Noch wenige Tage bis zum Aktionstag gegen Sozialkahlschlag. Vier Menschen erzählen, warum sie zu den Demos fahren und rufen Linksruck-Leser dazu auf, mitzukommen.
Fragen und Antworten zum 3. AprilDGB, Einzelgewerkschaften, Attac und das Bündnis Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag 2. April: lokale und betriebliche Aktionen 3. April: Demos in Berlin, Stuttgart und Köln Den Transport mit Bussen und Zügen organisieren vor allem der DGB und ver.di vor Ort. Der ver.di-Vorstand hat dazu aufgerufen, Aktionskomitees zu gründen. In vielen Städten finden schon regelmäßig Aktionen statt. Auch Sozialbündnisse und Attac mobilisieren zu den Demos am 3. April. Aktionskalender Mitfahrbörser DGB-Homepage Aktionskonferenz |
Kürzere Arbeitszeiten bringen neue Jobs
„Am 3. April demonstriere ich, weil ich als Arbeitsloser von der Agenda 2010 unmittelbar betroffen bin. Ich spüre den Sozialabbau am eigenen Leib. Schon jetzt, durch die Gesundheitsreform, aber auch durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die ab nächstes Jahr greift.
Pi mal Daumen habe ich dann 80 Euro weniger im Monat, falls ich bis dahin keine Arbeit habe. Und im Moment sieht es nicht gerade rosig aus.
Nach der Theorie der Herrschenden müsste es bei uns im Osten nur offene Stellen geben. Wir sind ja Billiglohnland. Hier wird oft unter Tarif gezahlt. Die Hälfte der Betriebe ist nicht mehr im Arbeitgeberverband. Aber es werden eher Stellen abgebaut, statt dass neue Stellen entstehen.
Der Neoliberalismus, der nach US-Vorbild zuerst in der Dritten Welt durchgesetzt wurde, wird nun immer mehr in Deutschland und Europa durchgesetzt. Der Abstand zwischen Arm und Reich wird immer krasser. Früher herrschte vor allem ein Nord-Süd-Gefälle, aber heute haben wir auch ein Gefälle innerhalb der so genannten reichen Länder.
Viele hier bewerben sich um Jobs. Aber das hat nur dann Sinn, wenn es auch Jobs gibt. Die neuen Arbeitsgesetze bedeuten, dass wir uns um Jobs bewerben müssen, die gar nicht da sind. Das ist doch eine Luftnummer.
Ich denke auf jeden Fall, dass Arbeitsteilung Jobs bringen kann. Weniger Stunden pro Kopf bringt mehr Leute in die Betriebe. Das kann eine Strategie sein. Aber momentan kommt von den Herrschenden nur Druck: immer mehr Arbeit, aber immer weniger Geld. Wenn sie schon weniger zahlen, dann müsste man auch weniger arbeiten.
Die EU-Osterweiterung wird noch mehr Druck auf die Löhne bringen. Aber das liegt nicht an den Menschen in Osteuropa, sondern das liegt an den Chefs und Aktionären, die noch mehr Profit wollen.
Das jüngste Beispiel ist die Telekom. Die haben ihren Gewinn verdoppelt, aber wollen tausende Stellen abbauen. In diese Richtung darf die Umverteilung nicht weitergehen.
Stattdessen sollte gesellschaftliche Arbeit auch als Arbeit bezahlt werden, durch eine Grundsicherung für jeden. Ob das die Arbeit der Frauen ist, wie in der Kindererziehung oder ehrenamtliche Arbeit. Das Geld wäre durch eine gerechtere Verteilung zu holen, zum Beispiel durch Besteuerung von Kapitalerträgen.
Aber alle Parteien sagen, wir Arbeiter sollen in die Knie gehen, damit es uns dann besser geht. Aber was ist, wenn es nicht besser wird, nachdem wir in die Knie gegangen sind? Danach sieht es nämlich aus.
Eine echte Alternative kann nur von unten links kommen, von außerhalb der Parlamente. Die ganzen Bündnisse und Organisationen müssen sich vor Ort, deutschlandweit und international noch besser vernetzen. Wir müssen mehr Leute gewinnen, die erkennen, wie sie belogen und betrogen werden und dann mitmachen.
Ich hoffe, dass die Demo ein Anstoß ist, damit noch viele andere aktiv werden und das Ruder in unsere Richtung drehen.“
Matthias, Chemnitz, erwerbslos seit 1998
Arme Menschen gehen nicht mehr zum Arzt
„Mein Protest richtet sich gegen den forcierten Sozialabbau in unserem Land, mit dessen Auswirkungen ich in meiner Arbeit als Augenärztin konfrontiert bin. Ich bin der Meinung, dass wir uns langsam zur Wehr setzen müssen.
