Die EU-Politik verschärft die Spannungen zwischen den Nationalitäten auf dem Balkan. Die Linke muss sich dem entgegen stellen.
Seit Jahren hat sich an der Gewalt im Kosovo nichts geändert. NATO-Soldaten suchen nach Waffen, Dezember 2004 |
Die Lage im Kosovo ist so angespannt wie seit Jahren nicht mehr. Im April haben albanische Nationalisten das berühmte serbisch-orthodoxe Kloster Decani mit Mörsergranaten angegriffen. Im Februar endeten Proteste albanischer Studenten mit zwei Todesopfern. Sie waren zu einem Regierungsgebäude in der Hauptstadt Pristina marschiert, woraufhin die dort stationierte internationale Polizei Tränengas und Gummigeschosse gegen sie einsetzte. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kosovo-Albanern, den dort lebenden Serben und den ausländischen Besatzern.
Nach dem NATO-Krieg gegen Serbien 1999 bekam der Kosovo den Status eines autonomen Territoriums innerhalb Restjugoslawiens und fiel unter UN-Verwaltung. Alle wichtigen politischen Entscheidungen gehen seitdem von der UN-Verwaltung UNMIK (UN Mission im Kosovo) aus. Sie bestimmt über die Genehmigung des Haushalts, Recht und Ordnung, Ernennung von Richtern, Außenbeziehungen, Verwaltung des öffentlichen Eigentum, Zoll- und Geldpolitik. Der Lebensstandard der Bevölkerung ist seit Krieg stark gefallen. Im Jahr 2003 begann die von UNMIK geleitete Kosovo Treuhandagentur mit der Privatisierung staatlicher Unternehmen. Viele dieser Unternehmen wurden von westlichen Konzernen übernommen, die massenhaft Arbeitsplätze abbauen. Die entlassenen Arbeiter versuchen meist, sich als Kleinbauern ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und sind oft auf Unterstützung durch Familienangehörige angewiesen, die bei der internationalen Verwaltung oder in Westeuropa arbeiten und Geld schicken. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo liegt bei 50%, unter den jungen Menschen sogar bei über 70%. Die Gehälter reichen nicht, um die lebensnotwendigen Ausgaben zu sichern. Im öffentlichen Dienst, dem größten Arbeitgeber im Kosovo, wurden sie in letzter Zeit sogar noch gesenkt. Ein Lehrer verdient nun 129 Euro im Monat. Rentner müssen mit einer Mindestrente von monatlich 35 auskommen. Die Trennung der Bevölkerung entlang ethnischer Linien ist weitgehend durchgesetzt, die serbische Minderheit lebt in Enklaven im Norden, das Parlament wird gemäß der ethnischen Zusammensetzung des Kosovos bestimmt.
Die Aktionen albanischer Nationalisten richten sich gegen den Plan zur Zukunft des Kosovo, den die EU durchzusetzen versucht. Dieser Plan ist nach seinem Autor, dem ehemaligen finnischen Premierminister und jetzigen UNO-Beauftragten Ahtisaari, benannt. Aufgrund der katastrophalen sozialen Lage im Kosovo fällt der Widerstand dagegen in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden.
Ahtisaaris Plan: Ein ethnisch geteiltes EU-Protektorat
Der Ahtisaari-Plan sieht die Unabhängigkeit des Kosovo unter einer internationalen Kontrolle als die einzige lebensfähige Variante zur Lösung des Kosovo-Problems vor. Den Plan entwarf Ahtisaari im Auftrag und in Abstimmung mit der EU, allerdings ohne Absprache und Zustimmung der Konfliktparteien vor Ort. Er sieht eine endgültige Abtrennung des Kosovo von Serbien vor, nicht aber die völkerrechtliche Souveränität des neu zu schaffenden Kleinstaates. Die Provinz soll eine eigene Nationalhymne und eine Flagge bekommen, eine kleine Armee unterhalten und in internationale Organisationen eintreten dürfen. Alle wesentlichen Entscheidungen in der Innen- und Außenpolitik will aber die EU treffen. Dafür soll eine EU-Kolonialverwaltung für den Kosovo eingerichtet werden, deren Sicherheit und Durchsetzungskraft stationierte NATO-Truppen und europäische Polizeieinheiten garantieren sollen.
Außerdem soll die ethnische Trennung der Bevölkerungsgruppen ähnlich wie in Bosnien institutionalisiert werden. Dazu sollen die serbischen Enklaven und Klöster zu Schutzzonen umgebaut und mit Stacheldraht vom restlichen Kosovo abgetrennt werden. Auch ihren Schutz sollen NATO-Truppen garantieren. Die NATO hätte eine gute Rechtfertigung für ihre ständige Stationierung, solange ethnische Spannungen zu befürchten sind.
