Das Fest der Freiheit

Augenzeugen der portugiesischen Revolution in den 70er Jahren berichten Linksruck, wie es ist, selbst den Lauf der Geschichte zu verändern.


„Victory!“: Arbeiter und Soldaten feierten am 1. Mai 1974 in Lissabon ihren Sieg über die faschistische Diktatur. Sie forderten „saneamento“, die Entfernung aller
Kollaborateure aus dem Staat und den Betrieben

Vor wenigen Tagen haben 1 Million Menschen in Edinburgh gegen eine Welt protestiert, in der Profite mehr zählen als Menschen. Überall diskutieren Aktivisten, wie eine demokratische, freie und gerechte Gesellschaft erreicht werden kann.

Eine Gesellschaft, in der nicht mehr einige wenige so genannte Experten über unsere Köpfe hinweg entscheiden und uns in Betrieb, Schule, Uni und auf dem Arbeitsamt vorschreiben, was wir zu tun oder zu lassen haben.

Vor 30 Jahren erkannten in Portugal Millionen Arbeiter, Schüler, Studierende, Bauern und Arbeitslose, dass sie den Kapitalismus stürzen mussten, um in Freiheit zu leben. Das Land wurde 50 Jahre lang von einer faschistischen Diktatur beherrscht. Politische Gegner wurden gefoltert und ermordet. Gewerkschaften und Streiks waren verboten und tausende Spitzel des Staates überwachten und verfolgten die Menschen.

Die Diktatur profitierte von deutschen, britischen und US-Konzernen. Sie investierten Geld in Portugal, weil die Regierung mit Gewalt Hungerlöhne erzwang und jeden Widerstand unterdrückte.

Die portugiesische Revolution begann in den Kolonien Angola, Mosambik und Guinea-Bissau, wo die Menschen gegen die Fremdherrschaft kämpften. Um diese Aufstände niederzuschlagen, gab die Regierung 1974 die Hälfte des Staatshaushalts für die Armee aus. Gleichzeitig waren die Portugiesen die ärmsten Westeuropäer.

Durch die weltweite Wirtschaftskrise 1973 stiegen die Preise um 30 Prozent. Die Löhne reichten nur noch zum Überleben.

Immer mehr Arbeiter und Soldaten lehnten die Kolonialkriege ab. Über 100.000 Menschen wanderten aus, um dem Militärdienst und der Armut zu entkommen. Viele Soldaten und Offiziere mussten Jahrelang in Afrika kämpfen.

Im April 1974 putschten Offiziere gegen die faschistische Diktatur. General Spinola führte die neue Regierung und versprach, Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden.

Nachdem die Fesseln, die Jahrzehnte niedergehalten hatten, gesprengt waren, nahmen sich viele Portugiesen ihre Freiheit selbst. Augenzeugen sprechen noch heute mit leuchtenden Augen von der Revolution: „Die Menschen strömten auf die Straßen, weil sie spürten, dass die Kraft, die Welt zu verändern in ihren Händen lag“ , erinnert sich Fernando Rosa.

Jaime Pinho berichtet: „In der Weltwirtschaftskrise haben viele Fabriken dichtgemacht. Die Arbeiter besetzten die Großbetriebe und führten sie unter Arbeiterkontrolle weiter.
Junge Architekten von der Uni kamen in die Elendsviertel. Sie bauten gemeinsam mit den Bewohnern neue Häuser.
Die Soldaten akzeptierten die Gesetze der Armee nicht mehr. Sie trugen ihr Haar und ihre Klamotten, wie sie wollten. Sie organisierten sich in Soldatenkomitees und wenn zum Beispiel Eltern ein Gebäude besetzen wollten, um darin einen Hort einzurichten, bekamen sie Unterstützung von den Soldaten.“

Alvarro Arranja erzählt: „Schüler besetzten ihre Schulen und setzten Lehrer, die mit dem alten Regime verbunden waren, auf die Straße. Schülerkomitees regelten jetzt alles und veränderten den Lehrplan.“

Der wichtigste Teil der Revolution war die Arbeiterbewegung. Sie demonstrierte und streikte für höhere Löhne und die 40-Stunden-Woche. Das hätte den Konzernen einen großen Teil ihrer Profite genommen.
Außerdem verjagten die Arbeiter faschistische Fabrik- und Bankbesitzer, Manager und Meister. Sie gründeten Arbeiterkomitees, besetzten Betriebe und verlangten . Von der Regierung, den Staat von allen zu säubern, die mit dem faschistischen Regime zusammengearbeitet hatten.

Doch die neue Regierung wollte die Macht der Konzernchefs und des Staates und damit den Kapitalismus erhalten. Komitees von Fabrikarbeitern, Studierenden, Schülern, Landarbeitern und Soldaten entfernten deshalb selbst die bekanntesten Rechten aus Ämtern, Verlagen, Rundfunk- und Fernsehstationen, Stadt- und Bezirksregierungen und Kirchen.