Seit der am 1. Januar in Kraft getretenen Gesundheitsreform befürchte ich eine zunehmende Ausgrenzung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen von der Gesundheitsversorgung.
Die bereits bestehende Zweiklassenmedizin wird verschärft. Die seit Januar geltenden Zuzahlungsregelungen für gesetzlich Versicherte veranlassen einkommensschwache Menschen, einen Arztbesuch aufzuschieben.
Neben der Praxisgebühr erwarten meine Patienten Zuzahlungen zu rezeptpflichtigen Medikamenten, die vollständige Bezahlung nicht rezeptpflichtiger Medikamente, die von wenigen Ausnahmen beschränkte Selbstzahlung der Krankentransporte, außerdem Untersuchungen, die von den gesetzlichen Kassen nicht erstattet werden.
Beim Augenarzt betrifft das einen Großteil der Medikamente, etwa zur Behandlung des Trockenen Auges oder leichter Entzündungen. Die Vorsorgeuntersuchung zur Erkennung des Grünen Stares und weiterführende moderne Diagnostikverfahren werden gesetzlich Versicherten nicht erstattet.
Brillen und Kontaktlinsen müssen von den meisten Menschen selbst finanziert werden. Gerade für stark Fehlsichtige wie Kurzsichtige, die auf Kontaktlinsen angewiesen sind, entstehen so erhebliche Kosten. Für Privatversicherte ist das kein Problem.
In meiner Praxis hat sich am Anfang des Jahres eine Abnahme der Besuche gezeigt. Vorsorgeuntersuchungen werden abgelehnt. Wie kann ein Sozialhilfeempfänger die Zuzahlung zu einer notwendigen stationären Behandlung, die bei sieben Tagen ein Viertel des monatlichen Sozialhilferegelsatzes in Sachsen beträgt, bewältigen?
Die Auswirkungen auf den Gesundheitszustand der Bevölkerung werden sich in einigen Jahren zeigen.
Für mich bedeutet die Gesundheitsreform eine erhebliche Erhöhung des Verwaltungsaufwandes. Sie kostet mehr Geld, bringt aber keine Verbesserung der medizinischen Betreuung.
Die Praxisgebühr ist eine indirekte Erhöhung der Kassenbeiträge. Das Abkassieren beim Arzt soll diese Tatsache nur verschleiern.
Ich betrachte diese Gebühr als Barriere für einen Arztbesuch. Ich vergeude einen Großteil meines Arbeitstages mit sinnlosem Verwaltungsaufwand und Hin-und Hergeschicke der Patienten.
Mein erster Vorschlag für eine Lösung ist ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem, in das ausnahmslos jeder Bürger und jede Einkunftsart einbezogen wird. Auch die 250.000 Millionäre in Deutschland.
Des Weiteren befürworte ich eine Positivliste von verschreibungsfähigen Medikamenten, die von der Pharmaindustrie bisher erfolgreich verhindert wurde.
Als Ärztin in eigener Praxis wird mir bei Kritik am Gesundheitssystem spontan Bereicherungssucht unterstellt. Mir geht es darum, auch weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen alle Menschen unabhängig nach ihrem Einkommen behandeln zu können.
Ich erwarte vom 3. April ein Signal an die Bundesregierung, dass sehr viele Menschen deren neoliberale Politik nicht länger hinnehmen werden.“
Steffi Habrecht, Chemnitz, Augenärztin
Immer mehr Rentnern droht die Armut
„Ich gehe am 3. April auf die Straße, weil die Agenda 2010 einen totalen Abbau der Sozialversicherungen bedeutet. Es heißt zwar: Rentenversicherung, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung, und das Wort Versicherung bedeutet auch Stabilität. Aber obwohl die Menschen immer älter werden, haben sie immer weniger Sicherheit.
Wir kommen schon langsam ans Existenzminimum. Hier in München liegt die durchschnittliche Rente für Männer bei 990 Euro und für Frauen bei 660 Euro, das kann es ja wohl nicht sein.
Dazu kommt dann die Gesundheitsreform, denn die trifft Rentner besonders. Wir hatten hier eine Umfrage, die besagte, dass die Gesundheitsreform für Rentner zwischen 350 und 800 Euro pro Jahr kostet, je nach Krankheitsbild. Viele haben Alterszucker, der muss unbedingt behandelt werden, das kann man sich nicht aussuchen. Das ist also keine Reform, sondern eine Abzocke.
Auch die ganzen Hartz-Gesetze haben überhaupt nichts gebracht. Die verbrauchen nur Geld, das gar nicht den Arbeitslosen zugute kommt.
