Seit mehreren Wochen protestieren Studenten in ganz Deutschland gegen geplante Reformen im Bildungsbereich. Monika Krala sprach mit Theophil Wonneberger über die Gründe und Perspektiven für die Proteste.
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Die Studenten der Humboldt-Universität sind am 20. November in den Streik getreten. Was sind die Gründe?
Der Anlass ist sehr aktuell. In dem Berliner Haushalt für 2004/05 sollen an den Unis 75 Millionen Euro eingespart werden. Das bedeutet, dass die HU ein Drittel ihrer Professuren streichen muss.
Die Politiker sagen aber, dass die Einsparungen notwendig sind, weil kein Geld da ist. Wie soll der Erhalt der Unis finanziert werden?
Faktisch haben die PolitikerInnen Recht, denn die öffentlichen Kassen sind ja tatsächlich leer. Aber gerade die PolitikerInnen sind ja dafür verantwortlich, dass das so ist. Die Bundesregierung setzt seit Jahren Steuererleichterungen für Reiche und Konzerne durch und hat zum Beispiel Kapitalerträge von der Steuer befreit. Auf lokaler Ebene ist es genauso. Berlin ist insgesamt mit 50 Milliarden verschuldet. Dazu kommt die 21 Milliarden Bürgschaft für den Berliner Bankenskandal. Das alles wird ständig verzinst. Die Schuldenfalle ist zugeschnappt. Es ist egal, wie viel der Senat kürzt. Denn auch wenn sie alles kürzen, können sie die Verschuldung damit nicht abbauen. Letztendlich brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Veränderung, um das Problem in den Griff zu kriegen. Wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten.
Auch in anderen Bundesländern streiken und protestieren Studenten. Was verbindet die Proteste?
Die Gemeinsamkeit besteht mit Sicherheit darin, dass sich die Studierenden eine freie, umfassende und qualitativ hochwertige Bildung wünschen. Und zwar eine Bildung, die eben nicht unmittelbar auf die Bedürfnisse des Marktes zugeschnitten und direkt verwertbar ist, sondern eben eine kritische Bildung.
Warum ist die Form des Protests ein Streik?
Wir haben uns für einen Streik entschieden, um Druck auf die Politik, aber auch auf die Uni-Leitung auszuüben, und um Raum für Diskussionen zu schaffen Außerdem konfrontieren wir dadurch wirksamer unsere Mitstudierenden mit den Problemen, weil sie nur noch die Wahl haben, entweder nach Hause zu gehen oder sich an den Protesten und Veranstaltungen zu beteiligen. Wir brauchen diesen Raum, um über die wahren Ursachen der Misere aufzuklären und um Alternativen zu dieser Politik diskutieren und entwickeln zu können. Z. B. wollen wir klar machen, dass es bei den Kürzungen keine Tabus geben darf. Es kann nicht sein, dass Berlin täglich 6 Millionen Euro Zinsen zahlen muss, aufs Jahr gerechnet 2 Milliarden, das ist das 27-fache der Bildungskürzungen. Außerdem müssen wir auch über Möglichkeiten der Einnahmenerhöhung sprechen, z. B. durch Vermögenssteuer oder Erhöhung der Erbschaftssteuer.
Der neueste Kommentar in der Berliner Zeitung behauptet die Studenten seien in ihrem Protest isoliert. Was denkst du?
Wenn man ab und zu in die Zeitung schaut, dann weiß man, dass wir nicht isoliert sind. Am 1. November haben 100.000 Menschen in Berlin gegen die Kürzungspolitik in Deutschland protestiert. Es sind nämlich nicht nur die Studierenden betroffen. Kindergartenplätze werden zusammengestrichen, Schwimmbäder werden kaputt gespart, älteren Menschen wird die Rente gekürzt. Statt die wirkliche soziale Schieflage in der Republik zu thematisieren, werden Bevölkerungsgruppen aufeinander gehetzt: Arbeitende gegen Erwerbslose, Junge gegen Alte, Gesunde gegen Kranke. Wir erleben eine aktive Politik der Entsolidarisierung. Das Projekt, das in diesem Land im Moment durchgezogen wird, ist ein Frontalangriff auf alle bestehenden sozialen Sicherungssysteme und damit auf alle, die davon in irgendeiner Form abhängig sind. Mit dieser Politik tut sich ein großer Spalt auf zwischen den wenigen reichen Nutznießern und der großen Masse, die dabei immer mehr verliert.
Wie können die Streiks gewinnen?
Wir müssen als erstes dafür sorgen, dass der Protest auf breiten Füßen steht, aber sich auf wenige konkrete Forderungen bezieht. Zweitens ist es wichtig, sich mit den anderen betroffenen Gruppen zu solidarisieren, um gemeinsam gegen die Rotstiftpolitik vorzugehen. Es macht keinen Sinn, nur bei den lokalen Protesten und nur bei dem Thema Bildung zu bleiben. Wir haben dank der Besetzung der Uni Raum für politische Diskussion geschaffen und müssen ihn auch nutzen. Deswegen bieten wir von der attac-Gruppe aus jeden Tag Veranstaltungen an, zum Beispiel zur Agenda 2010, zum Sparzwang oder zu verschiedenen Wirtschaftstheorien. Und wir hoffen, dass sich so viele wie möglich an diesen Diskussionen beteiligen. Ob Studierende, ProfessorInnen, Mensaangestellte oder auch alle anderen, die sich eine andere, eine gerechte Welt wünschen.Theophil Wonneberger ist Mitglied bei der attac-Campus Gruppe an der Humbuldt-Universität zu Berlin.