Bei den Landtags- und Kommunalwahlen am 26.März verloren CDU und SPD eine Million Stimmen. Eine große Chance für die neue Linke – wenn sie die richtigen Lehren aus den Wahlergebnissen zieht.
WASG-Wahlkämpfer bei einer ver.di-Demonstration in Stuttgart am 6. März: Die WASG war die einzige Partei im Wahlkampf, die sich nicht nur in Worten hinter die Streikenden im öffentlichen Dienst stellte |
Hintergrund
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Stell dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin – bei den Landtags- und Kommunalwahlen am 26. März lag die Wahlbeteiligung so niedrig wie nie zuvor.
In Baden-Württemberg sind über 500.000 Wähler weniger zur Wahl gegangen als im Jahr 2001. In Rheinland-Pfalz ist die Wahlbeteiligung um fast 4 Prozentpunkte gesunken. In Sachsen-Anhalt sind von über zwei Millionen Wahlberechtigten nur 920.000 zur Wahl gegangen. Der CDU-Kandidat Böhmer ist dort von rund 15 Prozent der Wahlberechtigten zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Auch bei den Kommunalwahlen in Hessen lag die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent.
Die Parteien der Großen Koalition feiern sich als Sieger. Tatsächlich haben CDU und SPD bei den drei Landtagswahlen zusammen über eine Million Stimmen verloren (siehe Kasten Hintergrund). Das ist die Quittung für die Weiterführung der Politik der Agenda 2010, für die Rente mit 67 und die Mehrwertsteuererhöhung. Immer mehr Menschen wenden sich von der CDU und stärker noch von der SPD ab. Die Sozialdemokratie hat bei den drei Landtagswahlen insgesamt 573.000 Stimmen verloren.
Deshalb brauchen wir eine starke gesamtdeutsche Linke: Um den Millionen, die von der Politik des Sozialabbaus enttäuscht sind, eine Perspektive zu bieten. Um Frustration und Hoffnungslosigkeit, die zu Passivität führt, eine Vision des Widerstands gegen Sozialabbau entgegenzusetzen. Um den Mitgliedern und Wählern der Sozialdemokratie, die ihrer Partei den Rücken kehren, eine neue politische und organisatorische Heimat zu bieten. Die Wahlen am 26. März haben die Notwendigkeit und auch das Potential für eine neue Linke noch einmal unterstrichen.
Sie haben aber auch gezeigt, dass wir noch am Anfang des Weges stehen. Es ist der WASG im Westen und der Linkspartei in Sachsen-Anhalt noch nicht gelungen, den großen Strom weg von CDU und SPD in aktive Zustimmung für die Linke zu verwandeln. Daran ändert auch der prozentuale Zugewinn der Linkspartei.PDS in Sachsen-Anhalt nichts – im Vergleich zur Landtagswahl 2001 verlor sie 20.000 Stimmen. Die WASG scheiterte in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt an der 5-Prozent-Hürde und lag damit unter den Ergebnissen der Bundestagswahl 2005.
Trotzdem log der SPD-Chef Platzeck, als er am Wahlabend sagte: „Das PDS-Projekt der Westerweiterung ist trotz des intensiven Wahleinsatzes von Oskar Lafontaine gescheitert. Das ist ein deutliches Signal dafür, dass die SPD weiterhin die Volkspartei der linken Mitte ist und dies auch bleiben wird“.
In Wirklichkeit hat die WASG in zahlreichen Wahlkreisen und Kommunen gute Ergebnisse erzielt. Bei der hessischen Kommunalwahlen bekam die WASG in Marburg Stadt 8,7 Prozent, in Frankfurt und Kassel 6,5 Prozent, in Hanau 6 Prozent und in Offenbach 6,2 Prozent. Herausragend war das Ergebnis in Wahlbezirk Marburger Altstadt mit 19,6 Prozent.
In Baden-Württemberg wurde die WASG in den Wahlkreisen Mannheim I und Freiburg II mit jeweils 6,9 Prozent stärker als die FDP. In Pforzheim bekam die WASG 5,5 Prozent in Aalen 5,1 Prozent.
Diese Erfolge waren möglich, weil in den meisten Orten, anders als von Platzeck behauptet, eben nicht nur die ?Westerweiterung der PDS? zur Wahl stand, sondern eine neue Linke aus WASG, Linkspartei.PDS und vielen Parteilosen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen.
