Die Tarifrunde der Metallindustrie ist vorbei. Betriebsrat Tom Adler und Heinrich Müller, Vertrauensmann der Gewerkschaft IG Metall, diskutieren im Linksruck-Gespräch über das Ergebnis.
Tom Adler ist Betriebsrat bei Daimler-Chrysler in Untertürkheim Heinreich Müller ist Vertrauensmann bei Heidelberger Druckmaschinen in Heidelberg |
Nach dem Abschluss titelte Bild: "40-Stunden wieder da". Stimmt das?
Tom: Nein. Südwestmetall hat es nicht geschafft, die 40-Stunden-Woche flächendeckend und ohne Lohnausgleich einzuführen. Allerdings sind in den Damm gegen die Ausweitung der Arbeitszeit weitere Löcher gebohrt worden. Das ist noch kein Dammbruch, wird aber die Erosion des Flächentarifs, fürchte ich, beschleunigen.
Heinrich: Das stimmt. Der Abschluss ist insofern ein Erfolg, weil die Kapitalisten mit ihrem Ziel drastischer Lohnsenkungen über eine 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich an den massiven Warnstreiks gescheitert sind. Schlecht ist, daß wir nicht voll gestreikt haben, denn dann wären die völlig unnötigen Zugeständnisse an die Bosse verhindert worden.
Wenn zum Beispiel in einem Betrieb mehr als die Hälfte der Belegschaft in Entwicklungsabteilungen arbeiten, kann die 40-Stunden-Woche Regelarbeitszeit werden. Bisher war nur für 18 Prozent der Belegschaft 40 Stunden tarifvertraglich erlaubt. Schlecht ist auch die lange Laufzeit von 26 Monaten. Die Lohnsteigerungen von 2,2 Prozent gleichen Inflation und Kürzungen der Regierung nicht aus. Wir haben weniger Geld in der Tasche.
Tom: In Baden-Württemberg gibt es mindestens 11 große Betriebe, bei denen diese Tarifvertragsklausel zutrifft und verlängerte Arbeitszeiten drohen.
Was wollten die Arbeitgeber erreichen?
Heinrich: Den ganz großen Schlag gegen die IG Metall. Vorher haben die Metallbosse gar von einer "Entscheidungsschlacht" geredet. Die Angriffe durch Schröders "Agenda 2010" wollten die Unternehmer nutzen, auch in den Betrieben härter zuzuschlagen. Das Ziel war die Abschaffung des Flächentarifvertrags und damit die entscheidende Schwächung der IG Metall.
Tom: Die Unternehmer sind sehr aggressiv in die Tarifrunde gegangen und haben sich von vornherein auf die Verlängerung der Arbeitszeit konzentriert. Sie wollten im Westen von den Folgen der selbsterzeugten – Niederlage der IG Metall beim Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland profitieren. Sie waren offensichtlich der Überzeugung, dass die ausgesprochen zaghafte Anlage der Tarifrunde durch die Führung ein Zeichen der Schwäche der gesamten IG Metall ist und haben dies als Einladung zum Generalangriff gesehen.
Auch die beschwichtigenden Reaktionen von führenden Tarifpolitikern auf ihre offene Aggression haben sie weiter ermutigt. Wer in solchen Situationen, wie Bertolt Huber, davon redet, man sei doch "offen wie ein Scheunentor" für weitere Arbeitszeitflexibilisierung, signalisiert doch nicht Selbstbewusstsein sondern Ängste vor einer schärferen Auseinandersetzung.
Warum wollen die Unternehmer den Flächentarifvertrag unbedingt abschaffen?
