Wie weiter nach den Massendemonstrationen am 3. April? Darüber sprach Linksruck mit Bernd Riexinger von der Gewerkschaft ver.di.Bernd, du hast die Demos am 3. April mit organisiert. Die Bundesregierung hält an ihrem Kurs fest. Was nun?
Der ver.di-Bezirk Stuttgart hat sich positioniert: Wir schlagen eine große Kampagne vor, mit der wir einige konkrete zugespitzte Forderungen mehrheitsfähig machen und gegen die Bundesregierung durchsetzten wollen.
Welche Forderungen sind das?
Erstens die Einführung einer Vermögensteuer und die Rücknahme der Unternehmensteuerreform. Zweitens müssen die Praxisgebühr und die höheren Zuzahlungen weg.
Drittens soll die Arbeitslosenhilfe beibehalten werden. Wir sind gegen jede Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln. Viertens sind wir gegen jede weitere Absenkung der gesetzlichen Renten. Zu guter Letzt wollen wir keine Verlängerung der Arbeitszeit.
Darauf wird Rot-Grün antworten, dass der Standort Deutschland gefährdet wird.
Das widerspricht aber den Fakten über die Konkurrenzfähigkeit Deutschlands, die sehr groß ist. Aber wir dürfen wirklich nicht mehr nur im nationalen Rahmen denken. Wir müssen international oder zumindest auf europäischer Ebene für hohe Standards kämpfen.
Um das zu erreichen, müssen wir uns mit den Kolleginnen und Kollegen in den anderen Ländern stärker vernetzen. Wenn wir diese Ebene nicht entwickeln, dann wird das Standortargument uns ständig wieder entgegen schlagen.
Mit dem kommenden Zuwanderungsgesetz betreibt Rot-Grün Abschottungspolitik. Wie bewertest du das?
Wir dürfen auf keinen Fall eine Linie tolerieren, die dazu dient, Menschen zu kriminalisieren und in Unsicherheit leben zu lassen. Wer hier leben will, der soll dazugehören. Da müssen wir auch als Gewerkschaft für gleiche Rechte eintreten.
Die fünf Forderungen hören sich schön an wie sollen sie durchgesetzt werden?
Ich denke, diese Forderungen sind geeignet, um über die Gewerkschaftsmitglieder hinaus das soziale Bündnis, das am 3. April auf die Straße gegangen ist, breiter zu machen. Wir müssen selber für unseren Erfolg sorgen.
Darum müssen wir eine Bewegung gegen Sozialabbau auf die Beine stellen, die die gesellschaftliche Vorherrschaft der Sparlogik in Frage stellt. So können wir dafür sorgen, dass die Regierung Gesetze zurücknehmen muss.
Die Kampagne müsste verbunden werden mit dem großen ver.di-Tarifkonflikt, den wir ab Januar 2005 zu erwarten haben. Es wird wohl kein Angebot von den Arbeitgebern geben, ohne dass wir einer Verlängerung der Arbeitszeit zustimmen. Bis dahin muss ver.di kampffähig werden. Da die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst eine Vorreiterfunktion für die Privatwirtschaft haben, müssen wir die Debatte jetzt ausweiten.
Haben die Menschen an der Basis das Gefühl, dass sich der Protest gelohnt hat?
Der 3. April hat gezeigt, dass der Protest eine Basis hat, und zwar über die halbe Million hinaus, die auf der Straße waren. Es gibt wahnsinnig viel Sympathie. Daran können wir anknüpfen und die Bundesregierung in die Enge treiben.
Ich bin sehr zuversichtlich. Wir haben noch 14 Wahlen in diesem Jahr. Es wird heftige Diskussionen über den Kurs von Rot-Grün geben.
Wenn das gepaart wird mit einer außerparlamentarischen Bewegung, die das zuspitzen kann, kann ich mir vorstellen, dass wir einen Erfolg organisieren können.
Wie soll die Kampagne in die Tat umgesetzt werden?
Die Forderungen werden dem Gewerkschaftsrat vorgelegt, der Anfang Juni tagt. Ich hoffe, dass der ver.di-Bundesvorstand darüber schon vorher entscheidet. Im Juni ist es schon fast zu spät. Jetzt zeigt sich das Versäumnis, dass nicht schon vor dem 3. April bestimmt wurde, wie es danach weitergeht.
Aber das ist nicht nur eine Frage von ver.di. Die IG Metall macht jetzt eine Unterschriftensammlung. Das hätte besser abgestimmt werden können, jetzt muss man sehen, die Initiativen verbunden werden können.
Was ist mit den anderen Teilen der Bewegung wie Attac? Sollen die solange warten?
Es wäre ein Fehler, jetzt nur betriebliche Aktionen zu machen. Die regionalen Bündnisse, die sich in der Mobilisierung für die Demos am 3. April und am 1. November gebildet haben, müssen ihre Arbeit weiter machen und sehen, dass sie ihre Basis vergrößern
Dazu ist aber dringend eine bundesweite Strategie nötig. Die Regierung macht bundesweite Gesetze, darauf müssen wir bundesweit reagieren das ist momentan unsere Schwäche.
Glaubst du, dass Rot-Grün diese Forderungen umsetzen wird?
Es kann gar keinen Zweifel geben, dass wir eine politische Alternative brauchen. Ich persönlich stehe dem Projekt einer Parteineugründung positiv gegenüber.
Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen: Selbst wenn so eine Partei bei Wahlen 5,6 oder 7 Prozent bekommt, wird sich dadurch an der Politik nichts ändern.
Die Leute müssen außerparlamentarisch aktiv werden. Keine Partei kann stellvertretend für die Bewegung handeln. Wenn diese Partei sich so verstehen würde, wäre das ein großer Fehler.Das Interview führte Jan Maas.