Über hundert Menschen wurden seit der Wiedervereinigung von Faschisten ermordet. Die NPD und die ihr nahestehenden Kameradschaften haben sich zum Zentrum der Neo-Nazi-Aktivitäten in Deutschland entwickelt. C. Schröder argumentiert, wie die Nazis von unten zu schlagen sind.
Am 3.August explodierte eine Rohrbombe in der Düsseldorfer Innenstadt. Zehn russische Einwanderer, sechs davon jüdischen Glaubens, wurden verletzt. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß Rechtsradikale die Tat begingen. Die Empörung über den Anschlag von Düsseldorf führte überall in Deutschland zur Gründung von antifaschistischen Initiativen und Bündnissen, zu Kundgebungen und Demonstrationen. Bei Demonstrationen sahen sich die Nazis meist einer überwältigenden Mehrheit von antifaschistischen Gegendemonstrationen gegenüber. Tageszeitungen wie die Frankfurter Rundschau berichteten täglich auf mindestens einer ganzen Seite über das Thema. „Kampf den Nazis“, titelte das liberale Wochenblatt Die Zeit. Der Plan der Bundesregierung, den Kampf gegen den Rechtsextremismus auf die weitgehend symbolische Gründung von Promi-Bündnissen und die Umwidmung von Haushaltsgeldern zu beschränken, schlug fehl.
Keinen Fussbreit dem Faschismus
Viel stärker als in der Lichterketten-Bewegung gegen die Anschläge auf Asylbewerberheime 1993 stehen heute die faschistischen Organisationen und Parteien, vor allem die NPD, im Zentrum der Diskussion. Wurden die Republikaner 1993 noch als „rechtspopulistisch“ verharmlost, obwohl Schönhuber in seinem Buch „Ich war dabei“ (gemeint ist: bei der Waffen-SS) den italienischen Faschismus als gesellschaftliche Idealvorstellung pries, sah Regierungssprecher Heye Anfang Oktober bei der NPD zurecht eine „Wesensverwandtschaft zur NSDAP“ gegeben.
War 1993 noch der Gedanke vorherrschend, man müsse die Nazis mit Jugendarbeit, die zumeist so aussah, dass den Nazis die Möglichkeit gegeben wurde, unter Aufsicht eines Sozialarbeiters, ihre Gesinnung zu pflegen, wieder in die Gesellschaft integrieren und auf den Pfad der Tugend zurückführen, so ist heute auf Demonstrationen, an denen sich Gewerkschaften beteiligen, meist der Slogan „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ zu sehen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, fordert zurecht: „Diese Menschen müssen das Gefühl haben, sie sind völlig isoliert und sie stehen neben der Gesellschaft“.
Tatsächlich ist die gesellschaftliche Isolation das Hauptproblem der faschistischen Parteien. Rassismus und Vorurteile gegen Ausländer sind weit verbreitet in unserer Gesellschaft, aber nur eine extrem kleine Minderheit sieht sich selbst als Faschisten oder Rechtsradikalen, und noch weniger wollen sich mit Auschwitz als der logischen Konsequenz des Faschismus in Deutschland in Verbindung bringen lassen. Die Nazi-Parteien müssen deshalb einen ständigen Widerspruch aushalten. Einerseits müssen sie nach innen, aber teilweise auch in der Öffentlichkeit, ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus ablegen, um aus Sympathisanten Nazi-Kader zu machen. Andererseits darf dieses Profil nach außen hin nicht dominieren, um neue Mitglieder aus dem Lager der Protestwähler nicht abzuschrecken.
Am konsequentesten von allen Nazi-Parteien hat die NPD, die heute die gefährlichste faschistische Organisation in Deutschland ist, dieses Konzept verfolgt. Aber am Beispiel der NPD läßt sich auch zeigen, daß eine entschlossene Bewegung, die diese Parteien nicht als „Rechtspopulisten“ verharmlost, sondern sie konfrontiert und als Nazis entlarvt, das beste Mittel gegen die faschistische Gefahr ist.
