Auch wenn das Endergebnis noch aussteht – es ist hochwahrscheinlich, dass George W. Bush die US-Wahl gewonnen hat.
Damit stehen große Teile der amerikanischen Linken vor einem Trümmerhaufen. Sie hatten in den letzten Monaten nur eine politische Kampagne unterstützt – die Wahlkampagne John Kerrys.
Obwohl alle Kriegsgründe Bushs als Lügen entlarvt wurden, der irakische Widerstand erbitterte Gegenwehr leistet und die Kritik am Krieg in den USA wie bei den Truppen im Irak immer stärker wurde, legte der Großteil der amerikanischen Anti-Kriegs-Bewegung ihre Mobilisierung auf Eis und schloss sich der Pro-Kerry-Kampagne an. Der unabhängige Kandidat Ralph Nader, der für einen Truppenabzug aus Irak und Besteuerung der Reichen steht, wurde von links härter angegriffen als von rechts. Er soll schuld sein, wenn Bush gewinnt.
Schuld ist Kerrys Wahlniederlage ist jedoch niemand anders als Kerry selbst. Bush war in einer sehr schwachen Position. Er ist der erste Präsident seit Herbert Hoover Ende der 20’er, unter dem die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Dazu kommt die steigende Ablehnung des Irak-Krieges in der amerikanischen Bevölkerung.
Kerry hat davon nicht profitieren können, weil er dieselbe Politik wie Bush vertritt. Er will eine Truppenverstärkung im Irak, keinen Truppenabzug. Er will neoliberale Politik in den USA und weltweit weiterführen – nicht ändern.
Wer immer die US-Wahl gewinnt – die Menschen in den USA, im Irak und anderswo verlieren. Deshalb war es falsch, dem Argument des kleineren Übels nachzugeben, wie es große Teile der amerikanischen linken getan haben. Sie stehen nach der Wahl mit leeren Händen da – anstatt eigene Strukturen , eigene Kampagnen und eigene Mobilisierungen zu entwickeln, haben sie sich zu Rädchen in der demokratischen Wahlmaschine machen lassen. Diese Maschine wird jetzt wieder eingemottet und die Demokraten werden weiterhin der Politik von Bush im Senat und Kongress ihre Stimme geben – so wie John Kerry es vier Jahre lang tat.
Die US-Wahl beinhaltet eine Lehre für uns: Je näher die Bundestagswahl 2006 rückt, desto stärker wird die SPD versuchen, sich als „kleineres Übel“ zur CDU zu profilieren. Wir sollten nicht den Fehler der US-Linken machen, und auf dieses Argument hereinfallen. Schröder bereitet mit seinem Sozialabbau der CDU den Weg – sowohl politisch als auch bei den Wahlen selbst durch masssenhaftes Zuhausebleiben sozialdemokratischer Wähler.
Weitere Mobilisierungen gegen Sozialabbau, wie die europaweite Demonstration in Brüssel am 19. März 2005 und der Aufbau der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit als wirkliche Alternative sind der richtige Weg.
Während in den USA die Stimmen ausgezählt werden, laufen im Irak die Vorbereitungen für einen Großangriff auf die Menschen in Falludscha, Samarra und anderen irakischen Großstädten. Falludscha wird seit tagen schwer bombardiert. Der Sturmangriff kann jeden Tag beginnen. Der Angriff wird zu einem Blutbad unter der Bevölkerung führen. Die Menschen in Falludscha haben einen Brief an die Welt geschrieben, in dem sie um Hilfe bitten. Der Brief ist unten dokumentiert und sollte überall vorgelesen und weiterverbreitet werden.
Brief aus Falludscha
Am 14. Oktober wandten sich Repräsentanten der irakischen Stadt Falludscha in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan.
Exzellenz, es ist sehr offensichtlich, daß die amerikanischen Streitkräfte jeden Tag im Irak Völkermordverbrechen verüben. Jetzt, während wir an Eure Exzellenz schreiben, verüben die amerikanischen Streitkräfte diese Verbrechen in der Stadt von Falludscha. Die amerikanischen Kampfflugzeuge werfen ihre mächtigsten Bomben auf die Zivilbevölkerung, die Hunderte von unschuldigen Menschen töten und verletzen. Zur gleichen Zeit greifen ihre Panzer die Stadt mit schwerer Artillerie an.
