Nazis sollten kein Versammlungsrecht haben. Eine Rede des Münchener Holocaust-Überlebenden Martin Löwenberg.
Der Text ist ein Auszug aus der Rede Löwenbergs bei der Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille am 12. Dezember in Berlin. Vollständige Rede zum Download |
Meine Eltern waren aktive Sozialdemokraten und Gewerkschafter; mein Vater jüdischer Herkunft. Ich habe bewusst den Faschismus an der Macht und sein Ende, aber auch vor der Machtübergabe erlebt.
Aus der Vielzahl einprägsamer Erlebnisse bis 1945 nenne ich: 1932 Überfall von SA und HJ Gruppen auf unser Jugend- und Kinderheim der Sozialistischen Jugend Die Falken, deren Mitglieder mein Bruder und ich waren.
Am 9. November 1938 habe ich mit ansehen müssen, wie jüdische Gotteshäuser angezündet, jüdische Geschäfte geplündert, Menschen gejagt, geschlagen, verhaftet wurden. Ende 1941 musste ich die Deportation von 15 jüdischen Verwandten gen Osten verarbeiten. Keiner überlebte den Holocaust.
Und ab Mai 44 erlebte ich mit KZ- und Zwangsarbeit in unterirdischen Rüstungsbetrieben hautnah die Nazi-Zielsetzung: Vernichtung durch Arbeit. Von diesen und anderen unvergesslichen Erlebnissen mich leiten lassend, sage ich: Die Nazidiktatur ist doch nicht über Nacht über Deutschland hereingebrochen. Sie ist gemacht, vorbereitet worden, einfach gesagt, von Menschen, und muss also auch von Menschen verhindert werden.
Eine bittere Lehre, die wir Überlebende der faschistischen Barbarei nach der Befreiung ziehen mussten, war die Erkenntnis, dass Nazismus, Völkermord und Krieg hätten verhindert werden können, wenn Antinazis und Demokraten die Gefahr rechtzeitig erkannt und gemeinsam den Kampf gegen die braune Pest geführt hätten. Diese und andere Schlussfolgerungen fanden nach der Befreiung 1945 ihren Niederschlag in zahlreichen Programmen demokratischer Organisationen und Parteien, aber auch in Länderverfassungen und im Grundgesetz der BRD.
Auf heute bezogen heißt das für mich: Antinazistische Grundaussagen und Artikel, ja, Wesensinhalt des Grundgesetzes lassen eine Legitimierung rechtsextremistischer Aktivitäten jeder Art nicht zu. Deutlicher gesagt: Rassismus, Antisemitismus, Chauvinismus, die Kernpunkte nazistischer Ideologie und Politik sind mit dem Wesensinhalt des Grundgesetzes unvereinbar, dürfen auch nicht mit dem Versammlungsgesetz legitimiert werden!
Ich unterstreiche folgendes ganz bewusst: Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Versuche ihrer Einschränkung müssen von uns Demokraten verhindert werden.
Aber: Für die Totengräber der Demokratie darf es keine Toleranz geben! Nie wieder darf sich in Deutschland jenes wiederholen, was der Nazi-Propagandaminister Goebbels wie folgt beschrieb: Es wird wohl immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde.
Nazis aller Schattierungen stehen für mich außerhalb des Verfassungsrahmens. Jede nazistische Betätigung muss deshalb unterbunden werden. Aus dieser Pflicht entlasse ich niemanden, auch nicht den Staat, seine Polizei und Justiz.
Da ich natürlich weiß, dass Verfassungsfragen vor allem Machtfragen sind und staatliche Stellen den Marsch der braunen Mobs zunehmend legitimieren, ihm geradezu Verfassungsrang einräumen, bei gleichzeitiger Diffamierung und Kriminalisierung demokratischer Gegenaktivisten, sage ich: Für mich ist von ausschlaggebender Bedeutung das entschlossene, gemeinsame Handeln vieler demokratischer und antifaschistischer BürgerInnen. Nur diese bilden einen stabilen Damm gegen alle Varianten des Faschismus.