Dem Markt geopfert: Unsere Jobs

Unternehmer planen trotz Rekordprofiten weiteren Personalabbau. Stefan Bornost beleuchtet den Hintergrund der Job-Krise.


Die Liste der größten Jobkiller: Insgesamt sind Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht

Deutsche Konzerne haben in den vergangenen Wochen die Streichung von zehntausenden Stellen angekündigt. Allein bei der Deutschen Telekom sollen bis zum Jahr 2008 45.000 Arbeitsplätze wegfallen. Siemens will bis zu 10.000 Stellen abbauen, die Deutsche Bank 6.000, Mercedes 5.000 allein in diesem Jahr.

Auch bei der Hypo-Vereinsbank und der Allianz-Versicherung sind Tausende Jobs in Gefahr. „Die Tendenz von Großbetrieben, im großen Stil Stellen abzubauen, ist eindeutig“, schreibt der Arbeitsmarktexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Klaus Schrader.

Die Bosse begründen die Entlassungen mit „mangelnder Wettbewerbsfähigkeit“: In Deutschland seien die Lohnkosten zu hoch, die Steuerlast zu groß und die Arbeitszeiten zu kurz.

Aber seit Anfang der 90er ist die Summe der Löhne in Deutschland real gesunken. Die tatsächliche Arbeitszeit liegt laut einer Studie des Kölner ISO-Instituts im Schnitt bei 42 Stunden und damit im europäischen Mittelfeld. Und die Steuern für Unternehmen wurden in den letzten Jahren massiv gesenkt. Die tatsächliche Besteuerung von Unternehmen liegt heute mit rund 20 Prozent im unteren Drittel der EU-Staaten, wie die Bundesregierung bekannt gibt.

Das britische Wirtschaftsmagazin Economist bemerkte kürzlich: „Deutschland, lange der teuerste Wirtschaftsstandort Europas, hat… einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Frankreich, Italien, den Niederlanden und sogar Großbritannien aufgebaut.“

Die Lohnstückkosten, eine der wichtigsten Vergleichszahlen, seien Ende der neunziger Jahre um mehr als zehn Prozent gefallen. Deshalb konnte die deutsche Wirtschaft ihre Exporte letztes Jahr trotz hohem Kurs des Euro noch einmal um 10 Prozent steigern.

In Folge von Steuersenkungen und Verschlechterungen für Arbeitnehmer stiegen die Profite allein der 30 größten Konzerne, die den Deutschen Aktienindex DAX bilden, 2004 um über 60 Prozent. Ende September letzten Jahres verfügten diese Unternehmen über flüssige Mittel in Höhe von zusammen knapp 102 Milliarden Euro. Das war ein Drittel mehr als zwei Jahre zuvor.

Aber gerade jene Konzerne, die am meisten absahnen, vernichten Jobs. Siemens erzielte in jedem der letzten drei Jahre historische Höchstgewinne in der Geschichte des Unternehmens, 2004 insgesamt 3,4 Milliarden Euro. Die Deutsche Telekom AG erhöhte ihren Überschuss 2004 um knapp das Dreifache auf über 4,6 Milliarden Euro. Und Vorstandssprecher Ackermann verkündete über das „wiederum erheblich verbesserte Geschäftsergebnis“ der Deutschen Bank im selben Jahr: „Der Gewinn vor Steuern ist um 46 Prozent auf 4 Milliarden Euro gestiegen, der Gewinn nach Steuern sogar um 81 Prozent auf 2,5 Milliarden.“

Nach der Argumentation von neoliberalen „Wirtschaftsweisen“ müssten diese Bilanzen eigentlich schlagartig die Arbeitslosigkeit senken. Sie gehen davon aus, dass „die Gewinne von heute die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen sind.“

Das Gegenteil ist seit langem der Fall. Während die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen zwischen 2000 und 2004 netto um 29 Prozent stiegen, strichen die Bosse laut Statistischem Bundesamt im gleichen Zeitraum eine Million Stellen. Die Investitionstätigkeit in Deutschland ist rückläufig. Und viele der getätigten Investitionen zielen auf Rationalisierungen, die Arbeitsplätze vernichten, statt welche zu schaffen.

