Die Organisationen der Arbeiterbewegung brauchen einen Neuanfang, meinen zwei ver.di-Gewerkschafter aus Baden-Württemberg.
Bernd Riexinger/Werner Sauerborn: Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle. Vorwärts zu den Wurzeln, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 10/2004, erhältlich im Buchhandel oder über den VSA-Verlag, St. Georgs Kirchhof 6, 20099 Hamburg |
Hafenarbeiter und Renault-Arbeiter haben sich international gegen Angriffe des Kapitals gewehrt. Bisher sind das Ausnahmen. Aber sie zeigen, was möglich ist.
Die meisten Gewerkschaften haben keine schlagkräftige Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung gefunden sie lassen sich erpressen wie zuletzt beim Arbeitskampf bei VW. Das schreiben die Gewerkschafter Bernd Riexinger und Werner Sauerborn in ihrer neuen Broschüre Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle.
Sie meinen, dass die Gewerkschaftsbewegung sich grundsätzlich ändern muss, um auf die verschärften Angriffe der Konzerne und Regierungen zu reagieren. Was ist dazu nötig? Erstens müssen die Gewerkschaften Abschied von der Idee nehmen, die Wirtschaft gemeinsam mit den Bossen verwalten können. Zweitens müssen sie sich international organisieren.
Bisher herrscht in den Gewerkschaften Uneinigkeit darüber, welches Ausmaß an Attacken bevorsteht. Zu erwarten ist nicht etwas Sozialabbau oder das Abrutschen auf ein etwas niedrigeres Tarifniveau, wonach es wieder weitergeht wie bisher, schreiben Riexinger und Sauerborn.
Einstellen müssen sich die Gewerkschaften vielmehr auf einen tief greifenden Angriff auf die gesamten Grundlagen der sozialen Regulierung, dessen Grenze nach unten nicht absehbar oder definierbar ist.
Die beiden Autoren meinen, die lange Tradition der Sozialpartnerschaft sei dafür verantwortlich, dass viele Gewerkschafter das nicht wahrhaben wollen. Jahrzehntelang bedeutete Gewerkschaftsarbeit, besonders in Deutschland, einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit zu finden. Darin sahen viele Gewerkschafter ihre Aufgabe.
Diese Zeiten sind vorbei: Die Gegenseite, das Kapital, kündigt unter den geänderten ökonomischen Bedingungen den Nachkriegskonsens auf und kehrt zurück zum offenen Klassenkampf. Die Gewerkschaften haben keine andere Chance, als ebenfalls auf die Grundlinie zurückzukehren und in einem sehr grundsätzlichen innergewerkschaftlichen Diskurs ihre Mitglieder und Funktionäre für diese strategische Perspektive zu gewinnen.
Dafür brauchen die Gewerkschaften ein eigenes Programm, um die Behauptung zu widerlegen, dass es keine Alternativen zu den Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiter gebe. Die Autoren schlagen vor: Arbeitszeit verkürzen; Reichtum umverteilen, um den öffentlichen Dienst auszubauen, Arbeitsplätze zu schaffen und die soziale Sicherung auszubauen; sowie die Wirtschaft demokratisch kontrollieren.
Die Möglichkeiten, solche Forderungen durchzusetzen, sind dadurch begrenzt, dass die Bosse die Arbeiter international gegeneinander ausspielen. Darauf müssen die Gewerkschaften reagieren. Ihre Aufgabe besteht darin, die Konkurrenz unter den Arbeitern einer Branche aufzuheben.
Globalisierung bedeutet, dass eine Branche immer weniger auf ein einzelnes Land begrenzt werden kann. Gegen multinationale Konzerne helfen nur multinationale Gewerkschaften.
Bisher reagieren die Gewerkschaften, indem sie verschiedene Branchen in einer nationalen Gewerkschaft zusammenschließen, wie in der Dienstleitungsgewerkschaft ver.di. Die Autoren schlagen dagegen vor, sich international in den einzelnen Branchen zu organisieren wie die Hafenarbeiter in der ITF.
Die Gewerkschaften sind in ihrer derzeitigen Aufstellung an Grenzen geraten, die ihnen einen qualitativen Sprung abverlangen, einen Neubeginn, der in vielerlei Hinsicht Analogien mit der Gründungssituation der Gewerkschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert aufweist.
Aber die Gewerkschaften müssen nicht bei Null anfangen. Es gibt bereits eine Reihe von Brückenköpfen, die als Anfänge einer neuen Gewerkschaftspolitik dienen können: Zum Beispiel Dachverbände wie die ITF oder der Europäische Verband der Wanderarbeiter, den die IG BAU vor kurzem gegründet hat.
Auch die Gründung von Euro- oder Weltbetriebsräten ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ohne starke Gewerkschaften werden diese jedoch den Erpressungen der Bosse hilflos gegenüber stehen, denn sie arbeiten nur in jeweils einem Konzern.
Starke multinationale Gewerkschaften können nur im Geist der internationalen antikapitalistischen Mobilisierungen entstehen wie der Europäische Aktionstag am 2. und 3. April 2004, als in Deutschland 500.000 gegen Sozialabbau auf die Straße gingen. Nur der Geist der internationalen Solidarität und des Widerstands kann die Grundlage der neuen Gewerkschaft sein.