In den letzten 15 Jahren seines Lebens wurden Leo Trotzkis Schriften dominiert von seinem Versuch den Aufstieg des Stalinismus verstehen und von einem theoretischen Begriff- der Einheitsfront. Er schrieb vor dem Hintergrund des Aufstiegs des Faschismus in Spanien und Deutschland und während die Welt dem zweiten imperialistischen Weltkrieg näherrückte. Seine Schriften richteten sich an die Millionen von Arbeitern, die auf die kommunistischen Parteien und die Kommunistische Internationale blickten und die selbst in dieser Phase die Macht hatten, den Gang der Geschichte zu ändern, den Faschismus zu schlagen und sich zu vereinen um die kapitalistische Klasse anzugreifen.
Die Einheitsfronttheorie dreht sich jedoch nicht nur um den Kampf gegen den Faschismus. Sie war ein Versuch, die Kluft zwischen der revolutionären Partei und der Arbeiterklasse zu überbrücken. Sie war die Anerkennung der Tatsache, daß bewußte organisierte Revolutionäre in der kapitalistischen Gesellschaft eine Minderheit sind. Dennoch brauchen die Arbeiter die revolutionären marxistischen Ideen und die Organisation, wenn sie die Revolution machen sollen. Wenn dieser Widerspruch aufgehoben werden soll, muß die revolutionäre Minderheit Wege finden, ihre Ideen viel größeren Gruppen von Arbeitern nahezubringen und mit diesen zusammen zu organisieren.
Die Theorie der Einheitsfront schloß auch die Erkenntnis ein, daß Revolutionäre versuchen müssen, zwei Dinge gleichzeitig zu tun. Sie versuchen, Arbeiter von ihren alten Ideen und Organisationen wegzubrechen und für eine revolutionäre Partei zu gewinnen. Gleichzeitig versuchen sie, am tagtäglichen Klassenkampf teilzunehmen. Das heißt mit Leuten zusammenzuarbeiten, die eine große Bandbreite verschiedener politischer Ideen haben aber nichtsdestotrotz bereit sind, sich für bestimmte -oft defensive- Forderungen zu vereinigen. Die Theorie der Einheitsfront war eine Antwort auf diese Probleme.
Die Theorie selbst wurde von der Komintern in den Jahren nach der russischen Revolution entwickelt. Die "Thesen zur Taktik der Komintern" von 1922 drückten es so aus: "Die Einheitsfronttaktik ist einfach eine Initiative, durch die die Kommunisten allen Arbeitern, die zu anderen Parteien und Gruppen gehören und allen unorganisierten Arbeitern vorschlagen, sich in einem gemeinsamen Kampf um die unmittelbaren, grundlegenden Interessen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie zusammenzuschließen. Jede Aktion, selbst um die trivialste alltägliche Forderung kann zu revolutionärem Bewußtsein und revolutionärer Schulung führen; es ist die Erfahrung des Kampfes, die die Arbeiter von der Unvermeidlichkeit der Revolution und der historischen Bedeutung des Kommunismus überzeugen wird."
Um zu verstehen, warum diese Taktik angenommen wurde und warum sie Trotzki in den 20ern und 30ern so stark betonte, müssen wir den Hintergrund betrachten, vor dem sie vorgeschlagen wurde.
Die Ereignisse der vorangegangenen 10 Jahre hatte jede Vorstellung von einer vereinten sozialistischen Bewegung zerstört. Der Ausbruch des 1.Weltkrieges 1914 brachte die massive Krise zum Vorschein, die bereits einige Jahre geschwelt hatte. Die Unterstützung der meisten Führer der sozialistischen Parteien für die eigene herrschende Klasse und für das Gemetzel des Krieges 1914 zerschlug alle Illusionen von Einheit in der Sozialistischen Internationale. In den meisten Ländern wandte sich nur eine Handvoll prinzipientreuer Revolutionäre gegen den Krieg.
Dies veränderte sich schrittweise. Das Leiden, das der Krieg verursachte- für den Soldaten an der Front genauso wie für die Arbeiter in den Munitionsfabriken oder die Familie, die versuchte mit dem starken Preisanstieg fertigzuwerden- führte zu wachsender Unzufriedenheit. In vielen kriegführenden Ländern entwickelte sich diese zu Massenprotesten und in einigen zur Revolution.
Diese revolutionären Schlachten zeigten hunderttausenden von Arbeitern in der Praxis die Notwendigkeit, mit den alten reformistischen Führern und Parteien zu brechen auch wenn sie für mehr als eine kurze Periode überall außer in Rußland erfolglos waren. Diese Arbeiter schlossen sich den neuen kommunistischen Parteien an, die angesichts der russischen Revolution aus dem Boden schossen und die klar auf Arbeitermacht und Revolution als den Weg zum Sozialismus orientierten.
