In der Verantwortung

Der Wahlkampf in Berlin ist eröffnet – und die Linkspartei muss ihr Verhältnis zur SPD überdenken.


Auf ihrem Landesparteitag am 6. Mai erklärte die Linkspartei in Berlin sie wolle darum kämpfen, „erneut als drittstärkste Kraft in Berlin gewählt zu werden und so die Option für eine rot-rote Regierung zu erneuern.“ Doch die Beteiligung an der roten-roten Koalition hat der Linkspartei geschadet

Im Oktober diesen Jahres wählt Berlin einen neuen Senat. In den letzten beiden Monaten stellten sich die Parteien politisch zum Wahlkampf auf. Der CDU-Spitzenkandidat Pflüger hat angekündigt, „Integration“ zu einem Schwerpunkt seines Wahlkampfs zu machen. Die CDU hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie bereit ist, Wahlkampf auf Kosten von Migranten zu machen. Ähnliches ist der schwachen Berlin CDU auch zuzutrauen. Pflüger hat öffentlich eine von der NPD mitgetragene Kampagne gegen einen Moschee-Neubau in Berlin-Pankow unterstützt

Die SPD hat erneut Klaus Wowereit zum Spitzenkandidaten gekürt und auf ihrem Parteitag angekündigt, die Sparpolitik weiter fortzuführen. Der SPD-Finanzminister Sarazzin pflegte während und nach dem Parteitag sein Image als „härtester Sanierer der Republik“: Er forderte Kürzungen bei Hartz IV und stellte die Einführung von mindestens 500 Euro Studiengebühren bis spätestens 2008 in Aussicht. Die SPD, die angesichts eines Vorsprungs von 12 Prozent auf die CDU sicher ist, die Wahlen zu gewinnen, hält sich die Frage einer künftigen Regierungskoalition offen.

Für die Berliner Linkspartei, die seit 2001 mit der SPD zusammen regiert, wirft die Ankündigung weiteren Sozialabbaus durch Wowereit eine zentrale Frage auf: Soll sie weiter mit der SPD die Regierungskoalition fortsetzen oder versuchen, ihr Profil im Widerstand gegen neoliberale Politik im Bund und in Berlin zu schärfen?

Die Verteidiger einer weiteren bedingungslosen Koalition mit der SPD innerhalb der Linkspartei argumentieren, das sie „den unter den gegebenen Rahmenbedingungen gegebenen Spielraum“ für soziale Reformen ausschöpfen wollen um so größeres Übel, zum Beispiel rabiate Kürzungen durch eine Große Koalition in Berlin zu verhindern.

Diese Argumentation geht an der realen Situation vorbei, in der sich die Linkspartei in einer Neuauflage der rot-roten Koalition befinden wird. Durch die Angriffe der Großen Koalition wird der durch die exorbitante Verschuldung von Berlin schon minimale Spielraum für politische Gestaltung weiter schrumpfen. Die Mehrwertsteuererhöhung wird aller Vorrausicht nach die wirtschaftliche Misere verschärfen, weil sie den eh schon schwachen Konsum weiter abwürgt. Die von Steinbrück geplante Senkung der Steuern für Unternehmen wird die Steuereinnahmen Berlins weiter dezimieren und die Finanzkrise der Hauptstadt verschärfen. Die geplanten und von Sarrazin geforderten Kürzungen von Hartz IV werden vom Berliner Senat an die Bevölkerung weitergegeben werden und die Verarmung in Berlin beschleunigen.
Die Linkspartei-Führung setzt große Hoffnungen in eine Entschuldung der Stadt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Diese Entschuldung, würde, so Wolf, „in Berlin soziale Gestaltung von Politik wieder möglich machen“.

Doch diese Hoffnung ist auf Sand gebaut. Angesichts des enormen Drucks vom Bund und Ländern wie Bayern, keiner Entschuldung zuzustimmen, ist höchst zweifelhaft, dass das Verfassungsgericht dem Senat folgt. Selbst wenn, ist zu erwarten, das Gelder vom Bund an die Bedingung geknüpft werden, das Berlin seine „Eigenanstrengung zur Entschuldung“ vermehrt – das heißt schneller und härter kürzt, mehr privatisiert, mehr Stellen im Öffentlichen Dienst abbaut. Die Tür zu sozialer Politik würde nicht aufgestoßen, sondern vollends vernagelt.

