Die Palästinenserin Khulood Badawi sprach mit Linksruck über den Rassismus des israelischen Staates, das Weltsozialforum und den Kampf um Befreiung.
Viele deutsche Medien und Politiker behaupten, Israel sei die einzige Demokratie im Nahen Osten. Wie siehst du das als Palästinenserin in Israel?
Wir lernen schon in der Schule, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten sei. Aber in Wirklichkeit ist das ganz anders und ich bin sehr verbittert darüber.
Der Staat Israel ist demokratisch für die Juden, aber nicht für die Araber. Der Staat diskriminiert die Palästinenser. Er nahm meiner Familie das Land weg und vertrieb sie. Er gibt mir nicht dieselben Rechte, die die Juden haben.
Welche Rechte meinst du?
Israel gibt den Neuzuwanderern aus Russland und anderen Ländern mehr Rechte als uns Palästinensern, die schon lange hier leben. Beispielsweise wird das Wohnrecht nur nach dem Kriterium vergeben, wer jüdisch ist.
Als ich mit der Universität anfing, hatte ich nicht dieselben Rechte wie alle anderen, weil ich arabisch bin und die anderen weiß oder jüdisch. Wir Palästinenser in Israel werden als Störfaktor angesehen.
Aber die Palästinenser in Israel haben doch das Wahlrecht.
Ja, ich habe das Recht zu wählen. Aber es gibt kaum politische Kräfte, die ich wählen kann. Wenn es eine arabische Partei gibt, dann wird sie gleich als faschistisch und rechtsgerichtet verboten.
Israel ist nach außen hin demokratisch, aber in Wirklichkeit sehr gewalttätig. Dieser Staat kontrolliert das Leben von Millionen palästinensischen Menschen. Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, das ein anderes besetzt. Keines der Nachbarländer setzt so sehr auf militärische Gewalt wie Israel.
Darum bist du politisch aktiv.
Ich will etwas für die Palästinenser machen. Es hat auch wunderbare jüdische Professoren gegeben, die uns gefördert und bei unserem Kampf geholfen haben. Ich denke, wir Palästinenser sollten unseren jüdischen Partnern die Hand geben.
Reicht das aus?
Nein, der Kampf ist nicht nur eine palästinensisch-jüdische Sache, er ist eine globale Angelegenheit. Jeder sollte über das Schicksal der Palästinenser besorgt sein.
Ich denke nicht national, sondern an alle Menschen. Ich möchte meine Hand auch den Deutschen reichen oder den Menschen aus Amerika und der Karibik, die unserem Volk helfen wollen.
Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir uns vereinen. Wir müssen in unterschiedlichen Sprachen mit verschiedenen Menschen sprechen. Deshalb bin ich auch aktiv in der Frauenbewegung und in der Friedensbewegung.
Und du bist im Januar zum Weltsozialforum (WSF) nach Indien gefahren.
Das war das erste Mal, dass ich an einer so lebendigen, großen Konferenz mit Aktivisten aus der ganzen Welt teilgenommen habe. In Israel haben wir oft das Gefühl, nur eine Handvoll Friedensaktivisten zu sein.
Auf dem WSF waren wir keine Minderheit mehr, dort war ich ein Teil der Friedensbewegung und der linken radikalen Bewegung der ganzen Welt. Ich bin voller Energie und starker Eindrücke zurückgekehrt.
In Deutschland wird kaum über politisch aktive Palästinenser berichtet. Die meisten Medien zeigen nur Arafat und die Hamas. Erzähl doch mal von deiner Aktivität.
In unserer Gesellschaft ist es schwer, eine Aktivistin zu sein, denn die arabische Gemeinde ist sehr konservativ. Wir Frauen sollen gute Menschen sein, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt.
Wir sollen flexibel sein, gut in der Oberschule und der Hochschule. Wir sollen verheiratet sein, einen Mann und Kinder haben.
Aber viele Menschen würden niemals akzeptieren, dass Frauen Anführerinnen sind: Du darfst zwar Aktivistin sein, aber nur eine Demonstrantin. Du darfst zu der Demonstration gehen, aber dann musst du gleich zurück nach Hause.
Wenn ich Freiheit für mein Land will, muss ich auch meine Gesellschaft frei machen. Die palästinensische Gesellschaft kann nicht frei sein, wenn wir nicht auch die Frauen befreien, denn die Frauen sind die Hälfte der Gemeinde.
Und wie soll diese Befreiung erreicht werden?
Wenn wir fordern, dass die Welt als eigenständige demokratische Kraft akzeptieren soll, dann müssen wir auch demokratisch mit uns selbst umgehen, Frauen, Männer, Kinder, alle. Wir können gute Mütter, Schwestern, Ehefrauen oder Lehrerinnen sein.
Aber Frauen können auch gute Anführerinnen und Friedensaktivistinnen sein. All das kann zusammenpassen. Frauen können überall sein, nicht nur in der Küche oder im Schlafzimmer.
Israels Premier Scharon errichtet eine Mauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten. Wie stehen die Menschen in Israel dazu?
Die Mehrheit in Israel ist der Meinung, die Mauer sei gut. Sie würde angeblich verhindern, dass palästinensische Terroristen nach Israel kommen. Das ist nicht wahr. Niemand kann durch eine Mauer gehindert werden, sich selbst in die Luft zu sprengen.
Doch die israelische Regierung hält an dem Plan der Mauer fest. Sie behauptet, die Mauer sei zur Selbstverteidigung. Doch die Mauer nimmt den Palästinensern Land weg. Sie trennt die Familien voneinander. Sie ist rassistisch und diskriminierend und dient nur den israelischen Siedlern.
Denkst du, dass dennoch Frieden möglich ist?
Wir glauben, dass Frieden nur durch Verhandlungen und Dialog kommen kann und nicht durch Apartheid und Mauern. Ein gutes Beispiel ist die Mauer in Berlin. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Mauer das friedliche Zusammenleben nicht gefördert hat.
Darum gehen wir jedes Wochenende zur Mauer, demonstrieren, gehen zu den Checkpoints. Wir diskutieren auf der Straße mit den Soldaten. Das sind sehr gute gemeinsame Aktivitäten von Palästinensern und Israelis.
Ich bin optimistisch und ich hoffe, dass wir die Situation ändern können. Ich glaube, dass die Menschen auf beiden Seiten Palästinenser und Israelis Opfer sind. Sie sind Opfer des US-amerikanischen Kolonialismus. Darum hoffe ich, dass wir eines Tages Frieden haben werden.Das Interview führten Barbara Fuchs und Hans-Peter Richter.