Tom: Der Tarifvertrag ist gewissermassen ein Schutzschild gegen Erpressungen auf der Betriebsebene. Betriebsrate haben ja keine legale Möglichkeit, sich gegen Erpressungen mit Kampfmassnahmen zu wehren, Betriebsräte dürfen nicht zum Streik rufen. Der Flächentarifvertrag bedeutet also Schutz der Arbeiter gegen Unternehmerwillkür und Erpressung. Von Unternehmern und Regierung wird dies als "Verlagerung von Entscheidungskompetenz" in die Betriebe verkauft. Sie wollen die Betriebsräte aus angeblich "starren Regelungen befreien". Doch die grosse Masse der Betriebsräte will diese "Freiheit" aus gutem Grund gar nicht.
Warum haben die Unternehmer ihr Ziel verfehlt?
Tom: Die Metallarbeitgeber, und auch Teile des gewerkschaftlichen Apparats haben sich verschätzt: Sie haben die Zaghaftigkeit der IG-Metall-Führung mit der Stimmung in den Betrieben verwechselt. Dann lief die Warnstreikwelle an, ein richtiger Selbstläufer: Teilweise war richtig explosive Stimmung unter den Kollegen. Schröders Kürzungen und die dreiste Forderung nach der 40-Stunde-Woche ohne Lohnausgleich hat viele auf die Palme gebracht. Dadurch haben die Unternehmer kalte Füße bekommen und die große Schlacht erst einmal vertagt.
Heinrich: Bei uns hat der Vertrauenskörper für die Warnstreiks ein eigenes Flugblatt geschrieben. Das gab es seit Jahren nicht mehr. Die Stimmung war so aufgeheizt, dass nicht nur die Unternehmer, sondern auch die konservativen Gewerkschaftsfunktionäre sehr schnell einen Abschluss haben wollten. Viele Kollegen haben hingegen den Vollstreik gewollt, um den Unternehmern Grenzen aufzuzeigen.
Als Jürgen Peters vor kurzem IG Metall-Vorsitzender wurde, beschimpften die Medien ihn als "Betonkopf" und "alten Klassenkämpfer". Was hat er in der Tarifrunde gemacht?
Tom: Peters ist nicht der kämpferische Linke, zu dem er von den Medien hochstilisiert wurde. Er hat zum Bespiel in Niedersachsen mit dem VW-Tarifvertrag 5000 x 5000 die Aufweichung des Tarifvertrages bei VW mitzuverantworten. Er ist in der IG-Metall-internen Auseinandersetzung vergangenen Sommer vielmehr eine Art Projektionsfläche geworden für alle, die keine zahme IG Metall wollen. In der Tarifrunde hat er den Unternehmer-provokationen schneller und deutlicher Paroli geboten als seine Kollegen vom "Modernisierer"-Flügel. Er hat aber offensichtlich auch nicht die Strategie vertreten, durch eine weitere Verstärkung des Drucks bis hin zum Streik ein Ergebnis ohne jede Konzession in der Arbeitszeitfrage zu erzwingen.
Heinrich: Während der Tarifrunde hat die gesamte Führungsriege der IG Metall versucht, nicht als "Betonkopf" dazustehen. Wir brauchen mehr Beton, um eine feste Verteidigung zu bauen.
Wie geht es weiter?
Tom: Die nächsten Angriffe kommen so sicher wie das Amen in der Kirche. Wichtig ist zum einen die besser Vernetzung von Linken in der Gewerkschaft. Das müssen wir in jedem Betrieb und jeder Stadt vorantreiben, damit auch bundesweit eine handlungsfähige gewerkschaftliche Linke entsteht.
Zum zweiten müssen wir für die europäischen Protesttage am 2. und 3. April mobilisieren. Das ist die nächste Gelegenheit, die Stimmung gegen Sozialkahlschlag, die wir bei den Warnstreiks gesehen haben, auf die Straße zu bringen.
Heinrich: In Heidelberg wurde letzte Woche ein Sozialforum gegründet, indem wir mit Kollegen aus verschiedenen Gewerkschaften, Attac, Leuten aus der Friedensbewegung und anderen diskutieren, wie wir zur Demo mobilisieren können.