Im Linksruck-Gespräch erklärt Bernd Riexinger, Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Stuttgart, warum die Gewerkschaft hinter verschlossenen Türen verhandelt.
Bernd Riexinger leitet den ver.di-Bezirk Stuttgart |
Ist die Tarifrechtsreform gut oder schlecht für die Arbeiter und Angestellten?
Solange die neuen Entgelttabellen nicht auf dem Tisch liegen, ist das nicht zu beurteilen. Offiziell will ver.di erreichen, dass durch die Tarifrechtsreform weder die Löhne sinken noch die Arbeitszeit verlängert wird. Das unterstütze ich 100 Prozent. Doch beim bisherigen Verhandlungsstand fürchte ich, dass die Gewerkschaft bei Lohn und Arbeitszeit nachgibt.
Wie kommst du darauf?
Bei Reinigungskräften wurde eine neue Niedriglohngruppe ausgehandelt. Statt 1540 Euro werden die Angestellten jetzt 1286 Euro bekommen. Das entspricht dem Lohn in der privaten Wirtschaft.
Ver.di will durch Übernahme der schlechten Bedingungen bei privaten Unternehmen Privatisierungen verhindern. So führen die öffentlichen Arbeitgeber untereinander Konkurrenz um die niedrigsten Löhne.
Auch bei der Arbeitszeit gibt es Aufweichungen. Zwar wird Arbeitszeitverlängerung nicht allgemein festgeschrieben. Dafür kann die Arbeitszeit mit so genannten Arbeitszeitkorridoren auf bis zu 48 Stunden pro Woche steigen.
Ver.di geht erstmals ohne Forderung nach Lohnerhöhung in die Tarifrunde, weil die Tarifrechtsreform erhebliche Belastungen für die Arbeitgeber bedeute. Stimmt das?
Das ist nicht klar. Sicher ist jedoch, dass die neue Entgeltstruktur erst ab Ende 2006 gilt, wenn der neue Tarifvertrag abgelaufen ist. Deshalb ist es falsch, keine Lohnerhöhung zu fordern.
Dauernd kommen neue Belastungen und Kürzungen auf die Kollegen zu, sei es durch Praxisgebühr, Rentenkürzung oder Inflation. Ohne Lohnsteigerung stehen die Kollegen mit erheblichen Einbußen da.
Bisher wurden die Verhandlungen über die Tarifrechtsreform und die Tarifrunde hinter verschlossenen Türen geführt. Wird es nächstes Jahr gar keine Tarifrunde geben?
So stellen sich das einige Verhandlungsführer der Gewerkschaft wohl vor. Bis Ende Januar soll ein Kompromiss mit den Arbeitgebern ausgehandelt werden, der dann als Ergebnis der Tarifrunde von der großen Tarifkommission abgenickt wird. Dazu passt, dass ver.di keine Warnstreiks zur Tarifrunde plant.
Das ist eine riskante Strategie. Regierung und Kapital führen einen Generalangriff auf den Sozialstaat. Die Gewerkschaft will diesen Angriff durch Zugeständnisse, auch bei der Tarifrechtsreform, abzumildern. Das funktioniert nicht.
Nach den Arbeitszeitverlängerungen in der Automobilindustrie werden alle Arbeitgeber radikaler. Möglicherweise wollen sie die Arbeitszeit generell verlängern, weil ihnen die Möglichkeit in einzelnen Betrieben vom Tarifvertrag abzuweichen, nicht ausreicht. Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Verhandlungen scheitern.
Die Gewerkschaft kann die Angriffe nur mit Streiks abwehren, nicht durch immer weiter gehende Zugeständnisse.Das Gespräch führte Stefan Bornost