Die Partei der Bewegung

Wie WASG und Linkspartei gemeinsam eine neue Linke aufbauen können, erklärt Heinz Hillebrand, Vorstand der WASG Nordrhein-Westfalen, im Linksruck-Gespräch.


„Wir wollen, dass die Menschen endlich wieder eine Stimme im Parlament erhalten“, ruft die Aktivistin der WASG in Bocholt bei einer gemeinsamen Aktion von WASG und Linkspartei

Die WASG wurde nach den Massenprotesten gegen die „Agenda 2010“ und Hartz IV gegründet. Was habt ihr bisher erreicht?

Die WASG hat die politische Leere gefüllt, die Rot-Grün hinterlassen hat. Hunderttausende ihrer ehemaligen Anhänger haben der SPD den Rücken gekehrt.
In der WASG haben sich ehemalige Mitglieder der SPD gesammelt, weil diese nicht mehr sozialdemokratisch ist. Gewerkschafter sind dabei, weil ihre Interessen nicht mehr vertreten wurden. Globalisierungskritiker, Anhänger der christlichen Soziallehre und viele andere machen mit, die sich zum ersten Mal parteipolitisch organisiert haben.
Wir müssen die Politik wieder aus den Lobbyistenvereinen rausholen, für soziale Reformen und einen echten Politikwechsel kämpfen. Allein die Existenz der WASG und noch mehr die Kandidatur mit der Linkspartei zur Wahl hat das Land bereits verändert.
Zumindest verbal müssen die anderen Parteien sich sozial, teilweise links geben. Noch wichtiger ist, dass viele Menschen wieder über Politik diskutieren.

Echten Politikwechsel hat Kanzler Schröder auch versprochen. Was soll eine neue Linke anders machen?

Sie muss eine enge Verbindung zu den sozialen und demokratischen Bewegungen haben, vor allem zur größten sozialen Bewegung, den Gewerkschaften. Die neue Linke muss Teil dieser Bewegungen sein und Stellvertreterpolitik vermeiden. Sie sollte Impulse und Erfahrungen der Bewegungen aufgreifen und gleichzeitig durch ihre Sachkompetenz den Bewegungen auch Impulse geben.
Um wirkliche politische Veränderungen zu erreichen, müssen die Menschen ihre Interessen selber in die Hand nehmen. Wir sind daran interessiert, dass es wieder zu einem Aufschwung der Demonstrationen auf der Straße kommt. Hier sammeln Menschen Erfahrungen und politisieren sich.
Dies bedeutet keine Negierung der parlamentarischen Ebene. Aber die Möglichkeiten der Veränderung im Parlament haben entscheidend mit gesellschaftlichem Druck zu tun.
Die neue linke Partei muss sich an den konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligen, aber gleichzeitig auch über gesellschaftliche Perspektiven nachdenken. Die neue Linke muss also gleichzeitig realistisch und radikal sein.

Realistisch und radikal? Wie passt das zusammen?

Unser Ziel muss sein, im Kampf für konkrete Reformen die Voraussetzungen zu schaffen, dass über eine andere Gesellschaft jenseits des Raubtierkapitalismus diskutiert werden kann. Wir müssen uns für konkrete Reformen einsetzen, die im Interesse der Menschen sind und die durchsetzbar sind: Gegen Sozialabbau, gegen die Privatisierung der Renten und Gesundheitsversorgung, gegen Studiengebühren, für ein öffentliches Beschäftigungsprogramm – finanziert durch die Besteuerung von Reichtum. Weniger Sozialstaat können sich nur die Reichen leisten.
Deshalb müssen wir die Forderung nach einem Mindestlohn, von dem man leben, nicht nur überleben kann, offensiv vertreten und bei „weg mit Hartz IV“ bleiben. Denn die Bereitschaft zu streiken, hängt auch vom Risiko ab, wie tief man fallen kann. Die Drohung mit Arbeitsplatzverlust ist ein wirksames Druckmittel der Arbeitgeber.
Wenn wir ein strategisches Ziel haben, können wir die Richtung halten. Sonst enden wir wie die Grünen oder die Juso-Spitzenriege der 70er und 80er Jahre bei einem „Marsch durch die Institutionen“. Beide sind unten gestartet und rechts oben gelandet.

Soll die neue Linke sich an Regierungen beteiligen?

Nur, wenn wir damit tatsächlich mehr für die Menschen rausholen, als wir es in der Opposition könnten. Es stimmt nicht, dass man nur in der Regierung die Gesellschaft wirklich gestalten kann.
Linke Parteien in Europa oder die Grünen haben ihre größten politischen Erfolge im Sinne ihrer programmatischen Forderungen aus der Opposition heraus errungen. Bei der Linkspartei habe ich manchmal den Eindruck, dass Regierungsbeteiligung ein Wert an sich ist. Die Wähler haben es nicht honoriert, dass sie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern an der Umsetzung von Hartz IV beteiligt ist.

Wie soll die neue Linke entstehen? Mit zwei Parteitagen über den Zusammenschluss von WASG und Linkspartei?

Das reicht nicht. Unser WASG-Landesvorstand schlägt vor, zu offenen Bürgerforen einzuladen.
In Frankreich haben die Aktivisten in der Bewegung gegen die EU-Verfassung in den Städten und Provinzen solche Foren organisiert, um mit der Bevölkerung den Verfassungsentwurf zu diskutieren.
Wir in Deutschland brauchen eine breite gesellschaftliche Diskussion. Wir müssen mehr Menschen einbeziehen, als nur diejenigen, die schon in der Linkspartei oder WASG organisiert sind.
Wir brauchen mehr Gewerkschafter, mehr Globalisierungskritiker, mehr junge Leute aus der antifaschistischen Bewegung, mehr Antikriegsaktivisten, mehr Intellektuelle. Kurz: eine wirklich breite und pluralistische neue linke Partei.

Wie lange wird das dauern?

Unser Motto für den Gründungsprozess ist: So schnell wie möglich, so langsam wie nötig. Die nächste Regierung, egal ob schwarz-gelb oder große Koalition, wird mit ihren Angriffen auf erkämpfte Rechte nicht warten. Deshalb müssen wir von Anfang an beweisen, dass wir etwas grundsätzlich Neues schaffen und den Widerstand gegen Sozialabbau stärken können.
Ich kann verstehen, dass Aktivisten in den außerparlamentarischen Bewegungen oft skeptisch gegenüber Parteien sind. Ihnen sage ich: Wir brauchen eure Erfahrung und eure Kritik.
Ich bin zuversichtlich. Der Wunsch nach Einheit ist sehr groß bei der Linken. Aus allen Bereichen, die ich aufgezählt habe, gab es Aufrufe, dass WASG und Linkspartei für die Wahlen eine gemeinsame Lösung finden sollen.

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