Arbeiter beschlagnahmten leer stehende Herrenhäuser und bauten sie gemeinsam mit ihren Nachbarn um: zu Kliniken, Kindergärten, Theatern, Büchereien, in denen sie Kantinen und Gemeinschaftsräume einrichteten, wo die Menschen diskutieren und lesen konnten.

Die Arbeiter erzwangen das Recht, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren und zu streiken. Doch auch nach dem neuen Arbeitsrecht waren politische Streiks und Besetzungen von Betrieben verboten.

Die Arbeiterkomitees hielten sich nicht dran. Clara Queiroz erzählt: „Der katholische Radiosender Renascensa wurde von den Arbeitern besetzt. Jeder hatte sein Transistorradio auf den Sender eingestellt, um zu hören, was alles passierte. Der Sender rief dazu auf, die Besetzungen zu unterstützen.
Es war ein Fest der Freiheit. Dieses Bild habe ich behalten.
Im Faschismus hatte jeder Angst, dass seine Nachbarn ihn denunzieren würden. Aber jetzt waren alle Spitzel verschwunden. Frauen, die weder lesen noch schreiben konnten, trauten sich jetzt, Reden zu halten.“

Auf den entschlossenen Kampf der Arbeiter für die Freiheit der Menschen reagierte die Armee mit Gewalt. Rechte Offiziere versuchten im September 1974 und im März 1975, eine Militärdiktatur errichten.

Beide Putschversuche scheiterten, weil die Soldaten den Befehl verweigerten. Statt auf Arbeiter zu schießen, verbrüderten sich die Soldaten mit den Arbeitern. Auch wenn die Regierung das Militär zur Räumung besetzter Betriebe einsetzen wollte, schlossen sich viele Soldaten der Bewegung an.

„Bei einer Großkundgebung im Lissabon schlug jemand vor, dass wir die Soldaten, die noch im Militärgefängnis eingekerkert waren, befreien sollten“ , berichtet Bruno Ponte. „Tausende Arbeiter zogen los, und wir befreiten die Soldaten. Fast jeden Tag gab es Demonstrationen. Die Menschen organisierten riesige Treffen, an denen sich jeder beteiligen konnte.“

Angestellte besetzten im Frühjahr 1975 ihre Banken, um Währungsspekulationen zu verhindern. In einigen hundert Betrieben und Banken kontrollierten Arbeiterkomitees die Produktion und entschieden demokratisch, wofür die Profite eingesetzt wurden.

Landarbeiter und landlose Bauern im Süden besetzten und bewirtschafteten gemeinsam rund 200.000 Hektar Land. Sie verjagten die Großgrundbesitzer, kauften Milchvieh und bauten auf brachgelegten Feldern an, um die Lebensmittelknappheit in den Städten zu lindern.

Fabrikarbeiter, Studierende und Arbeitslose halfen bei der Ernte. Landarbeiterkooperativen lieferten Lebensmittel an Fabrikkomitees in Lissabon und erhielten von diesen Lastwägen für weitere Transporte.
Mit vielen solchen Initiativen haben die Menschen gezeigt, dass sie den Kapitalismus beseitigen und eine solidarische Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen planen und gestalten können. Die Portugiesen hatten es mehrmals geschafft, die Herrschenden in die Schranken zu weisen.

Doch noch immer kontrollierten die Konzerne die meisten Fabriken und Banken. Sie schufen ihr Kapital ins Ausland und senkten die Produktion so weit, dass 1975 300.000 Menschen arbeitslos waren.

Auch die meisten Zeitungen, Radio- und Fernsehsender waren in den Händen der Konzerne. Die einflussreiche Kirche, Regierung und Medien schoben den Mangel an Traktoren, Saatgut und Düngemitteln, den Mangel an Bauteilen für die Montageindustrie, sowie den Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut den revolutionären Arbeitern in die Schuhe.

Wegen ihrer beschränkten Kontrolle über die Wirtschaft konnten die Revolutionäre keine Lösungen anbieten. Weil sie zu wenige Massenmedien kontrollierten, konnten sie der Hetze der Rechten nicht genug entgegensetzen und immer weniger Menschen unterstützten die Revolution. Konzerne, Regierung und Militär übernahmen wieder die Kontrolle.

Die portugiesische Revolution musste scheitern, weil sie den Herrschenden die Macht nicht komplett genommen hatte. Doch für die Linken in Portugal ist die Bewegung heute wieder Vorbild für ihren Kampf gegen den Kapitalismus.

1999 wurde der Linke Block gegründet, ähnlich dem neuen Linksbündnis aus den Parteien Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Wahlalternative und PDS in Deutschland. „Die Revolution ist in unserem Erbgut“, sagte Alice Brito vom Vorstand. Sie war wie viele der 4000 Mitglieder als Jugendliche in der Revolution aktiv und ist Antikapitalistin geblieben.

Alice will aus den damaligen Fehlern lernen. Der Linke Block tritt bei den Wahlen an. Seine Abgeordneten nutzen das Parlament als Bühne, um gegen die herrschende Politik für Konzerne in Betrieben und auf der Straße Widerstand zu mobilisieren.

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