Europa zwischen Rechtsruck und Revolte

Der zugleich überraschende wie schockierende Wahlerfolg des Rechtsextremisten Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen ist Teil einer größeren politischen Erschütterung, von der ganz Europa erfasst wird. Dabei wächst nicht nur die Rechte, sondern auch Kräfte links von den sozialdemokratischen Parteien. Der Ursache dieser Entwicklung ist eine seit etwa zehn Jahren anhaltende Klassenpolarisierung


Den Zusammenbruch des Ostblocks nutzte die Europäische Union, um den Kontinent auf der Grundlage einer neoliberalen Wirtschaftsordnung wiederzuvereinigen. Im Osten bedeutete das eine sogenannte "Schock-Therapie" mit Stillegung ganzer Wirtschaftszweige, Privatisierungen und Sozialkahlschlag. Im Westen wurde diese Politik mit der Wirtschafts- und Währungsunion begründet. Die Folge war höhere Arbeitslosigkeit und steigende Armut in ganz Europa.


Diese Politik schuf den Nährboden für das Wachstum der extremen Rechten in ganz Europa. In Deutschland konnten in den 90ern die Naziparteien DVU, Republikaner und NPD davon profitieren.



Gleichzeitig fand jedoch eine Polarisierung nach links statt. In der Arbeiterklasse wuchs die Bereitschaft zu gemeinsamem Widerstand gegen die neoliberalen Angriffe. Zwischen 1992 und 97 erlebte Deutschland die bedeutendsten Arbeiterkämpfe seit den 20er Jahren: Erst den großen ÖTV-Streik 92; Streik der IG-Metall in Bayern 1995; die größte Gewerkschaftsdemo der Nachkriegsgeschichte mit 350.000 Beteiligten gegen Kohls Sparpaket 1996 in Bonn; Ende 96 dann der zweitägige Metallerstreik bei Daimler, der das Gesetz zur Kürzung der Lohnfortzahlung zu Fall brachte und im Frühjahr 97 ein Aufstand der Bergarbeiter gegen Zechenschließungen, der bis zur Bannmeile des Bundestages reichte. Die Studentenbewegung, die Anti-Castor-Proteste und der Kampf gegen die Nazis wurden dadurch gestärkt. Spektakulärer noch waren die Streiks im öffentlichen Dienst in Frankreich 95, welche die größte soziale Rebellion gegen Neoliberalismus angeheizt haben, die Westeuropa bisher gesehen hat.


Diese Welle des Widerstands spülte in ganz Europa sozialdemokratische Parteien zurück an die Macht. Bereits 1995 in Italien, dann in Großbritannien und Frankreich 1997 und als letztes in Deutschland, mit dem Wahlsieg der rot-grünen Koalition 98.



Nach der Bundestagswahl in Deutschland titelte die Financial Times beunruhigt: „Europas Roter Oktober: Die Linke ist wieder an der Macht in 13 der 15 EU-Länder.“ Tatsächlich war jedoch die Sorge der Financial Times und der Wirtschaftsbosse Europas unbegründet.


Obwohl durch eine Rebellion gegen den Neoliberalismus an die Macht gehievt, machten die sozialdemokratischen Parteien an der Regierung eine noch unsozialere, neoliberale Politik als ihre konservativen Vorgänger.


Blair in Großbritannien und Simitis in Griechenland waren die offensivsten Verfechter dieses Kurses. Aber auch in Frankreich privatisierte Jospin mehr als die sechs Vorgängerregierungen zusammen. Schröder drückte erst seinen linken Kontrahenten Oskar Lafontaine aus der Regierung, um dann Steuervergünstigungen für die Wirtschaft durchzusetzen und die Bevölkerung den Preis dafür mit Ökosteuer und Rentenreform bezahlen zu lassen.


Die sozialdemokratischen Regierungen sind verantwortlich, wenn viele Menschen den Wahlen fernbleiben oder sogar wieder rechte Parteien wählen. Denn die Sozialdemokraten haben die selbe Politik gemacht.


Die wachsende Unzufriedenheit mit dem Kurs der sozialdemokratischen Parteien innerhalb der Arbeiterklasse wurde in Deutschland nach der Bundestagswahl durch steigende Wahlenthaltung der SPD-Wählerbasis deutlich. Der massivste Einbruch fand bei der Europawahl 99 statt, als 6 Millionen ehemalige SPD-Wähler nicht zur Wahl gingen, davon viele aus Protest gegen die offen neoliberale Politik. Lediglich die Spendenkrise der CDU konnte diese Entwicklung abschwächen und sorgte bis vor kurzem dafür, dass die Konservativen kaum davon profitierten.



Die Rückkehr der Rechten begann in Italien mit Berlusconis Wahlsieg über die sozialdemokratischen Parteien im Juni letzten Jahres. Schon 2000 verlor die österreichische SPÖ das Amt des Bundeskanzlers – durch eine Koalition der Konservativen mit Haiders rechtspopulistischer FPÖ. In Dänemark siegte der Konservative Rassmussen über die Sozialdemokratie. Auch er holte sich die Mehrheit durch eine Koalition mit Rechtsaußen. Jospin ist in Frankreich das jüngste Opfer dieser Rückkehr der Rechten.