Wenn die Große Koalition mit ihren Angriffen nicht gestoppt wird, droht der Linkspartei in Berlin in einer neuen rot-roten Koalition eine Existenz als Beiboot einer zunehmend sich nach rechts bewegenden SPD, in der Sparkommissar Sarrazin, eventuell sogar gestützt auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Kürzung nach Kürzung auflegt.

Der Schaden für die Partei ist absehbar: Schon in dieser Koalition war Linkspartei vom ihrem 22,6-Prozent-Hoch bei den Abgeordnetenhauswahlen 2001 in Umfragen auf bis zu 9 Prozent im April 2003 abgestürzt. Nach der gemeinsam mit der WASG erfolgreichen Bundestagswahl liegt sie jetzt bei 13 Prozent. Der Verlust an Vertrauen bei Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ist enorm. Diese Enttäuschung über die Linkspartei ist die Hauptursache dafür, dass sich in der WASG Berlin die falsche Position des eigenständigen Wahlantrittes durchgesetzt hat.

Die Rahmenbedingungen in Berlin verändern heißt, eine breite Bewegung gegen die Angriffe der Großen Koalition aufzubauen und für Alternativen wie der Besteuerung von Reichen und Konzernen einzutreten. Das erkennt die Berliner Linkspartei-Führung auch an, sie fordert einen „bundesweiten Politikwechsel“. Das Problem: Sie sieht sich selbst nicht in der Verantwortung, diesen Politikwechsel herbeizuführen, sondern delegiert die Aufgabe an die Linksfraktion und „zivilgesellschaftliche Akteure“, sprich Gewerkschaften und Bewegungen.

Dabei hat die Politik der Berliner Linkspartei Auswirkungen auf den Aufbau einer Bewegung gegen Sozialabbau – und zwar negative. Immer wieder können Politiker aus CDU und SPD die Glaubwürdigkeit der angestrebten neuen Linken untergraben, indem sie darauf hinweisen, das die Politik gegen die die Linksfraktion auf Bundesebene auftritt, in Berlin von der Linkspartei mitgetragen wird. Das erschwert den Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen einer neuen Linken und Aktivisten in Gewerkschaften und Bewegungen, die der Großen Koalition etwas entgegensetzen so. So produziert die Führung der Berliner Linkspartei ein stück weit die Rahmenbedingungen mit, die sie beklagt.

Das war auch in Berlin selbst zu sehen. Die Linkspartei-Führung brüstet sich damit, Studiengebühren und größere Einschnitte an den Unis verhindert zu haben. Tatsächlich aber hatte die Linkspartei zusammen mit der SPD versucht, 220 Millionen an Kürzungen und Studienkonten einzuführen. Es war ein großer und radikaler Streik der Studenten, der die Kürzungen auf 70 Millionen reduzierte und die Linkspartei zwang, Studiengebühren abzulehnen.

Der Ludwigshafener Parteitag der WASG hat ein Mehrheitsvotum für einen gemeinsamen Wahlkampf mit der Linkspartei in Berlin abgegeben – im Interesse einer künftigen gemeinsamen Linken und bei gleichzeitiger Kritik an der rot-roten Regierungspolitik. Jetzt ist die Linkspartei-Führung in Berlin am Zug, ihren Beitrag zum Erfolg einer gemeinsamen Linken zu leisten.

Das heißt: Klare Bedingungen für eine Koalition oder Tolerierung die SPD zu stellen. Keine Privatisierungen, keine Studiengebühren, keine Angriffe auf Löhne und Arbeitszeiten im Öffentlichen Dienst, keine Zustimmung zu Militäreinsätzen, gemeinsame Mobilisierung gegen die Angriffe der großen Koalition. Die Ziele also, für die auf Bundesebene die Linkfraktion streitet

Ob die Berliner SPD auf diese Bedingungen eingeht, ist ein klarer Maßstab dafür, ob durch eine Regierungsbeteiligung in Berlin eine andere Politik möglich ist. Diesen Maßstab sollte die Linkspartei in Berlin aufstellen.

Dieser Beitrag wurde unter Linkspartei, Parlament & Wahlen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.