Wir hatten gerade eine Schulung von den ver.di-Senioren zum Thema Welthandel, GATS und WTO. Da ging es darum, wie die Welthandelsordnung dafür sorgt, dass den Global Players immer mehr gegeben wird und den kleinen Leuten immer weniger.
Und wenn ich in unsere Nachbarländer sehe: Die haben in Österreich, Italien oder Frankreich genau dieselben Probleme wie wir. Da frage ich mich, wo das noch hingehen soll im Rahmen der Europäischen Union.
Dabei müsste ja genug Geld da sein. Deutschland ist schließlich Exportweltmeister. Aber wenn die Regierung keine Steuern mehr verlangt von den Großunternehmen, dann ist es kein Wunder, dass die Kassen leer sind. Der Siemens-Vorstand ist ganz stolz, wenn er sagen kann, dass er keine Steuern mehr zahlt, sondern nur noch seine Arbeiter.
Die Bundesregierung muss ihre Agenda 2010 zurücknehmen. Ob sie das macht, wird von der Beteiligung an den Demonstrationen abhängen. Gerhard Schröder müsste zurücktreten, wenn man vergleicht, was der vor der Wahl gesagt hat und was er jetzt macht.
Hätte der Stoiber gewonnen, wäre der Widerstand heute größer. Der hätte die Sachen nicht durchgebracht. Aber eine Regierung aus Union und FDP wäre auch schlimm, ich weiß keine wirkliche Alternative zu Schröder.
Der Anteil der Nichtwähler steigt immer weiter. Jemanden, der tatsächliche Reformen vorschlagen würde, die den Arbeitern auch etwas bringen, würden diese Leute auch unterstützen, denke ich.“
Wilhelm Kling, München, im Vorruhestand
Alle Kinder brauchen ganztags Betreuung
„Der Landeselternausschuss Kitas (LEAK) Berlin unterstützt den Aktionstag am 3. April wegen der ständigen Verschlechterungen im Bildungssystem. Die Kitagebühren sind erhöht, die Lernmittelfreiheit abgeschafft und das Schülerticket verteuert worden.
In der Jugendhilfe geht dieser Sozialabbau weiter. Gespart wird bei der Heimunterbringung und bei Pflegefamilien. Leute geben sich Mühe und sind sozial engagiert und werden dann mit Kürzungen bestraft.
Darum startet der LEAK jetzt eine Aktion „Der Mai ist Kita-Gebühren-Frei“. Wir rufen dazu auf, dass die Eltern im Mai die Gebühren nicht bezahlen. Vor einiger Zeit haben wir einen allgemeinen Boykott gestartet, aber viele Eltern haben davor Angst, dass ihnen der Kita-Platz gekündigt wird, wenn sie sich beteiligen. Darum machen wir im Monat Mai diese Extra-Aktion, damit die Eltern keine Angst mehr haben. Eine Kündigung ist nämlich erst möglich, wenn jemand drei Monate lang nicht gezahlt hat.
Die Erhöhungen sind unsozial, weil seit Jahren die Löhne sinken. Die Verteilung des Reichtums stimmt einfach nicht mehr. So geht es nicht weiter. Darum unterstützen wir den Aufruf zum 3. April.
In vielen Kitas arbeiten zu wenige Erzieherinnen, und die sind dann völlig überlastet. Wir versuchen, den gemeinsamen Protest von Eltern und Erziehern zu verbessern. Oft sind den Eltern ihre Rechte und die Möglichkeiten sich zu wehren gar nicht bekannt.
In Anlehnung an die Forderung der Gewerkschaften zum 3. April „Steh auf“ sagen wir: „Steh auf für Betreuung für alle, für immer“. Wir fordern eine kostenfreie Ganztagsbetreuung für alle Kinder, für die in den Kitas und auch für die in den Schulen. Außerdem brauchen wir mehr Geld für Lernmittel in den Schulen und für Spielmaterial in den Kitas.
Darum fordern wir alle Eltern auf, aktiv zu werden und mit uns Unterschriften für unser Berliner Volksbegehren zu sammeln, mit dem wir diese Forderungen durchsetzen wollen.
Natürlich sind diese nicht auf Berlin beschränkt. Aber Berlin ist schließlich Hauptstadt und da ist die Bundesregierung gefragt, unsere Forderungen bundesweit umzusetzen.
Wir repräsentieren alle Eltern, das heißt auch, dass alle politischen Strömungen außer den Nazis bei uns vertreten sind und dass keine Partei vor uns sicher ist. Darum gehen wir auch auf Distanz zu den Parteien. Früher in den 60ern nannte man das APO. Und eine starke APO, die auf die Straße geht, ist auch heute nötig.“
Klaus-Dieter Hinkelmann, Berlin, LEAKAufgezeichnet von Jan Maas