Linksruck sprach mit Matthias Fritz über Tarifautonomie, Lohnrunde und außerparlamentarischen Widerstand.
Matthias, seit Wochen demonstrieren Metaller gegen die Aufweichung der Tarifautonomie. Worum geht es?
Tarifautonomie bedeutet, dass Tarifverträge in Deutschland zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber-Verbänden abgeschlossen werden. Die Regierung aber auch Betriebsräte müssen sich raushalten.
Zum Beispiel steht die 35-Stunden-Woche im Tarifvertrag. Die Betriebsräte regeln dann in jedem Betrieb mit der Geschäftsführung, wann die Arbeit beginnt und endet, die Schichtarbeit und Ähnliches.
CDU und FDP planen Gesetze, wonach diese Aufgabenteilung zulasten der Gewerkschaften verschoben wird. Betriebsräte dürfen aber nicht streiken und sind viel leichter erpressbar, zum Beispiel indem mit Schließung und Verlagerung gedroht wird.
Kanzler Schröder greift mit der "Agenda 2010" massiv den Sozialstaat an. Ist das ein Thema bei den Protesten für Tarifautonomie?
Ja, fast immer. Es gibt Metaller, die nur gegen CDU und FDP demonstrieren und die "Agenda" lieber weglassen würden. Aber die meisten sehen den engen Zusammenhang. Auch Schröder hat von den Gewerkschaften verlangt, mehr Abweichungen in den Betrieben zuzulassen. Die Agenda-Schweinereien treffen die Kollegen sehr direkt.
IG-Metall-Chef Peters hatte für die Tarifrunde einen Agenda 2010-Nachschlag angekündigt, um die Kürzungen auszugleichen. Die Forderung ist jetzt 4 Prozent mehr Lohn. Was sagen die Kollegen dazu?
4 Prozent sind kein Agenda-Nachschlag. Meistens erklären Gewerkschafts-Funktionäre auch, sie könnten mit der Tarifpolitik nicht die Belastungen durch die Sozialpolitik ausgleichen. Tatsächlich können wir nicht der "Agenda" zustimmen und dann in der Tarifrunde alles wieder zurückholen. Hier im Stuttgarter Raum machten die Kollegen übrigens Vorschläge für höhere Forderungen.
Gibt es einen Unterschied zwischen der Tarifrunde 2004 und vorherigen?
Ja, auf jeden Fall! Für jedes Zehntel Prozent, das wir rausholen wollen, müssen wir auch glaubwürdig gegen alle anderen Einschnitte und Drohungen vorgehen. Das heißt, den Sozialabbau zum Thema zu machen.
Die Unternehmer fordern Arbeitszeitverlängerung. Das bedeutet einerseits Kürzung des Stundenlohns, andererseits noch mehr Arbeitslose. Wenn diese Tarifrunde nicht politisch geführt wird, wird sie in den Sand gesetzt. Angesichts der Dauer-Propaganda der Bosse können wir nur mit offensiven Gegenvorschlägen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und des Sozialabbaus erfolgreich sein. Mit Berechnungen der Inflationsrate werden wir weder die Öffentlichkeit überzeugen noch unsere Kollegen mobilisieren.
Viele Kollegen aus der IG Metall waren bei der großen Demonstration gegen Sozialabbau am 1. November in Berlin. Wie wirkt sich das auf die Stimmung und die Diskussionen in den Betrieben aus?
Nach meiner Erfahrung positiv. Trotz der langen Fahrt waren alle zufrieden und haben das Gefühl, etwas bewirkt zu haben. Das verbreiten diejenigen auch im Betrieb. Jetzt bereuen auch etliche, nicht dabei gewesen zu sein.
Zur Demonstration am 1. November haben vor allem die Linken in den Gewerkschaften mobilisiert. Wie geht die Gewerkschaftslinke weiter vor?
Wenn nur die Linke mobilisiert hätte, wäre unser Erfolg nicht so groß gewesen. Wir Linken haben schon früh getrommelt.
Aber etliche Kollegen, die zu gewerkschaftlichen Grundsätzen stehen und die der Gewerkschaftsbasis zuhören, haben mitgezogen. Das hat uns den Durchbruch gebracht.
Ich hoffe sehr, dass in der IG Metall mehr erkennen, dass sich linke und basisnahe Gewerkschafter stärker vernetzen müssen, um wirksamer zu arbeiten.
In ganz Deutschland gehen Studierende gegen Bildungskürzungen auf die Straße. Wird in den Gewerkschaften darüber gesprochen?
Leider nicht. Jedenfalls nicht in Stuttgart, wo die Studierenden meines Wissens auch nicht protestieren. Dennoch haben wir in Deutschland einen Heißen Herbst. Es spricht nur niemand aus. Demonstrationen in Berlin und Wiesbaden, zehntausende aktiv bei betrieblichen Protesten, die Studenten streiken, und so weiter. Es wäre wichtig, bei allen Aktionen auch Vertreter anderer Proteste zu Wort kommen zu lassen und die gemeinsamen Ziele zu erklären.
Bei Mahle haben wir aus zwölf Standorten am 20. November gemeinsam vor der Zentrale in Stuttgart protestiert. Diese gemeinsame Aktivität haben wir zum ersten Mal erreicht. Erstmalig wurde dabei auch eine Bundesstraße blockiert.
Am 3. April ist ein weiterer Protesttag gegen Sozialabbau geplant, der noch größer werden soll, als der 1. November. Wie können wir das erreichen?
Ganz wichtig wäre, dass an diesem Tag Gewerkschaften aus ganz Europa protestieren. Viele Kollegen sehen die großartigen Streiks in Italien, Spanien oder Griechenland. Sie fragen sich: "Warum nicht bei uns?" und "Warum nicht gemeinsam?", und sie haben recht.
Tatsächlich sind die Angriffe auf unsere Rechte eine europaweite Offensive gegen die Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder die demografische Entwicklung bezüglich der Rentenversicherung sind nur Vorwände. Zu diesen Errungenschaften zählt übrigens auch eine Bildung, die für alle bezahlbar ist.Matthias Fritz ist Betriebsratsmitglied und IG-Metall-Vertrauenskörperleiter bei Mahle in Stuttgart und in der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken aktiv.