Drei Jahre Dürre in Folge hatte die Menschen in Afghanistan, vor allem auf dem Land, ruiniert. Aber trotz wachsender Armut konnte die Katastrophe dank der Lieferungen der internationalen Hilfsorganisationen verhindert werden. Sie versorgten etwa 5,5 Millionen Menschen.
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Seit Ende September, als sich die Anzeichen für einen drohenden US-Angriff verdichteten ist alles anders. Die Taliban bereiteten sich auf den Krieg vor und ließen die Hilfsorganisationen nicht mehr frei arbeiten.
Beispiel Kandahar: Kris Janowski, Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerkes, berichtet, dass seit dem rund 400.000 Menschen in dieser Region aus Sicherheitsgründen nicht mehr erreichbar sind.
Kein FriedenDer Zusammenbruch der Taliban hat nicht Frieden und Demokratie gebracht. Statt dessen ringen lokale und regionale Stammesfürsten um Macht und Reichtum. Nun geht die Angst vor dem Chaos um, das vor den Taliban geherrscht hat. "Damals wollte jeder Stamm seine eigene Macht haben. Die Taliban haben das einfache Volk nicht respektiert, aber sie haben Frieden und Sicherheit gebracht. Wir sind nicht traurig, dass sie weg sind, aber wir wissen nicht, wer jetzt die Macht hat. Wenn die neue Regierung keinen Frieden erhalten kann und unsere Geschäfte zusammenbrechen, dann werden wir unglücklich über den Fall der Taliban sein", erzählt der Kleinhändler für Autoersatzteile Gul Mohammed, 27. Ob die Regierung Frieden bringen kann, ist sehr fraglich angesichts der internationalen Einmischung. Während die deutschen Truppen in Kabul stationiert sind, bauen die USA einen Militärstützpunkt in Kandahar. Gleichzeitig unterstützen Russland, Iran, Indien und Pakistan verschiedene Warlords der Nordallianz alle Beteiligten wollen ihren Einfluss auf Kosten der Anderen ausbauen. So legt der Krieg der "Antiterrorallianz" gegen die Taliban den Grundstein für den nächsten Krieg diesmal innerhalb des Bündnisses. |
Viele Menschen, die wegen der Dürre in die Städte geflohen waren, um Hilfe empfangen zu können, waren jetzt den Bomben ausgesetzt. Einer von ihnen war der Schafhirt Abdul Haque, 26.
Er erzählt: "Wir flohen vor der Dürre als alle unsere Schafe tot waren. Dann fielen die Bomben bei Kandahar, also flohen wir wieder.
Feuerholz
Jetzt haben wir nichts, nicht einmal Feuerholz. Wenn wir versuchen, Hilfe zu bekommen, schlägt die pakistanische Grenzpolizei auf uns ein, sogar auf die alten Frauen und Kinder." Er lebt mit drei Familien in einem selbstgebauten Zelt an der pakistanischen Grenze in Afghanistan.
Wegen der Bomben und dem Vormarsch der Nordallianz sind über 1,5 Millionen Afghanen geflohen. Mitte Januar stecken 13.000 an der Grenze zu Pakistan alleine in der Region Kandahar fest, 40.000 weitere Flüchtlinge werden in den nächsten Tagen erwartet. Das Flüchtlingslager auf der anderen Seite der Grenze ist mit 70.000 Insassen bereits Überfüllt, die Grenzpolizei lässt niemanden mehr über die Grenze.
Ein anderer Flüchtling berichtet: "Meine Frau hat gerade entbunden und sie und das Kind sind krank. Ich haben versucht einen Arzt zu besuchen, aber die Polizei hat mich mit Schlägen zurückgedrängt. Ich habe nichts und ich weis nicht, was ich tun soll."
Nordallianz
Neben den Bomben sind die Truppen der Nordallianz die größte Fluchtursache. Denn es gab nicht nur Massaker an Soldaten der Taliban, wie in Massar-i-Sharif und Kundus, sondern auch an der Zivilbevölkerung, an den jeweils anderen Ethnien und vor allem an Frauen.
Ghulam Nabi, 28, floh mit seiner Familie aus der nördlichen Provinz Farhyab, als im Dezember die Taliban geschlagen wurden. "Viele von meinem Volk würden gerne vor der Gefahr im Norden fliehen, aber sie sind eingeschlossen."
Mit den Taliban ist auch das staatliche Gewaltmonopol zusammengebrochen und die Menschen sind den marodierenden Banditen ausgesetzt. Deswegen kommen die Hilfslieferungen außerhalb weniger Städte nicht an.
In nördlichen Regionen mischen die Menschen Gras mit ein wenig Mehl und Wasser und backen daraus "Brot". In den Dörfern weiter oben in den Bergen haben die Menschen nicht einmal mehr Mehl.
Katastrophe
Mittlerweile sind 7,5 Millionen Afghanen von den Lieferungen der Hilfsorganisationen abhängig. Der Krieg hat zu einer humanitären Katastrophe geführt.
Weil die Hilfe für diese dramatische Situation nicht ausreicht, und oft auch nicht ankommt, sind in den kommenden sechs Monaten rund 128.000 Kinder akut gefährdet. Jedes vierte Kind stirbt bereits jetzt, bevor es fünf Jahre alt wird, berichtet das UN-Kinderhilfswerk.
All das war vorher abzusehen. Bereits Mitte September warnte Rupert Neudeck von der Hilfsorganisation Cap Anamur: "Wenn wir jetzt nichts tun, droht uns die größte Flüchtlingswelle seit Jahrzehnten."
Und der Sonderberichterstatter des UN-Hochkommissars für Menschenrechte zum Thema Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, stellte Anfang Oktober fest: "Der minimale Anstand der Weltöffentlichkeit müsste sein: Stop des Bombardements, sofort. Massive Nahrungsmittelhilfe.
Winter
In drei Wochen setzt der Winter ein, und vier Fünftel des Landes, 650.000 Quadratkilometer, sind nicht mehr befahr- und begehbar. Die Transporte werden so schon schwer genug sein. In Afghanistan steht eine humanitäre Katastrophe unglaublichen Ausmaßes bevor und wir schauen zu"
Angesichts dieser Folgen, die der von Gerhard Schröder "uneingeschränkt" unterstützte "Krieg gegen den Terrorismus" gebracht hat, erscheint es fast lächerlich, ja heuchlerisch, dass die Bundesregierung die notdürftige Reparatur von 15 Schulen in Kabul finanziert hat.
In Betrieb genommen werden können diese Schulen allerdings bislang nicht. "Leider sind die Versprechen nicht ernst genommen worden und deswegen haben wir jetzt Schwierigkeiten, die ausgebliebenen Gehälter der Beamten zu zahlen", beschwert sich der afghanischer Minister für Wiederaufbau Amin Farhang darüber, dass die afghanischen Auslandskonten immer noch eingefroren sind.