Ohne SDS keine APO

„Wir brauchen einen neuen SDS“ sagte Oskar Lafontaine zum Auftakt des „Get up -stand up“-Studentenkongresses in Frankfurt. In einer zweiteiligen Serie erzählt Linksruck die Geschichte der wichtigsten linken Studentenorganisation.


Literaturtipp

Der vorliegende Text ist ein leicht veränderter Auszug aus der Broschüre „1968 – Alle reden vom Scheitern – Wir nicht!“ von Stefanie Haenisch. Die Brochüre ist für 1 Euro in kopierter Form bei der edition aurora erhältlich (www.edition-aurora.de)

Die beste Darstellung zur Geschichte des SDS ist die „Kleine Geschichte des SDS“ von Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker. Das Buch ist leider nur antiquarisch zu erhalten. Bei der edition aurora könnt ihr aber Kopiervorlagen bestellen (www.edition-aurora.de)

„Wir brauchen einen neuen SDS“ sagte Oskar Lafontaine zum Auftakt des „Get up -stand up“-Studentenkongresses in Frankfurt. In einer zweiteiligen Serie erzählt Linksruck die Geschichte der wichtigsten linken Studentenorganisation.

Ohne den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und die revolutionäre, antiautoritäre Strömung in ihm wäre aus den verschiedenen Protesten gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, die Hochschulreform, die Große Koalition usw. keine mehrere Jahre aktive, sich zunehmend politisierende, revolutionäre Studentenbewegung, keine APO, entstanden. Dem SDS gelang es, den inhaltlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Protesten herzustellen und als einheitlichen Kampf zu organisieren.

1961 war der SDS aus der SPD ausgeschlossen worden, weil er sich den Konsequenzen der mit dem 1959 beschlossenen Godesberger Programm vollzogenen offenen Anpassung der SPD an den Kapitalismus nicht unterwerfen wollte. Im Gegensatz zur SPD lehnte er weiter die Bundeswehr und die atomare Aufrüstung ab.

Der SDS arbeitete als selbständige Organisation weiter. Zunächst verstand er sich in erster Linie als Organisation der sozialistischen Intelligenz. Erst Mitte der 60er Jahre begann der SDS verstärkt, unmittelbar Interessen der Studenten zu vertreten. In dieser Zeit gewinnt auch die revolutionäre antiautoritäre Strömung Einfluß, zunächst in Berlin.

Die interessante Frage ist, wie es einer sozialistischen Organisation gelingen konnte, die politische Führung in einer Bewegung aufzubauen, deren Teilnehmer anfänglich weitgehend „unpolitisch“ und ganz bestimmt nicht sozialistisch waren.

Aufgrund seiner marxistischen Analyse der Hochschule im Kapitalismus hatte der SDS schon Anfang der 60er Jahre erkannt, daß die Masse der Studenten nicht mehr der herrschenden Klasse, der Elite, zugerechnet werden konnte. In seiner Hochschuldenkschrift hielt der SDS fest: „Seitdem die Hochschule … zunehmend als ein ‘Betrieb’ im Zusammenhang des gesamtgesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsprozesses anwendbare Forschungsergebnisse und einsetzbare, fachwissenschaftlich qualifizierte Arbeitskraft produziert, ist auch der Student faktisch ein junger intellektueller Arbeiter, der im Arbeitsprozeß der Wissenschaft ausgebildet wird.“ Weil der SDS in der Masse der Studenten nicht mehr die Kinder der herrschenden Klasse sah, konnte er seine Aufgabe darin sehen, für die gemeinsamen Interessen aller Studenten einzutreten, unabhängig davon, ob die nun schon klar erkannt waren und unabhängig von den verschiedenen politischen Orientierungen der Studenten.

Dann hatte der SDS, insbesondere in Berlin, die Erfahrung gemacht, daß sich die Universitätsverwaltung beharrlich weigerte, Vorschläge zur demokratischen Reform der Hochschule auch nur ernsthaft zu diskutieren. Das führte zu einer Desillusionierung der studentischen Hochschulpolitiker und zur Einsicht in die Vergeblichkeit von ‘Kabinettspolitik’.