Solidarität statt Hass Die NPD, in der sich 1964 vor allem Mitglieder der „Deutschen Reichspartei“ und der 1952 verbotenen „Sozialistischen Reichspartei“, die sich offen zum Nationalsozialismus bekannte, sammelten, konnte in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre stetig an Stimmen gewinnen und drohte 1969 in den Bundestag einzuziehen. Bereits damals diente sie unter anderem als legale Fassade vieler informeller Zusammenhänge, in denen sich nicht nur Alt-Nazis sammelten, sondern in denen auch Einfluß und Autorität eng von der persönlichen Stellung innerhalb des Nazi-Regimes abhingen. Konservativen Parteien neigten dazu, die NPD zu verharmlosen. 1969 wäre sogar beinahe der CDU-Kandidat Schröder mit Stimmen der NPD zum Bundespräsidenten gewählt worden. Diese Verharmlosung begünstigte den Aufschwung der NPD.
Erst die Gegenaktionen der linken Außerparlamentarischen Opposition versetzten der NPD den entscheidenden Schlag. Ihr Ordnerdienst zeigte den wahren Charakter der Nazis: Bei einer Veranstaltung in Frankfurt am 28. Juli 1969 prügelten NPD-Ordner Gegendemonstranten bis zur Bewußtlosigkeit und griffen auch Reporter an. Kurz darauf gab der NPD-Bundesbeauftragte für den Ordnerdienst, Kolley, nach einer Pressekonferenz der damaligen Vorsitzenden v. Thadden, bei einer Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten Schüsse ab, wobei zwei Demonstranten verletzt wurden. Der Versuch führender NPD-Funktionäre, Kolley vor polizeilicher Verfolgung zu schützen, fügte dem Image der NPD als respektabler bürgerlicher Partei noch mehr Schaden zu als der Vorfall selbst. Die Aktionen der Außerparlamentarischen Opposition verstärkten den zum Wesen der Nazi-Parteien gehörenden Widerspruch zwischen interner Nazi-Indoktrination und bürgerlicher Fassade so weit, daß die NPD Anfang der siebziger Jahre in eine tiefe Krise stürzte.
Aus dem Ordnerdienst, der 1970 aufgelöst wurde, gingen verschiedene militante Nazi-Kleingruppen hervor. Der Versuch der NPD, durch die Aktion „Widerstand“ Jugendliche an sich zu binden und der fortschreitenden Überalterung entgegenzuwirken, führte zu immer neuen Vorfällen, die die NPD als Partei diskreditierten, und wurde nach kurzer Zeit aufgegeben. Erst durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit und die soziale Kahlschlagpolitik unter dem SPD-Kanzler Schmidt, Ende der siebziger Jahre, fand die NPD wieder Zulauf.
Kampf dem Faschismus 1977 konnte die NPD bei ihrem sogenannten „Deutschland-Treffen“ in Frankfurt 5000 Teilnehmer versammeln, während nur 1000 Menschen gegen die NPD demonstrierten. Aber die Zahl der Gegendemonstranten stieg in den folgenden Jahren trotz eines polizeilichen Verbots stark an. 1978 war die NPD bereits gezwungen, durch die Vororte zu marschieren, und 1979 versammelten sich 50.000 Menschen zu einer (polizeilich verbotenen!) Gegendemonstration. Dies konnte deswegen gelingen, weil der DGB, unter dem Druck einer breiten Bewegung, sich zum ersten Mal in seiner Geschichte über ein Demonstrationsverbot hinwegsetzte. Die Polizei fing viele NPD-Anhänger angesichts der Situation bereits auf der Autobahn ab und schickte sie nach Hause. 1980 mußte die NPD kurzfristig nach Philippstal ausweichen und sah sich auch dort mit 3.000 Gegendemonstranten konfrontiert, so daß selbst viele NPD-Mitglieder die Kundgebung nicht erreichen.