In Serbien stößt dieser Plan auf breite Ablehnung. Selbst der prowestliche Flügel um Staatspräsident Boris Tadic will einer Abtrennung von 15 Prozent des serbischen Territoriums nicht akzeptieren. Aber auch auf der albanischen Seite nehmen selbst die Politiker der vom Westen eingerichteten albanischen Selbstverwaltung den Ahtisaari-Plan nur mit verhaltener Zustimmung auf. Die Bevölkerungsmehrheit lehnt ihn ab. Besonders lautstark kritisiert den Plan die nationalistische Bewegung für Selbstbestimmung (Vetevendosje!). Die Vetevendosje! erhält starken Zulauf vor allem von Studenten und jungen Kosovaren, die in ihr eine Hoffnung ihrer verzweifelten sozialen Lage ausmachen. Seit 2003 wird sie von Albin Kurti angeführt, der bis 1998 ein enger Mitarbeiter des UCK-Sprechers Adem Demaci war. Vetevendosje! wendet sich gegen weitere Verhandlungen mit der serbischen Seite, fordert den Abzug der UNMIK und der ausländischen Truppen und kritisiert die von ehemaligen UCK-Führern dominierten Organe der albanischen Selbstverwaltung im Kosovo wegen ihrer Kompromissbereitschaft und Korruption. Die Bewegung verknüpft die Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit mit sozialen Themen und insbesondere mit der Situation junger Kosovaren: Jährlich treten Zehntausende junger Kosovaren neu auf den Arbeitsmarkt, der nur den wenigsten eine reguläre Beschäftigung bieten kann. Es ist eine Generation, die mit ansehen musste, wie sich Kriegshelden in korrupte Politiker und Geschäftsleute verwandelten, und die sich auf der anderen Seite fragt, welche Berechtigung die riesigen Gehälter der Internationalen eigentlich haben, wenn es sieben Jahre nach Kriegsende noch nicht einmal ein funktionierendes Stromnetz gibt. Mit ihren Aktionen hat sich Vetevendosje! zur einzigen wirklichen Opposition in Kosovo entwickelt. Die albanische Marionettenregierung und die UN-Verwaltung nehmen sie deshalb zunehmend ernst.
Die albanischen Nationalisten streben den Abzug der ausländischen Truppen und der EU nur als einen Schritt zu ihrem Ziel an, ein Großalbanien zu erschaffen. Sie wollen letztlich die vollständige Souveränität des Kosovo, die Vertreibung der serbischen Minderheit und einen Zusammenschluss mit dem Nachbarland Albanien.
Strategien des Westens
Die westlichen Industriestaaten verfolgen im Umgang mit dem Kosovo unterschiedliche Ziele und Strategien, die das Potential für künftige Spannungen enthalten. Sie verfolgen mit dem Herausbrechen des Kosovo aus der Republik Serbien ihren Kurs weiter, die Herrschaft über die Staaten des ehemaligen Ostblocks zu festigen. Eine Methode hierzu ist die Unterstützung der Aufspaltung mittel- und osteuropäischer Staaten in keine Einheiten. Denn gegenüber solchen wirtschaftlich und politisch schwachen Kleinstaaten können die internationalen Finanzorganisationen oder die EU ihre Forderungen leicht durchsetzen. Die Pläne für die Unabhängigkeit des Kosovo laufen auf die Einrichtung eines Protektorats unter EU-Aufsicht hinaus. Das Vorhaben zielt auf eine langfristige Unterordnung der Provinz und eine Schwächung des einzigen verbliebenen potentiellen Verbündeten Russlands in Zentraleuropa, Serbien, ab.
Es ist bezeichnend, dass die USA und die EU in der Kosovo-Frage nicht vollständig an einem Strang ziehen. Die USA drängen auf eine möglichst schnelle Lösung der Kosovo-Frage und befürworten eine rasche und vollständige Unabhängigkeit des Kosovo in Konfrontation zu Russland und Serbien. Russland hat bisher alle gegen die Interessen Serbiens gerichteten Vorschläge des Westens abgelehnt. Langfristig orientieren die US-Strategen auf eine mögliche Vereinigung des Kosovo mit Albanien, denn sie sehen, dass die Provinz allein nicht überlebensfähig wäre.
Die deutsche Bundesregierung unterstützt zwar grundsätzlich die Abspaltung des Kosovo, möchte aber Russland nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem fürchten die deutschen Außenpolitiker, dass eine schnelle und vollständige Unabhängigkeit anti-westliche Kräfte in Serbien stärken könnte. Daher treten sie für Nachverhandlungen mit beiden Seiten ein, um internationale Spannungen zu vermeiden und gleichzeitig ihren Einfluss zu erweitern.
