Ein kaputtes System


Jonathan Franzen: Schweres Beben, Rowohlt, 2005, 24,90 Euro

Er habe mit „rhetorischen Molotowcocktails“ um sich geschmissen. Das schrieb Jonathan Franzen über seinen zweiten Roman „Schweres Beben“, der in den USA 1992 erschien.

Jetzt gibt es das Buch auf Deutsch, nachdem Franzens dritter Roman „Die Korrekturen“ auch hier sehr erfolgreich war.

„Schweres Beben“ zeigt, wie umfassend die US-Gesellschaft verändert werden muss. Der Titel spielt auf eine Umweltkatastrophe an, die durch die Profitgier des fiktiven Chemiekonzerns Sweeting-Aldren ausgelöst wird.

Um die Entsorgungsvorschriften zu umgehen, hat das Unternehmen Ende der 60er Jahre ein tiefes Loch in die Erde gebohrt. Jahrzehntelang wurden giftige Abwässer reingepumpt, was Ende der 80er Jahre zu einer Reihe von Erdbeben führt. Die beiden Hauptfiguren des Buches versuchen, die Machenschaften des Konzerns aufzudecken.

Da ist Louis Holland, ein 23-jähriger Radiotechniker, der sich an seiner Mutter rächen will. Durch eine Erbschaft ist sie Großaktionärin des verbrecherischen Chemiekonzerns geworden. Louis, der sich sein Leben lang benachteiligt fühlte, weiß, dass die Aktien ihren Wert verlieren, wenn die Verantwortung des Konzerns für die Erdbeben bekannt wird.

Und da ist Renée Seitcheck, eine 30-jährige Seismologin. Renée ist Louis’ Freundin und, als Erdbeben-Expertin, die treibende Kraft hinter dem Bemühen, den Umweltsündern auf die Schliche zu kommen.

Beide sind Außenseiter, einsam in einer Gesellschaft, die sie ablehnen. Louis empfindet beinahe körperlichen Ekel vor den Reichen, ihrem Geld und ihrem Karrieredenken. Renée sieht sich von Frauenbildern umzingelt, die sie verachtet und die es ihr unmöglich machen, sie selbst zu sein.

Um seine Hauptfiguren herum spinnt Franzen zahlreiche, vielfach verflochtene Handlungsfäden. Der Leser erlebt den Arbeitsalltag und die Intrigen in einem Radiosender ebenso wie in einer Universität und der Chefetage eines Konzerns.

Er kann Louis’ Familiengeschichte bis zur Zeit der ersten europäischen Siedler in Amerika zurückverfolgen und sich an Franzens satirischen Spitzen gegen eine Sekte fanatischer Abtreibungsgegner freuen.

Die Geschichte ist manchmal zu stark konstruiert, überfrachtet und stellenweise unglaubwürdig. Mitunter neigt Franzen dazu, seinen Figuren in ihren Gesprächen und Überlegungen die eigenen politischen Ansichten unterzuschieben.

Diese Schwächen haben denselben Ursprung wie die größte Stärke des Romans: Franzens leidenschaftliche Wut. Von der ersten Seite an spürt man das Entsetzten des Autors über unsere Welt.

Franzen prangert nicht nur einen verbrecherischen Konzern an. Er rechnet mit dem gesamten kapitalistischen System ab. Es ist eine Gesellschaft, in der Menschen nur noch „Maschinen zu lustlosem Produzieren und lustvollem Konsum von Gütern“ sind.

Insofern fliegen in „Schweres Beben“ tatsächlich Molotowcocktails. Und sie fliegen in die richtige Richtung.

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