Die Zahl von nur noch 700 Teilnehmern beim NPD-Deutschlandtreffen 1981 belegt, daß die Strategie der NPD, durch Demonstrationen neue Mitglieder an sich zu ziehen, erfolgreich verhindert wurde. Selbst Versuche der NPD, mit der Kampagne für einen „Ausländerstopp“ zu punkten, scheiterten angesichts dieser Situation gänzlich. Auch Versuche der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“, linke Begriffe mit programmatischen Sprüchen wie „Nationalismus ist Antiimperialismus“ aufzugreifen schlugen fehl. Diese Strategie setzt die NPD heute mit Parolen wie „Sozialismus ist machbar“ erneut ein und knüpft damit an eine weit zurückgehende Tradition faschistischer Parteien an. Schon die Nazis versuchten, linke Kampfbegriffe zu instrumentalisieren, wie in dem völlig irreführenden Namen „National sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ zum Ausdruck kommt.
Die großen Demonstrationen gegen die NPD-Zentrale und gegen NPD-Kundgebungen in Berlin, Dortmund, Düsseldorf und Kassel im Oktober 2000, an denen sich Zehntausende Menschen beteiligten, sind ein ganz hervorragendes Zeichen dafür, daß es gelingt, eine Gegenwehr wie in den sechziger und siebziger Jahren auch heute wieder aufzubauen. Die Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, wie wichtig es ist, selbst die Initiative im Kampf gegen die Nazis zu ergreifen und sich nicht auf staatliche Verbote von Nazi-Parteien zu verlassen. Auch wenn solche Verbote die Arbeit der Nazis erschweren und deshalb zu begrüßen sind, waren sie nie der entscheidende Faktor für den antifaschistischen Kampf.
Smash the Nazis Daß bisher lediglich eine größere Nazi-Partei, nämlich die SRP 1952 verboten wurde und hier spielte die Vorbereitung des KPD-Verbots 1954 ebenso wie die gegen die Westbindung gerichtete neutralistische Politik der SRP eine wichtige Rolle zeigt, daß auf den Staat in dieser Hinsicht keinerlei Verlaß ist. Im Gegenteil: Es droht die Gefahr, daß Maßnahmen wie eine Verschärfung des Demonstrationsrechts mit dem Kampf gegen die Nazis begründet werden, aber faktisch in erster Linie gegen linke Demonstranten eingesetzt werden.
Hinzu kommt ein ganz wichtiger Faktor: Solange die bestehende Krise der kapitalistischen Wirtschaft, die sich in Armut und Arbeitslosigkeit widerspiegelt, halbwegs beherrschbar bleibt und ein Grundvertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen besteht, wirkt ein staatliches Verbot einer Partei abschreckend und behindert den Aufbau der Nazis auf der Straße. Verschärft sich aber die wirtschaftliche Krise und die marxistische Theorie liefert genügend Argumente, dies für die Zukunft zu erwarten und wandelt sich die bestehende „Politikverdrossenheit“ in eine Staats- und Systemverdrossenheit, dann kann ein staatliches Verbot geradezu ein Gütesiegel für eine Organisation bedeuten. Vor allem in Ostdeutschland ist die soziale Misere bereits so stark, daß die NPD gerade mit ihrer Strategie, linke Begriffe aufzugreifen und sich als Opposition gegen „das System“ zu profilieren, in den letzten Jahren große Erfolge erzielt hat. Steigende Arbeitslosigkeit, Sozialkürzungen und vor allem der Mangel an einer linken Perspektive haben zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen.
Je stärker sich die Krise des Kapitalismus zuspitzt, desto entscheidender ist es nicht nur, die Nazis in der Bevölkerung selbst zu isolieren und ihren Aufbau durch direkte Massenaktionen zu stoppen, sondern auch, den Kampf gegen die Nazis mit genau dieser linken, antikapitalistischen Perspektive zu verbinden. Für Sozialisten heißt dies, bereits heute nicht nur zu Massenaktivität gegen die Nazis aufzurufen, sondern zugleich innerhalb einer breiten Einheitsfront im Anti-Nazi-Kampf die Argumente für eine sozialistische Alternative zur gegenwärtigen Profit-Gesellschaft zu verbreiten und zu diskutieren.