Gemeinsam ist dieser „Neuen Rechten“, dass sie ihre Wahlkämpfe mit "Recht und Ordnung" und dem Schüren von Angst vor Einwanderung führten. Auf diese Weise versuchen sie, die Unzufriedenheit über den Abbau sozialer Sicherheit für rechte Politik zu nutzen.


In Deutschland steht der CSU-Kandidat Stoiber für eine solche Politik. Er wird alles daransetzen, Schröder für sein Versagen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit anzugreifen, um gleichzeitig eine rechtere und unsozialere Politik als Lösung anzubieten.



Das Versagen der parlamentarischen Politik führt zum Erfolg der Rechten einerseits, und von politischen Kräften links der Sozialdemokratie andererseits. In Europa findet ein Prozess der politischen- und Klassenpolarisierung statt.


In Frankreich ist dieses Wachstum der „radikalen“ Linken am deutlichsten. Offen revolutionäre Parteien wie die LCR oder Lutte Ovrier konnten zusammen 11 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen gewinnen. Vor allem unter Jugendlichen wächst das Interesse an einer neuen Linken. Der Kandidat der LCR Olivier Besancenot bekam 13,9 Prozent in der Altersgruppe unter 25 Jahren.


Die neue Orientierung nach linker Politik drückt sich auch in der steigenden Bereitschaft aus, sich Aktivistennetzwerken der antikapitalistischen Bewegung anzuschließen. Das rasante Wachstum von ATTAC ist ein Beispiel dafür.


Seit Berlusconis Amtsübernahme in Italien fand in der Bevölkerung eine massive Radikalisierung nach links statt. Der eindrucksvollste Ausdruck dessen waren die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua im letzten Juli. Das war jedoch nur der Auftakt für eine breitere und kontinuierliche Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung, gegen den Krieg und für Solidarität mit den Palästinensern. Die antikapitalistischen Netzwerke in Italien haben es geschafft, eine Brücke zur Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse zu bauen. So engagierten sie sich gegen Privatisierungen, gegen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und gegen Berlusconis Medienmonopol. Der Schlüssel für die Ausweitung der Bewegung in Italien sind die Sozialforen, über die verschiedene linke Zusammenhänge vernetzt sind und sich koordinieren. Sie kämpften mit den 13 Millionen Arbeitern, die am 15. April mit einem Generalstreik gegen ein Gesetz zur Verschlechterung des Kündigungsschutzes protestierten.



Herausforderung


In Deutschland ist die politische Polarisierung noch am wenigsten stark ausgeprägt. Weder haben wir eine starke extreme Rechte, noch ist die „radikale“ Linke in Deutschland so stark wie in Italien oder Frankreich. Die politische Entwicklung geht aber in die gleiche Richtung. Die Basis der Sozialdemokratie bricht durch ihre neoliberale Politik zusammen, Stoiber droht mit einem rechteren Image die Wahl zu gewinnen und nach drei Jahren rot-grüner Politik findet ein Emanzipationsprozess auf der Linken statt. So gab es gegen den Afghanistan-Krieg eine weitaus größere Proteste auf der Straße, als noch gegen den Kosovo-Krieg. Die IG Metall führt zum ersten Mal unter der Schröder-Regierung einen Streik und auch das Wachstum von ATTAC-Deutschland gehört zu diesem Prozess.


Diese Entwicklungen finden gleichzeitig statt, jedoch nicht automatisch miteinander. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein streikender Metaller gegen Bushs Kriegstreiberei protestiert. Ebenso wenig ist es selbstverständlich, dass ein Aktivist, der gegen die kapitalistische Globalisierung und Krieg mobilisiert, sich mit den Arbeitern der IG Metall solidarisch zeigt.


Hier liegt allerdings der Schlüssel für den Aufbau einer neuen Linken: Die antikapitalistische Linke muss um Einfluss in der Arbeiterbewegung kämpfen, damit eine politische Alternative zum Bankrott der Sozialdemokratie entstehen kann. Das bedeutet für das anstehende Wahljahr, dass die antikapitalistische Linke sich in den Wahlkampf einmischt. Der drohende Wahlsieg Stoibers und wie man ihn verhindern kann ist zur Zeit eine der wichtigsten politischen Fragen. Hier müssen wir uns deutlich gegen Stoiber stellen, um uns in die großen Debatten einmischen zu können. Mit einem scharfen Profil gegen Stoiber eröffnen wir uns eine breite Zuhörerschaft für eine Alternative zum Neoliberalismus von Schröder, der die Rechten erst hochgebracht hat. Hier können wir Mitstreiter für die antikapitalistische Bewegung und für eine revolutionäre Kraft darin gewinnen. Der Aufbau einer revolutionären Linken, die eine außerparlamentarische Perspektive anbieten kann, ist zugleich der Aufbau eines Pols der Hoffnung gegen den rechten Pol der Verzweiflung.


Die Zeit drängt – Le Pens Erfolg war ein Warnschuss!

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