Im Rahmen der EU treiben Deutschland und Frankreich die Übernahme eines weiteren Teils des bisherigen Einflussgebietes der USA voran. So will die EU bis zu 1500 Sicherheitskräfte und Justizbeamte im Kosovo einsetzen. Sie sollen die kosovarische Polizei anleiten und im Einsatz begleiten. Letztlich würde das staatliche Gewaltmonopol im Kosovo bei der EU, und das heißt hauptsächlich bei Deutschland und Frankreich, liegen. Die griechische Regierung sieht diese Ausweitung des Einflusses der beiden großen Mächte in dieser Region nicht gern.
Auch befürchtet sie, dass eine Abspaltung des Kosovo die bulgarischen und mazedonischen Minderheiten im Norden Griechenlands ermutigen könnte, auch eine Loslösung ihrer Gebiete zu fordern.
Tatsächlich drohen die westlichen Pläne, ethnisch definierte neue Staaten auf dem Balkan zu schaffen, die Spannungen im Kosovo auf die Region auszuweiten. Denn die albanischen Nationalisten im Kosovo streben ein Großalbanien an, das nicht nur aus dem Kosovo und Albanien bestehen soll, sondern auch die albanische besiedelten Gebiete Mazedoniens und Südserbiens umfassen soll. Eine Abspaltung des Kosovos würde den nationalistischen Kräften in diesen Ländern weitere Legitimation für die Abspaltung der dortigen Gebiete geben.
Nationalismus und Imperialismus
Der albanische Nationalismus im Kosovo und die Bewegung für Selbstbestimmung treten zu Recht gegen die Kolonialisierung des Kosovo durch den Westen ein. Ihre Kritik an der Politik der EU trifft den richtigen Punkt, dass es dem Westen keineswegs um die Selbstbestimmung der Kosovaren geht. Es ist tragisch, dass ihnen das nicht schon zur Zeit des NATO-Krieges von 1999 klar war. Bis heute halten sie sich mit einer Kritik der US-Außenpolitik zurück.
Aber ihre Perspektive einer ethnischen Säuberung des Kosovo und der Errichtung eines Großalbanien ist nicht nur nationalistisch, sondern auch rassistisch und gewalttätig. Sie gießt Öl auf das Feuer der sprichwörtlichen Balkanisierung der Region, an deren Ende eine Vielzahl lebensunfähiger Kleinstaaten stehen könnte, die von westlichen Imperialmächten abhängig wären. Der Weg dorthin könnte nur über weiteres Blutvergießen unter den verschiedenen nationalen Gruppen des Balkan führen.
Aktuell ist die serbische Minderheit im Kosovo von der Vertreibung durch die großalbanischen Nationalisten bedroht. Diese zeigten drastisch im März 2004, wie weit sie zu gehen bereit sind. Damals setzten 50.000 Kosovo-Albaner etwas in Gang, das als Kristallnacht beschrieben wurde. Serben wurden angegriffen, Häuser, Kirchen und Klöster in Brand gesetzt. Die damalige Bilanz: 19 Tote, ca. 1.000 Verletzte, 3.600 vertriebene Serben.
Darüber hinaus stärkt die Zersplitterung des Balkan den Einfluss der großen Imperialmächte in ganz Süd-Osteuropa. Dabei würden sie wie auch schon 1999 das Völkerrecht brechen und mit Vorankündigung die Einheitlichkeit eines Staates, in diesem Falle Serbiens, zerstören, um ihre geostrategischen Interessen durchzusetzen.
Die albanischen Nationalisten berufen sich in ihrer Argumentation auf des Selbstbestimmungsrecht der Nationen, wie es die UNO-Charta garantiert und zitieren Führer nationaler Befreiungsbewegungen wie Che Guevara und Mahatma Gandhi.
Eine wirklich Erfolg versprechende Perspektive für die drängenden sozialen und politischen Probleme des Kosovo wie auch der anderen Balkanstaaten muss internationalistisch sein, um die Vorherrschaft der NATO und der EU Widerstand entgegensetzen zu können. Statt auf den Kampf der einzelnen ethnischen Gruppen gegeneinander und um die spärlichen Mittel, die der Westen zur Verfügung stellt, sollten die politischen Parteien der Region auf die Möglichkeit des friedlichen Miteinanders der Menschen und Bewegungen der Solidarität von unten setzen.
Bereits vor 100 Jahren war die Lage auf dem Balkan ähnlich verworren und problematisch wie heute. Damals argumentierte Leo Trotzki, dass es nur zwei Möglichkeiten gebe, den Flickenteppich der Zwergstaaten auf dem Balkan zugunsten eines lebensfähigen Staates auflösen: Entweder durch die Ausdehnung eines Balkanstaates, der sich als stärkster erweist, auf Kosten der schwächeren – das ist der Weg der Vernichtungskriege und der Unterdrückung schwacher Nationen, ein Weg, der den Monarchismus und Militarismus festigt; oder von unten, durch den Zusammenschluss der Völker selbst – das ist der Weg der Revolution, der den Sturz der Balkandynastien bedeutet.