Der tiefere Grund für die Massenentlassungen trotz Rekordprofiten ist der gnadenlose Konkurrenzkampf im globalen Kapitalismus. Um nicht zu Übernahmekandidaten zu werden, müssen die Konzerne ihren Eigentümern hohe Profitraten erwirtschaften. Fällt die Wertsteigerung eines Unternehmens hinter die Konkurrenz zurück, stoßen die Anleger ihre Anteile ab. Das Unternehmen kann dann von einem Rivalen aufgekauft und zerschlagen werden.

Weil weltweit alle Regierungen Sozialabbau betreiben und alle Konzerne Löhne kürzen, stagniert die Nachfrage, die Märkte schrumpfen. Dennoch haben die Konzerne gigantische Produktionskapazitäten aufgebaut. Denn hohe Stückzahlen lassen den Preis pro hergestelltem Artikel meist fallen. So kann die Konkurrenz unterboten werden.

In den neuen Fabriken arbeiten immer weniger Menschen immer länger für immer geringere Löhne. So schaffen es die Konzerne, immer mehr Waren zu immer geringeren Stückkosten produzieren zu lassen. Es werden immer mehr Waren hergestellt, die keiner kaufen kann. Dieser Wettlauf führt weltweit zu Überkapazitäten und Überproduktion in verschiedenen Branchen. Wenn die Überkapazitäten abgebaut werden, kostet das Hunderttausende den Job.

Dieser Mechanismus steht hinter den Entlassungen zum Beispiel bei Siemens. Das Gros der angekündigten und bereits verhängten Entlassungen dort fällt im Bereich Informationstechnologie (IT) an.

Anfang der 90er sagten so genannte Experten ein beinahe unbegrenztes Wachstum der IT-Branche vorraus. In der „New Economy“ herrschte Goldgräberstimmung.

Siemens und seine Konkurrenten investierten Milliarden in die Produktion von Computerchips und Handys. 1997 verkaufte Siemens Computerchips im Wert von 8,5 Milliarden Euro und beschäftigte 60.000 Menschen in der Chipproduktion.

1997 zerplatzten die Träume vom ewigen Wachstum. Die Aktienkurse am „Neuen Markt“ brachen ein, weil mehr IT-Produkte auf dem Markt waren, als verkauft werden konnten. 1998 sanken die Preise für Speicherchips um 60 Prozent, bei einigen Chiparten sogar um 95 Prozent. Siemens verkaufte eilig seine Chip-Produktion – und entließ zehntausende Arbeiter.

Ähnlich lief es bei der Siemens-Handyproduktion.

Der weltweite Handymarkt ist mittlerweile gesättigt. Marktforscher gehen davon aus, dass weltweit insgesamt 550 Millionen Handys verkauft werden können. Die weltweite Produktion liegt bereits um 150 Millionen Handys darüber. Der finnische Marktführer Nokia möchte dieses Jahr seinen Markanteil um 10 Prozent erweitern und steigert die Produktion, um seine Konkurrenten durch geringere Stückkosten unterbieten zu können.

Um in diesem Unterbietungswettkampf bestehen zu können, hat auch Siemens seine Preise gesenkt. Deshalb hat der Konzern letztes Jahr die Löhne gekürzt und in seiner Handy-Sparte die 40-Stunden-Woche eingeführt. Die Stellen der Arbeiter hat dieser Verzicht nicht gerettet. Am 1. Oktober soll die Handysparte an den taiwanesischen Konzern BenQ verkauft werden. 2.000 Arbeitern droht die Kündigung.

Dasselbe Bild zeigt sich in der Automobilbranche. Die internationalen Autohersteller befinden sich seit 15 Jahren in einer Krise. 2004 wurden weltweit 52 Millionen Fahrzeuge verkauft, doch die vorhandenen Kapazitäten reichen für die Fertigung von 67 Millionen. 2005 wird der Autoabsatz weltweit steigen. Deshalb werden vor allem in Osteuropa und China noch zusätzliche Kapazitäten geschaffen. Die Kluft zwischen Produktionskapazitäten und Absatz wird dadurch weiter wachsen. Opel, Mercedes und VW bauen bereits Stellen ab.

Die Markwirtschaft schafft riesige Profite und Massenarbeitslosigkeit. Das ist das Gesicht des globalen Kapitalismus.

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