäischen Konzerne Agip (Italien), TotalFinaElf (Frankreich/Belgien), Lundin Oil (Schweden/Schweiz), OMV (Österreich) und BP (Großbritannien).
Die Bevölkerung hat sich organisiert und fordert die Hälfte der Erdöleinnahmen. Die internationalen Konzerne fürchten, dem US-Multi Chevron folgen zu müssen, den Rebellen Mitte der 80er aus dem Sudan vertrieben haben.
Die Menschenrechtsorganisation HRW wirft den Ölmultis vor, den Krieg der sudanesischen Zentralregierung gegen die Bevölkerung im Süden und in Darfur zu unterstützen: „Sie haben von Morden, Bombardierungen und Plünderungen gewusst, sich aber für das Geschäft entschieden.“ Allein 2001 habe die Zentralregierung für 60 Prozent der 491,5 Millionen Euro Öleinnahmen neues Kriegsgerät erworben und selbst produziert. ExxonMobil und Shell verkaufen Flugbenzin an die sudanesische Armee.
Von Privatflughäfen der Konzerne habe die sudanesische Armee Angriffe gegen Zivilisten, Krankenhäuser und Schulen geflogen. Darüber hinaus hätten ihre privaten Sicherheitsdienste regierungstreue Truppen ausgebildet und beraten.


Soldaten vergewaltigen Frauen und Mädchen – vor den Augen ihrer Familien, ermorden die Männer und Jungen im kampffähigen Alter und plündern das Vieh. Die sudanesische Armee hat in Zusammenarbeit mit Janjaweed-Milizen in Darfur, einer Provinz im Süd-Westen des Sudan, tausende Menschen ermordet. Über eine Million sind obdachlos.
Der Malteser Hilfsdienst rechnet mit der größten Flüchtlingskatastrophe seit zehn Jahren. Die meisten haben in Darfur selbst Zuflucht gefunden, mehr als 120.000 sind über die Grenze geflohen – in den Tschad, selbst eines der ärmsten Länder der Welt.
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF befürchtet ein Massensterben in den dortigen Flüchtlingslagern. Wasserknappheit und Hitze erhöhen die Gefahr von Seuchen, die sich in der bevorstehenden Regenzeit schnell ausbreiten könnten.
Die Janjaweed sind arabische Nomaden, die wie die nicht-arabisch sprechenden überwiegend schwarzafrikanischen sesshaften Bauern seit Jahrhunderten in Darfur leben. Der Bürgerkrieg ist eine Auseinandersetzung zwischen den gleichermaßen bitterarmen Nomaden und Bauern um Zugang zu Trinkwasser und fruchtbarem Land.
Die Menschen im Sudan könnten reich sein: Es gibt Erdöl, Gold, Kupfer und Uran. Internationale Konzerne plündern den Reichtum und helfen der arabischen islamistisch-konservativen sudanesischen Regierung, eine Bevölkerungsgruppe gegen die andere auszuspielen und Widerstand zu unterdrücken.
Wie alle afrikanischen Staaten ist der Sudan hoch verschuldet. Die Bevölkerung braucht dringend Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Bildung. Rund 700.000 Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
Die Zentralregierung gibt seit Anfang der 1990er dem Druck von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank nach, um Kredite zu bekommen. Für die Bevölkerung bedeutet das mehr Unterentwicklung, Hunger und Unterdrückung.
Die Freigabe der Preise, die Privatisierung von Strom-, Gesundheitsversorgung und Bildung haben die Konzerne zu Preissteigerungen genutzt. Schon 1994 reichte der Mindestlohn eines sudanesischen Arbeiters nur zur Deckung eines Viertels seines Bedarfs. 1999 wurde der Sudan wieder im IWF aufgenommen und die Ölförderung im Süden des Landes begonnen.
Die internationale Kredite und Entwicklungshilfe stecken in für die Ölförderung wichtigen Straßen, Flughäfen und Anlagen. Davon profitieren einzig die Erdölkonzerne aus den Kreditgeberstaaten.
Hunderttausende der in den über 200.000 Quadratkilometer großen Fördergebieten lebenden Männer, Frauen und Kinder hat die sudanesische Armee mit Unterstützung der Erdölkonzerne getötet oder vertrieben. Undichte Pipelines haben ganze Landstriche verseucht.
Die Bevölkerung wehrt sich gegen den Ausverkauf des Erdöls und die Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen. Die Zentralregierung greift auf einen in der Kolonialzeit begründeten Konflikt zwischen dem christlichen Süden und dem muslimischen Norden zurück, um den Widerstand zu isolieren.
Erdölgewinne stecken auch in den Waffen, mit denen die Regierung in Darfur gegen die dort lebenden Bauern führt. Darfur ist noch weniger entwickelt als der erdölreiche Süden.
Die Ausbreitung der Sahara seit den 1970ern hat die Unterentwicklung und den Konflikt zwischen Nomaden und Bauern verschärft. Auf der Suche nach Wasser und Nahrung überfallen und plündern von der Zentralregierung hochgerüstete Nomadenstämme die Dörfer sesshafter Bauern
Vor zwei Jahren haben sich die Bauern in Darfur gegen die Überfälle organisiert. Wie die Widerstandsorganisationen im Süden des Sudan werfen auch sie der Zentralregierung die systematische Verelendung ihrer Region vor. Diese spielt die arabischen Nomaden gegen die überwiegend afrikanischen Bauern aus, um die Kontrolle über das an Uran und Schwermetallen reiche Darfur zu behalten.
Dem Magazin Africa Analysis zufolge haben in mehreren Dörfern Araber und Afrikaner Jahrhunderte lang friedlich miteinander gelebt. Das zeigt, dass ein Afrika von unten möglich ist – allerdings nur gegen die Profitinteressen von IWF und Ölmultis.

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