Die Antiautoritären im SDS sahen die Aufgaben von Studentenvertretern nicht länger in der Repräsentanz studentischer Interessen. Studentenvertreter wurden vielmehr verstanden als Geburtshelfer der Selbstaktivität und Selbstorganisation der Studenten im Kampf um ihre Interessen. Um einen Kampf wirkungsvoll zu führen, mußten die Studenten demokratisch entscheiden können, wofür und wie sie kämpfen. Verhandlungen mit Vertretern der Universität sollten möglichst öffentlich sein, damit eine Kontrolle möglich war. Auf jeden Fall wurde über Verhandlungen und die dabei auftretenden Konflikten genauestens informiert, Geheimdiplomatie fand nicht mehr statt, weiteres Vorgehen wurde öffentlich diskutiert und in Vollversammlungen entschieden.

Zum anderen, und das war noch wichtiger, befähigte der SDS die Studenten inhaltlich, sich Urteile zu bilden. Dabei traten die revolutionären SDSler keineswegs als Schulmeister oder verständnisvolle Pädagogen auf. Sie vertraten offensiv und entschieden ihre radikalen sozialistischen Vorstellungen in bezug auf das Vorgehen und die Beurteilung der jeweiligen konkreten politische Fragen und begründeten ihre Position mit ihren Auffassung über die gesellschaftlichen Zusammenhänge. Eine kontroverse Debatte, die erst politische Urteile möglich macht, konnte stattfinden und fand statt. Die antiautoritären SDSler verstanden sich als revolutionäre politische Führung. Sie waren sich bewußt, daß sie diese Führung immer wieder durch Überzeugung neu erringen mußten.

Schließlich vertrat die antiautoritäre Strömung ein neues Konzept der Aufklärung, nicht reine Aufklärung, sondern „Aufklärung durch Aktion“ , eine Übersetzung eines Teils der dritten Feuerbachthese von Marx: „Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit der Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.“ Das hieß auch ein marxistische Verständnis des Verhältnisses von Theorie und Praxis: indem die Umstände praktisch geändert werden, entstehen erst neue Möglichkeiten der Erkenntnis. Insofern kam es der Mehrheit im SDS darauf an, in der Aktion den konkreten Erfahrungsprozeß zu organisieren, über den verallgemeinerte Erkenntnisse über die Zusammenhänge in der Gesellschaft gewonnen werden konnten. Gemeinsamer Kampf war kollektiver Erkenntnisprozeß.

Im Sommersemester 1966 gelang es dem SDS erstmals, an der Freien Universität (FU) Berlin, die Kluft zwischen sozialistischer Organisation und studentischer Interessenvertretung zu überwinden. Es entstand eine gemeinsame Bewegung von Studenten, die weit über den Kreis sozialistisch orientierter Studenten hinausreichte.

An der medizinischen und juristischen Fakultät der FU, den Hochburgen der Korporationen hatten die Professoren entsprechend den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz die befristete Immatrikulation, sprich Zwangsexmatrikulation eingeführt. Die Universitätsregierung, der Akademische Senat, lehnte ein Eingreifen in die Autonomie der Fakultäten ab. Eine Urabstimmung der Studenten über die Einführung der Zwangsexmatrikulation war verboten worden.

Auf einem Treffen zwischen dem Vertreter des völlig konservativen Cartellverbandes der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen, in dem sehr viele angehende Mediziner und Juristen organisiert waren, und dem Vertreter des Berliner SDS wurde ungeachtet der übrigen riesigen politischen Differenzen ein gemeinsames Aktionsprogramm zur Verhinderung der Zwangsexmatrikulation abgesprochen. Uwe Bergmann schreibt in dem Buch „Das Streiksemester 1966“: „Am Nachmittag des 22. Juni 1966 versammelten sich über 3000 Studenten unter den Fenstern des Senatssaals. Da die studentischen Senatssprecher die Vertraulichkeit der Sitzung durchbrochen hatten, indem sie die geheime Tagesordnung veröffentlicht hatten, war es der Protestversammlung möglich, die gleichen Probleme wie der Senat öffentlich zu diskutieren.“

Damit erhoben die Studenten ihren Anspruch, an Entscheidungen der Hochschule beteiligt zu sein, was damals noch in keiner Weise möglich war. Bergmann weiter: „Von der Versammlung gewählte Delegierte forderten Rektor und Senatoren auf, an dieser öffentlichen Diskussion teilzunehmen, um ihre Beschlüsse vor und mit den Betroffenen zu diskutieren. Als sich die weigerten, zogen die Studenten in das Gebäude und begannen einen Sitzstreik. Die dort fortgesetzte Diskussion wurde kurz durch das Erscheinen des Rektors unterbrochen, der den Studenten ein Gespräch mit den Studentenvertretern in Aussicht stellte und sie im übrigen aufforderte, nach Hause zu gehen.“

