Der ver.di-Abschluß bleibt weit unter dem Möglichen.
"Ein Abschluß der wirtschaftlichen Unvernunft" so klagt Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel. Landauf landab klagen vor allem die kommunalen Arbeitgeber über die "erpresserische Gewerkschaft ver.di" und den "viel zu hohen Abschluß".
Zu hoch ist der Abschluß nur, wenn er an den Erwartungen der Bosse gemessen wird. Sie wollten eine Nullrunde. Letztes Jahr hatte sich sowohl die IG Metall als auch die IG BAU mit Streiks erfolgreich gegen eine Nullrunde gewehrt. Jetzt sollte der Staat die Gewerkschaften in die Schranken weisen, mit Otto Schily als Eisbrecher im Tarifkampf.
Dieses Vorhaben ist gescheitert, der erhoffte Durchbruch für die Arbeitgeber ist nicht gekommen.
Der Grund: ver.di, die größte Gewerkschaft der Welt, hat ihre Muskeln spielen lassen. Schon zu Beginn der Verhandlungen machte ver.di mit massiven Warnstreiks Dampf. Die Streikbereitschaft war hoch, die Kollegen empört über die ständigen Drohungen von Nullrunde und Entlassungswellen. Am 17. Dezember erreichten die Warnstreiks ihren Höhepunkt: 110.000 Gewerkschaften in 200 Städten legten die Arbeit nieder.
Nicht nur die Mobilisierung war massiv – auch politisch waren die Warnstreiks offensiv. "Vermögenssteuer einführen" war der Slogan, mit dem das Argument der leeren Kassen gekontert wurde. Inmitten einer von Schröder und Eichel angezettelten Spardebatte hat ver.di eine politische Alternative zum Sozialabbau gezeigt.
Mit Erfolg: Jede Umfrage in der Bevölkerung hat eine Unterstützung der ver.di-Forderungen von stabil über 60 Prozent erbracht.
Diese Kombination hat den Arbeitgebern Angst gemacht: Ein entschlossener und massiv geführter Streik verknüpft mit politischen Forderungen nach Umverteilung der auf breite Sympathie in der Bevölkerung stößt wäre eine echte Herausforderung für die Bosse gewesen. Deshalb sind die öffentlichen Arbeitgeber lieber von der Nullrunde abgerückt, als einen Streik zu riskieren, den sie wahrscheinlich verloren hätten.
Dennoch ist der Abschluß kein Sieg für die ver.di. Mehr noch – der Entschluß auf einen Streik zu verzichten und alle Mobilisierungen einzustellen, kann sich in der Zukunft bitter rächen.
Die Fakten des Abschlusses: Lohnsteigerungen, die aufs Jahr gerechnet knapp unter 2 Prozent liegen. Dazu ein zusätzlicher Arbeitstag und die Aussetzung von Lohnsteigerungen nach Dienstjahren.
Das liegt deutlich unter dem vom Gewerkschaftschef Bsirske als Ziel eingegebenen 3 Prozent plus x.
Katastrofal ist die lange Laufzeit von 27 Monaten. Damit wird die verdi als Kampforganisation für zweianderthalb Jahre auf Eis gelegt.
Tarifkämpfe sind mehr als nur "die alten Rituale". Sie sind entscheidend im inneren Leben der Gewerkschaft. Die Mitglieder protestieren und diskutieren miteinander, kämpfen zusammen, gewinnen an Selbstbewußtsein. Dadurch gewinnt die Gewerkschaft an Kraft und wird politisiert.
Dieser Prozeß ist jetzt für über zwei Jahre unterbrochen. Die ver.di-Führung um Bsirske hat die Chance vertan, ver.di durch einen Streik die Vorreiterrolle im Kampf gegen soziale Gerechtigkeit zu geben. Dadurch wird der Kampf gegen anstehende Einschnitte im Sozialstaat wie die Vorschläge der Rürup-Kommission ungleich schwerer.
Der nächste Kampf steht sofort nach der Tarifrunde an. Berlin ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und führt jetzt eigene Verhandlungen mit der ver.di. Wenn es den Arbeitsgebern in Berlin gelingt, einen weitaus schlechteren Abschluß als die Tarifeinigung herauszuholen, dann wird es kein Halten mehr geben – jede Kommune wird aus dem Arbeitgeberverband austreten und versuchen, die Gewerkschaft vor Ort niederzukämpfen. Die Folge für den Flächentarifvertag wären verheerend – von den 3 Millionen Arbeitern im Öffentlichen Dienst sind 2,3 Millionen bei den Kommunen angestellt.
In Berlin wird das Schichsal der Tarife im Öffentlichen Dienst entschieden – deshalb muss die Kraft der gesamten ver.di ind die Waagschale geworfen werden, um diesen Kampf zugunsten der Gewerkschaft zu entscheiden.
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