"Es ist eine Stimmung wie 1989, sogar die Slogans sind dieselben" so erlebte eine Demonstrantin die größte Massenkundgebung seit der "samtenen Revolution" 1989. Auf dem Wenzelsplatz in Prag versammelten sich rund 100.000 Menschen, um die streikenden Journalisten des staatlichen Fernsehens Ceska Televize (CT) zu unterstützen.
Die Journalisten hatten das Fernsehzentrum besetzt, nachdem bei Kungeleien zwischen den führenden Parteien der Konservative Jiri Hodac zum neuen CT-Chef berufen wurde. Hodac ist ein enger Vertrauter des früheren rechten Premierministers Vaclav Klaus.
Vaclav Klaus Konservative befinden sich nach einer Wahlniederlage in der Opposition aufgrund der Verfilzung des tschechischen Parteiensystems ziehen die Rechten jedoch weiterhin die Fäden. Alle Entscheidungen werden zwischen den Parteien abgesprochen, im sogenannten "Oppositionspapier" wird Kungelei fest institutionalisiert mit dem Ergebnis, dass den Konservativen am grünen Tisch das öffentliche Fernsehen übergeben wurde.
Gegen diesen Filz wendet sich die jetzige Bewegung. Der Streik der Journalisten hat einen Kristallisationspunkt für die Unzufriedenheit breiter Schichten der Bevölkerung geboten. Diese Unzufriedenheit speist sich neben der Wut über Parteienfilz auch aus einer anderen Quelle: Der sozialen Krise, die Millionen Tschechen betrifft.
Nach der Revolution 1989 wollte der damalige Ministerpräsident Vaclav Klaus mit der Hilfe von IWF und Weltbank die tschechische Wirtschaft zu einem neoliberalen Musterstaat umkrempeln.
Ernüchterung
Die Bilanz fällt ernüchternd aus. "In Prag fallen seit 1990 zwei Veränderungen auf", erläutert Renate Hennecke von den Deutsch-Tschechischen Nachrichten. "Einerseits sieht man die renovierten Fassaden und Neubauten, andererseits die Verarmung und die zahlreichen bettelnden Menschen, die auf jede erdenkliche Weise versuchen, an ihr tägliches Brot zu kommen."
Seit 1990 sind die Löhne um 13 Prozent gesunken. Der tschechische Durchschnittslohn beträgt 12.000 Kronen (etwa 700 Mark); drei Viertel der Bevölkerung verdienen heute weniger als 1990. Betrug die Arbeitslosigkeit damals noch 3 Prozent, liegt sie heute bei 10 Prozent. Gerade mal 40 Prozent der Betroffenen erhalten überhaupt Arbeitslosengeld.
Die Sozialausgaben wurden seit 1990 halbiert und es gab einschneidende Kürzungen im Gesundheits- und Bildungsbereich.
Die tschechischen Herrscher sitzen auf einem Pulverfaß und sind angesichts der Staatskrise tief zerstritten. Wie schnell sich aufgestaute Wut entladen kann, erlebte nicht unweit von Tschechien der serbische Diktator Milosevic. Serbische Verhältnisse der Alptraum der tschechischen Herrscher.