Auf Vorschlag eines SDSlers und auf Beschluß der Versammlung wurde das sit-in in ein anderes Gebäude verlegt. Nach 10stündiger Diskussion, auf der SDS-Mitglieder zu allen anstehenden Themen Einführungsreferate gehalten hatten, wurde eine vom SDS vorgelegte Resolution verabschiedet, nicht nur von Linken, sondern auch von Hunderten der anwesenden Korporierten. Darin wurde erklärt, daß der Konflikt an der FU Teil eines Konflikts in der Gesellschaft ist, „dessen Zentralgegenstand weder längeres Studium noch mehr Urlaub ist, sondern der Abbau oligarchischer Herrschaft und die Verwirklichung demokratischer Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen“. Für Wolfgang Lefevre, der eine „Gecschichte der Berliner Studentenbewegung“ schrieb war das Sit in ein erster Wendepunkt: “In dieser, in einer Massendiskussion hervorgebrachten theoretischen Verlängerung der Linien des inneruniversitären Konflikts überwanden die Studenten zum einen ihre Vorstellung, daß die inneruniversitären Konflikte sich hauptsächlich einer, im Vergleich zur Gesamtgesellschaft, rückständigen Universitätsstruktur verdanken, und überwanden damit zum anderen ihr blindes Vertrauen, daß ihre Gesellschaft grundsätzlich den Anforderungen von Rationalität und Demokratie Verwirklichung verschaffe.“

Der Durchbruch von der Berliner zur bundesweiten Studentenbewegung gelang ein Jahr später, nach dem 2. Juni 1967.

Nach einer Demonstration in Berlin gegen den Schah von Persien kam es, ohne ersichtlichen Anlaß, zu einem harten Polizeieinsatz. Dabei wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten durch einen Kopfschuß von hinten getötet. Der Berliner Senat, das Abgeordnetenhaus, die Polizei und die Springer-Presse verschärften die schon lange vor dem 2. Juni begonnene lügenhafte Hetze gegen den SDS und die linken Studenten. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Albertz, verbreitete über den Rundfunk: „Die Geduld der Stadt ist am Ende. Einige Dutzend Demonstranten, unter ihnen auch Studenten, haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen Gast … beleidigt zu haben, sondern auf ihr Konto gehen auch für ein Toter und zahlreiche Verletzte – Polizeibeamte und Demonstranten.“ Die Bild-Zeitung log: „Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für Demonstranten halten. Ihnen genügt der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die rote Fahne und sie meinen die rote Fahne.“ Die BZ: „Das ist Terror … Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen.“ Der Senat erließ ein Demonstrationsverbot und beschloß die Einrichtung von Schnellgerichten. Die Rektoren der Universitäten sagten zu, daß gegen Studenten, die an den „Ausschreitungen“ beteiligt waren, Disziplinarverfahren eingeleitet würden. Außerdem sollte ein Gesetz zur Beschleunigung von Disziplinarverfahren an der Universität durchgesetzt werden. Die Gewerkschaft der Polizei forderte auf Plakaten auf: „Wehren wir den Anfängen! Wir Bürger unserer Stadt … treten wir … gemeinsam jenen Kräften entgegen, die das Maß der freien Meinungsäußerung und der Demonstrationsfreiheit bei weitem überschreiten…“.

Der SDS, der an fast allen Hochschulen vertreten war, war die Instanz, die die wirklichen Tatsachen verbreitete. Der SDS organisierte erfolgreich die Gegenöffentlichkeit: Gegen die von Politikern und Presse verbreiteten Lügen gingen in Westdeutschland etwa 25 000 bis 30 000 Studenten auf die Straße. Überall bildeten Studenten „Komitees für Öffentlichkeit“, um eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. In Berlin organisierte der AStA einen eigenen Untersuchungsausschuß, weil kein Vertrauen mehr in Justiz und Polizei bestand. In knapp einem Monat gab es allein in Berlin 20 verschiedene Flugblätter mit einer Gesamtauflage von 300.000 Exemplaren, die von den studentischen Komitees auf den Straßen und vor Betrieben verteilt und mit der Bevölkerung diskutiert wurden.

