Kann die Waffenruhe zwischen den Palästinensern und Israel Frieden bringen? Darüber redet Nabil Rachid von der Palästinensischen Gesellschaft für Menschenrechte im Linksruck-Gespräch.
Seit dem Waffenstillstand zwischen Israel und den Palästinensern hoffen viele auf Frieden. Zu Recht?
Nabil: Wir sollten Frieden von Ruhe unterscheiden. Derzeit herrscht nur Ruhe. Vielleicht wird es bis 2008 einen palästinensischen Staat geben. Aber das wird kein eigenständiger Staat sein, sondern einer, der von Hilfe abhängig ist. Auf dieser ungerechten Grundlage wird es keinen dauerhaften Frieden geben.
Warum bist du sicher, dass ein palästinensischer Staat abhängig sein wird?
Für Unabhängigkeit müssten mindestens vier Probleme gelöst sein: 1. Wird der neue Staat seine Grenzen selbst kontrollieren? 2. Wird er über seine Ressourcen, besonders über Wasser, bestimmen dürfen? 3. Dürfen die Palästinenser aus den Flüchtlingslagern in ihre Heimat zurückkehren? 4. Was wird die Hauptstadt sein? Erst eine für die Palästinenser zufrieden stellende Lösung dieser Fragen würde aus besetzten Gebieten einen Staat machen.
Was ist das Problem mit dem Wasser?
Israel nimmt sich heute zwei Drittel des Wassers im Westjordanland. In Israel kostet der Kubikmeter Wasser 60 Cent. Die israelischen Siedler im Westjordanland bezahlen 40 Cent. Für die Palästinenser im Westjordanland kostet der Kubikmeter 1,20 Euro.
Israel verbraucht pro Kopf drei Mal so viel Wasser wie die Palästinenser. Dazu kommt, dass die Palästinenser in den besetzten Gebieten nicht nach Wasser bohren dürfen.
Es gab gerade Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern in Scharm el Scheich. Was ist davon zu erwarten?
Der israelische Ministerpräsident Scharon und der palästinensische Präsident Abbas haben ein 600 Seiten dickes Abkommen geschlossen. Darin kommt das Wort Besatzung nicht einmal vor.
Stattdessen verlangt Israel von den Palästinensern, dass sie die Sicherheit seines Staates garantieren. Das ist wohl das erste Mal, dass eine Besatzungsmacht ihre Sicherheit von ihren Gefangenen verlangt.
Israel will die palästinensische Regierung nicht als Gesprächspartner, sondern als Kollaborateure. Darum hat Scharon die letzten Jahre nicht mehr mit dem früheren palästinensischen Präsidenten Arafat verhandelt. Er konnte nicht auf alle Rechte für die Palästinenser verzichten und wollte es wohl auch nicht. Jetzt versucht Israel es wieder.
Die israelische Regierung hat gerade den Rückzug aus dem besetzten Gazastreifen beschlossen. Ist das ein Zeichen des guten Willens?
Israel hatte nie das Ziel, den Gazastreifen zu besetzen. Das beweist die relativ geringe Zahl von Siedlern dort: 8000 Menschen, bewacht von 85.000 Soldaten. Scharon will dafür die Siedlungen im besetzten Westjordanland behalten.
Außerdem wird Israel nicht vollständig abziehen. Der Gazastreifen ist heute durch Armeeposten und Schnellstraßen für Israelis in vier Zonen geteilt. Die Posten werden abgebaut. Stattdessen kontrolliert die Armee nur noch die Außengrenzen. Der Gazastreifen wird ein riesiges Gefängnis für Palästinenser.
Ein Zeichen des guten Willens ist eher von uns zu erkennen: Selbst Hamas und der Islamische Dschihad haben dem Waffenstillstand zugestimmt. Sie zeigen, dass die Palästinenser Frieden wollen. Aber viele Menschen haben Angst, dass die israelischen Siedlungen und die Mauer im Westjordanland bleiben.
Schützt die Mauer Israel vor Terroristen?
Wir haben jetzt Waffenruhe. Wird die Mauer abgebaut? Nein, sie trennt weiterhin Familien. Sie trennt Bauern von ihren Feldern, Schüler von ihren Schulen und Studierende von ihren Universitäten.
Von Bethlehem nach Jerusalem fuhr man früher mit dem Auto 20 Minuten. Heute braucht man wegen der Mauer einen halben Tag. Wir haben Angst, dass diese Trennung zur Tatsache wird, obwohl Waffenruhe herrscht.
Die Waffenruhe ist gerade durch einen Anschlag gebrochen worden.
Die Palästinenser sind ein friedliches Volk. 1967 besetzte Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem. Es dauerte 21 Jahre bis zur ersten Intifada 1988. So lange haben wir auf eine politische Lösung gehofft.
Dann kamen Verhandlungen von 1993 bis 2000. Wir haben nicht angegriffen. Trotzdem wurde die Zahl der israelischen Siedler im Westjordanland verdoppelt. Erst dann begann die zweite Intifada.
Die Selbstmordattentate gibt es erst, seit für viele Palästinenser das Leben unter der Besatzung keinen Sinn mehr macht.
Kann es Frieden im Nahen Osten geben?
Nur, wenn es keine zwei getrennten Staaten Israel und Palästina gibt. Die einzige Lösung ist ein gemeinsamer Staat.
Dann können die palästinensischen Flüchtlinge zurückkehren. Jerusalem ist nicht mehr geteilt und die israelischen Siedler sind kein Problem mehr, weil auch wir überall leben dürfen.
Das klingt schwierig. Aber wenn in der Schweiz, in Kanada und Belgien verschiedene Völker zusammenleben, ist es auch bei uns möglich. Das meinen auch viele Intellektuelle aus Israel. Aber das lässt sich nur gegen die USA durchsetzen.
Warum das?
Die USA wollen den ganzen Nahen Osten beherrschen. Bisher konnten sie die Region mit arabischen Marionettenregierungen kontrollieren.
Inzwischen sind selbst die Saudis gegen ihren König. Darum versuchen die USA jetzt, den Nahen Osten mit ihrer eigenen Armee zu beherrschen.
Um den Nahen Osten zu kontrollieren, brauchen die USA aber auch die israelische Armee als Verbündeten und keinen demokratischen jüdisch-arabischen Staat. Der Widerstand gegen die US-Besatzung im Irak hilft auch dem Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung. Ein Sieg der Iraker wäre auch ein Sieg der Palästinenser.
Das Gespräch führte Jan Maas