Beispiel Kommunalwahlen in Hessen: Hier hat die WASG 1060 Mitglieder, die Linkspartei 700. Trotzdem wurde ein flächendeckender Antritt in 20 von 21 Wahlkreisen erreicht. 1400 Kandidaten standen auf Listen zur Wahl, an denen WASG und Linkspartei beteiligt waren. Über die Hälfte davon gehörte weder der PDS noch der WASG an. In Darmstadt, wo die WASG und Die Linke gegeneinander antraten, lagen beide Parteien nur bei etwa 2 Prozent.
Wo die Linke im Wahlkampf offensiv gegen die Politik des Sozialabbaus der Großen Koalition auftrat und die Ungerechtigkeit des globalen Kapitalismus angriff, konnte sie weit ins sozialdemokratische Milieu ausgreifen.
Am deutlichsten wurde dies bei den Wahlkampfauftritten von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Zum Auftritt Gysis an der Marburger Universität kamen fast 1000 Menschen, darunter unzählige Studenten. Oskar Lafontaine sprach in Kassel und Frankfurt ebenfalls zu 1000 Interessierten, viele davon Gewerkschafter. Der SPD-Vorsitzende Platzeck hatte wenige Tage zuvor in Frankfurt im gleichen Saal vor nur 400 Menschen reden müssen. In Hessen wurden in einigen Kreisen die größten Veranstaltungen in diesem Wahlkampf von WASG und Die Linke bestritten.
In Freiburg redete Lafontaine vor 800 Zuhörer – die größte Saalveranstaltung der Linken in Freiburg seit langer Zeit. Dadurch, dass die WASG in Baden-Württemberg den Streik von ver.di aktiv unterstützte wurden zahlreiche Kontakte zu den Gewerkschaften geknüpft und gefestigt.
Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, weil die Rahmenbedingungen schwieriger sind als bei der Bundestagswahl 2005. Der Bundestagswahl sind nicht nur gewerkschaftliche Massenproteste gegen die Agenda 2010 vorausgegangen, sondern auch die Proteste von Hunderttausenden Ostdeutschen gegen Hartz IV.
Damals hatte Schröder die Bundestagswahl zu einem Referendum über die Agenda 2010 erklärt. Die CDU forderte noch härteren Sozialabbau. In dieser Situation hat die Perspektive einer gemeinsamen neuen Linken, die den Kampf gegen Neoliberalismus aufnimmt, bei Millionen in Ost und West Hoffnungen geweckt und viele Proteststimmen auf sich gezogen. 8,7 Prozent, 4,1 Millionen Stimmen, waren das Ergebnis der Dynamik, die von der Bewegung gegen Sozialabbau ausging.
Auch wenn der ver.di-Streik zeigt, dass der Kampf gegen unsoziale Politik weitergeht ? eine mit den Protesten von 2003 und 2004 vergleichbare allgemeine Bewegung gegen Sozialabbau gibt es bisher unter der Großen Koalition nicht. Das macht es schwieriger für die neue Linke, ihre Perspektive vom Widerstand gegen Neoliberalismus glaubwürdig zu machen.
Zudem haben auch Fehler im Prozess der Bildung der neuen Linken die Wahlkämpfe belastet. Die Entscheidung des Vorstandes der Berliner WASG, bei den Senatswahlen in Berlin gegen die Linkspartei.PDS anzutreten, hat viele Wähler verunsichert, die zu Recht fordern, dass die Linke den Kampf gegen die Große Koalition führt – und nicht gegen sich selbst.
Auch der Verkauf der städtischen Wohnungen in Dresden mit der Zustimmung einer knappen Mehrheit der dortigen Linkspartei-Fraktion war ein Tiefschlag für die Wahlkämpfer. In allen Wahlkämpfen war die Ablehnung von Privatisierung ein wichtiges inhaltliches Standbein der WASG. Die falsche Entscheidung der Linkspartei-Fraktionsmehrheit hat die Glaubwürdigkeit dieser Position beschädigt.
Unter diesen Umständen sind die punktuellen Erfolge ein erster wichtiger Schritt. Doch das Potential, das sich durch die Abwendung von der Großen Koalition auftut, ist viel größer. Es durch einen konsequenten Kampf gegen neoliberale Politik zu erschließen, ist die Aufgabe, die sich einer gemeinsamen Linken in den kommenden Jahren stellt. Weder der Kurs des Berliner WASG-Vorstandes, noch der Privatisierungsfreunde in der Dresdner Linkspartei sind geeignet, diese Aufgabe zu bewältigen.