Der Senat hatte ein Demonstrationsverbot verhängt. Der SDS brachte es auf den Punkt, wie es im „Schaufenster des Freien Westens“ aussah: „In Ostberlin herrscht Demonstrationsverbot … in Westberlin herrscht Demonstrationsverbot.“ Schon 10 Tage nach dem Erlaß des Demonstrationsverbots in Berlin mußte der Senat unter dem Druck der Gegenöffentlichkeit eine Demonstration „gegen das Vorgehen der Polizei und der politischen Instanzen am 2. 6. 67“ genehmigen. Die Auflage, für 50 Demonstranten einen Ordner zu stellen , wurde dahingehend erfüllt, daß etwa 4900 Ordner 100 Demonstranten begleiteten.

Nach dem Juni 1967 politisierte und verbreiterte sich die Studentenbewegung in der BRD weiter, auch unter den Schülern und Lehrlingen. In Berlin kam es zu ersten Versuchen einer „Kritischen Universität“. Die Delegiertenkonferenz des SDS im Herbst 1967 verabschiedete zwei für die Folgezeit wichtige Resolutionen – zur Hochschulpolitik und zur Manipulation; eine Anti-Springer-Kampagne wurde versucht, die Kampagne gegen die Notstandsgesetze ging weiter. Für die revolutionären Studenten wurde der für Februar 1968 in Berlin vorbereitete Internationale Vietnam-Kongreß ein wichtiger Orientierungspunkt. Er bekam eine noch größere Bedeutung, als Anfang Januar 1968 mit der Tet-Offensive die vietnamesische nationale Befreiungsbewegung den Angriff auf das Herz der amerikanischen Militärmaschine in Saigon wagte.

Das Verbot der Schlußdemonstration des Vietnam Kongresses war vom Berliner Verwaltungsgericht aufgehoben worden. 15.000 demonstrierten unter den Bildern berühmter Revolutionäre in der Frontstadt des „Freien Westens“ gegen den amerikanischen Krieg in Vietnam, in dem nach offizieller Lesart der Regierenden und der Presse die Amerikaner auch die Freiheit Berlins verteidigten.

Der Spiegel veröffentlichte eine Blitz-Umfrage unter Schülern und Studenten. Auf die Frage „In vielen deutschen Städten demonstrieren Jugendliche. Finden sie das gut?“ antworteten 67 Prozent mit Ja. Selber protestieren würden insgesamt 58 Prozent. 27 Prozent der Befragten sagten, sie würden mit Rudi Dutschke übereinstimmen.

Fünf Tage nach dem Vietnam-Kongreß polarisierten in Berlin ÖTV, Senat, Springer-Presse, CDU, einige FU-Professoren und Schauspieler das politische Klima weiter, in dem sie zu einer Gegendemonstration aufriefen. Alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst und Arbeiter und Angestellte aus zahlreichen Privatbetrieben hatten für die Demonstration arbeitsfrei bekommen! Nach Schätzungen der Berliner Polizei beteiligten sich 60.000 an dem Aufmarsch. Selbstgemalte Plakate mit Parolen wie „Politische Feinde ins KZ“, „Bei Adolf wäre das nicht passiert“, „Bauarbeiter, seid lieb und nett, jagt Dutschke und Konsorten weg!“, „Dutschke, Volksfeind Nummer eins“, „Dutschke, raus aus West-Berlin“, „Wir fordern harten Kurs gegen den SDS“ konnten ohne sichtbaren Protest getragen werden. „Nach Schluß der Versammlung elektrisierte das Wort ‘Dutschke ist hier’ noch einmal mehr als tausend Personen. Unter Gejohle stürtzte man sich zu dem vermeintlichen Aufenthaltsort des „SDS-Ideologen“. Man suchte Dutschke, doch man fand ihn nicht. Schließlich wurde Dutschke in einem Geschäft mit Grabsteinen vermutet. Mehr als 100 Polizisten mit gezogenen Schlagstöcken mußte die Massen davor zurückhalten, das Geschäft zu stürmen.“ An einer anderen Stelle mußte die Polizei einen jungen Mann, der Dutschke ähnelte, vor einer Menge retten, die auf ihn einschlugen und schrien: „Schlagt ihn tot, hängt ihn auf.“