Wie Sie wissen, gibt es keine militärische Präsenz in der Stadt. Es gab keinerlei Aktionen seitens der Falludscha-Widerstandsbewegung in den vergangenen Wochen, weil die Verhandlungen zwischen den Vertretern der Stadt und der Regierung gut vorankamen. In dieser Atmosphäre begannen die neuen Bombardements der Amerikaner. (…)
Nun sind viele Menschen in den Überresten ihrer zerbombten Häuser eingeschlossen wie in einer Falle, und niemand kann ihnen helfen, während die Angriffe weitergehen. Allein in der Nacht zum 13. Oktober haben amerikanische Bombardements 50 Häuser zerstört – mit ihren Bewohnern darin. Ist das ein genozidales Verbrechen oder eine Unterrichtsstunde in amerikanischer Demokratie? Es ist offensichtlich, daß die Amerikaner Terrorakte gegen die Bevölkerung von Falludscha nur aus einem Grund begehen: die Weigerung, ihre Besatzung zu akzeptieren. (…)
Wir wissen, daß wir in einer Welt leben, die mit zweierlei Maß mißt. In Falludscha haben sie ein neues, vages Ziel erschaffen: Al Sarkawi. Das ist der neue Vorwand, um ihre Verbrechen zu rechtfertigen, das Töten und das tägliche Bombardement von Zivilisten. Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem sie diesen neuen Vorwand erfunden haben, und jedes Mal, wenn sie Häuser, Moscheen und Restaurants zerstören und Kinder und Frauen töten, sagen sie »Wir haben eine erfolgreiche Operation gegen Al Sarkawi durchgeführt.« Sie werden niemals sagen, daß sie ihn getötet haben, weil es eine solche Person nicht gibt. Und das bedeutet, daß das Töten von Zivilisten und der tägliche Genozid weitergehen werden.
Die Bevölkerung von Falludscha versichert Ihnen, daß diese Person, falls sie existiert, nicht in Falludscha ist und wahrscheinlich nirgendwo im Irak. Die Bevölkerung von Falludscha hat viele Male angekündigt, daß jede Person, die Al Sarkawi sieht, ihn töten würde. Es ist offensichtlich, daß dieser Mann nur eine hypothetische Figur ist, die von den Amerikanern erschaffen wurde. Gleichzeitig haben die Vertreter von Falludscha, unsere Stammesführer, bei vielen Gelegenheiten das Kidnapping und Töten von Zivilisten angeprangert. Wir haben keine Verbindung zu irgendeiner Gruppe, die solch inhumanes Verhalten praktiziert.
Exzellenz, wir bitten Sie und auch alle anderen führenden Staatsmänner der Welt, auf die US-amerikanische Administration den größtmöglichen Druck auszuüben, damit sie ihre Verbrechen in Falludscha stoppt und ihre Armee abzieht, weit weg von der Stadt. Die Stadt war sehr ruhig und friedlich, als ihre Einwohner sie wieder selbst verwalten konnten. Wir haben keine Unruhen in der Stadt gehabt. Die zivile Verwaltung ging gut. (…)
Wir haben einfach die Besatzungsmacht nicht willkommen geheißen. Das ist unser Recht gemäß der UN-Charta, dem internationalen Recht und den Normen der Humanität. Wenn die Amerikaner das Gegenteil glauben, dann sollen sie zuerst zur UNO gehen und all ihren ausführenden Organen, bevor sie in einer Weise handeln, die im Gegensatz zur UN-Charta steht, die sie unterzeichnet haben.
Es ist sehr dringend, daß Eure Exzellenz zusammen mit anderen führenden Persönlichkeiten der Welt rasch eingreifen, um neue Massaker zu verhindern. (…)
Hochachtungsvoll, Kassim Abdullsattar Al Dschumaili, Präsident des Studienzentrums für Menschenrechte und Demokratie, für die Bevölkerung und für den Stadtrat von Falludscha, die Juristenvereinigung, die Lehrervereinigung, den Rat der Stammesführer sowie das Haus der Fatwa und religiösen Erziehung.