Noch keine zwei Monate später schoß ein aus München angereister Arbeiter und Hitler-Fan dreimal auf das „Kommunistenschwein“ Dutschke und brachte ihm lebensgefährliche Kopfverletzungen bei.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat auf Dutschke gab es in Berlin und in vielen anderen Städten Westdeutschlands spontane Versammlungen, für die klar war, was der SDS in einem Flugblatt formulierte: „Bachmann hat geschossen, Springer hat gezielt!“„Ungeachtet der Frage, ob Rudi das Opfer einer politischen Verschwörung wurde: Man kann jetzt schon sagen, daß dieses Verbrechen nur die Konsequenz der systematischen Hetze ist, welche der Springer-Konzern und Senat in zunehmendem Maße gegen die demokratischen Kräfte in dieser Stadt betrieben haben.“ Schon am Abend des Gründonnerstags, an dem Dutschke angeschossen worden war, kam es zu spontanen Demonstrationen zu den Springer- Häusern oder Druckereien, um der Losung „Enteignet Springer“ durch Verhinderung der Auslieferung der Springer-Blätter Ausdruck zu geben. Als in Berlin ein agent provocateur des Verfassungsschutzes Molotow-Cocktails auf Bild-Transporter warf und sie in Brand setzte, entsprach das der Stimmung der Demonstranten, auch wenn keiner dies getan hätte. In den folgenden Tagen wurden die Auslieferungshäuser noch stärker belagert. Es kam zu immer größeren Demonstrationen gegen den Springer-Konzern. Allein am Ostermontag zogen über 45.000 Demonstranten in mehr als 20 Städten der BRD und Westberlin vor die Springer-Häuser und forderten die Enteignung.

Der Teilnehmerkreis der Demonstrationen ging weit über die Studenten hinaus, insbesondere junge Arbeiter und Angestellte schlossen sich den Aktionen an. Bundesinnenminister Benda bewies das mit einer Aufgliederung der sozialen Zusammensetzung von 847 Beschuldigten der Osterunruhen: Von ihnen sind „87 bis zu 18 Jahren alt, 210 zwischen 19 und 21 Jahren, 246 zwischen 22 und 25 Jahren, 286 Personen sind älter als 25 Jahre. Nach Berufen aufgegliedert ergibt sich folgendes Bild: 92 sind Schüler, 286 sind Studenten, 185 Angestellte, 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 97 ohne Beruf, unbekannt ist der Beruf bei 26 Personen. Meine Damen und Herren – diese Aufgliederung scheint mir zu zeigen, wie falsch es wäre, die Gewaltaktionen als Studentenunruhen zu bezeichnen.“
„Nicht eine allgemeine Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, sondern ihre oppositionelle Praxis wird die Studenten begreifen lassen, daß ihre Emanzipation an die der Arbeiterklasse geknüpft ist.“
Diese Aussage aus der Hochschulresolution des SDS vom Herbst 1967 wurde seit Ostern 1968 die konkrete Erfahrung von zehntausenden Studenten.

Die Osterunruhen waren nicht nur Höhepunkt, sondern auch Wendepunkt für die APO. Bis dahin kämpften die revolutionären Studenten in der Illusion, daß die „Schicht“ der Studenten große Veränderungen bewirken könnte. Nun mußten sie die Erfahrung machen, daß es ihnen noch nicht einmal gelang, die Auslieferung der Bild-Zeitung ernsthaft zu behindern. Diese Erfahrung der Ohnmacht wiederholte sich wenige Wochen später, als die Notstandsgesetze, trotz einer langen Kampagne, Universitätsbesetzungen, großen Demonstrationen der APO und Warnstreiks in Betrieben mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD verabschiedet wurden.

Fast gleichzeitig trat in Frankreich entgegen allen Erwartungen des SDS die Arbeiterklasse mit dem größten Generalstreik der Geschichte wieder auf die Bühne. Innerhalb des SDS begannen nun grundlegende Debatten über die Frage der revolutionären Strategie und Organisation, und alle wandten sich der Arbeiterklasse zu. Die Auseinandersetzungen über diese Fragen führten im Verlauf des Jahres 1969 zur Auflösung des SDS und der APO in verschiedene revolutionäre Organisationen und Bewegungen. Es entstand die Neue Linke, die die großen Bewegungen der 70er Jahre prägte. Nicht nur die Bewegungen, auch die aus der antiautoritären Studentenbewegung hervorgegangenen Organisationen waren keine studentischen Organisationen mehr, sondern hatten eine beträchtliche Menge Arbeiter und Angestellte in ihren Reihen.

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