Die neuen Kommunistischen Parteien lehnten die alte Politik und die alten politischen Organisationen bewußt ab. Sie spalteten sich von diesen Parteien nicht wegen kleiner taktischer sondern wegen prinzipieller Fragen ab. Konnte der alte kapitalistische Staat durch Reformen aus der Krise gebracht werden? Konnte das Parlament benutzt werden um zur Arbeitermacht zu gelangen oder mußten die Arbeiterräte als separate Machtorgane aufgebaut werden?
Aber obwohl diese Fragen gültig blieben, wurde klar, daß die revolutionäre Bewegung, die dem Kriegsende 19917/18 folgte, nirgendwo außer in Rußland zur Errichtung von Arbeiterstaaten geführt hatte. Die Offensiven der Arbeiter blieben nicht einfach nur erfolglos, die herrschenden Klassen fühlten sich in vielen Situationen jetzt auch selbstbewußt genug um ihrerseits in die Offensive zu gehen. Wie es die Kominternthesen von 1921 beschrieben: "Die Weltwirtschaftskrise verschärft sich; die Arbeitslosigkeit steigt; in fast allen Ländern ist das internationale Kapital zur systematischen Offensive gegen die Arbeiter übergegangen, die zynischen und offenen Versuche der Kapitalisten, die Löhne zu kürzen und den generellen Lebensstandard der Arbeiter zu senken sind dafür der erste Beweis."
Die Kapitalistenklasse hatte es geschafft sich wieder unangetastet einzusetzen. Die Aufgabe, die sozialistische Revolution zu machen würde keine Angelegenheit sein, die sich mit einer kurzen, scharfen Offensive erledigen ließe. Die Arbeiter würden sich mit Defensivkämpfen beschäftigen müssen, über taktische Manöver nachdenken, ihre Kräfte umgruppieren und so weiter. Dies würde vereinte Aktion bedeuten auf die viele Arbeiter sowieso schon warteten. Wie Trotzki es ausdrückte: "Unter dem Eindruck des heraufziehenden kapitalistischen Angriffs gibt es eine neue Stimmung unter den Arbeitern- ein spontanes Bedürfnis nach Einheit."
Trotzki betonte wiederholt, daß die Einheitsfront erwuchs aus der objektiven Notwendigkeit für die Arbeiterklasse sich zu vereinigen um den Kapitalismus zu bekämpfen. "Das Proletariat kommt nicht über Schultreppen zum revolutionären Selbstbewußtsein, sondern durch den Klassenkampf, der keine Unterbrechung duldet. Zum Kampf braucht das Proletariat die Einheitsfront. Das gilt gleichermaßen für wirtschaftliche Teilkonflikte innerhalb eines einzelnen Betriebes und für solche �nationalen‘ politischen Kämpfe wie die Abwehr des Faschismus."
Ein zweiter Punkt war ebenso klar für die, die die Einheitsfronttaktik diskutierten. Die neuen revolutionären Kommunistischen Parteien hatten üblicherweise das Vertrauen einer Minderheit der Arbeiter in den verschiedenen Ländern. Nichtsdestotrotz waren sie oft Massenparteien. Aber Millionen von Arbeitern blickten immer noch auf die alten reformistischen Parteien oder auf die neuen "zentristischen" Formationen (die zwischen Reform und Revolution schwankten) statt auf die Revolutionäre.
Die Kommunisten erkannten, daß die Mehrheit dieser großen Masse sich nur durch ihre eigene Erfahrung von ihren alten Führern trennen würde- in anderen Worten durch Aktivität und Kampf, die den richtigen Weg zeigen würden um die Unternehmeroffensive zu bekämpfen und durch politische Parteien, die bereit wären diesen Kampf zu organisieren statt nur darüber zu reden. Diese Auseinandersetzung konnte durch predigen nicht gewonnen werden sondern nur durch den ständigen Versuch, Aktivität vorzuschlagen.
Die Einheitsfronttaktik erkannte deshalb die objektive Notwendigkeit einer Arbeiterbewegung an, die die Arbeiter vereinen konnte um ihre Fortschritte angesichts der Unternehmeroffensive zu verteidigen. Dies korrespondierte mit einem urwüchsigen Bedürfnis nach Einheit unter den militantesten Arbeitern und half den Revolutionären so mit anderen zusammenzuarbeiten, ihre Isolation zu überwinden und damit anzufangen, die Kluft zwischen der revolutionären Partei und der Arbeiterklasse zu überwinden.
Die Einheitsfront war als ein Weg, sich um eine oder mehrere Forderungen- wie klein sie auch sein mochten- herum zu organisieren gedacht, der die Arbeiter im Kampf vereinen konnte und dabei zwei Dinge leisten konnte. Erstens konnte sie eine Kampagne für eine spezielle Forderung starten, die größere Aussichten auf Erfolg hatte, weil sie mehrere Kräfte als nur eine Partei umfaßte. Zweitens konnte die Einheitsfront in der Praxis zeigen, daß die Argumente der Revolutionäre richtig waren und daß die Reformisten (oder zumindest ihre Führer) nicht bereit waren, ernsthaft für diese spezielle Forderung zu kämpfen, weil sie auf Aktivität aufgebaut war.
"Die Reformisten fürchten das revolutionäre Potential der Massenbewegung; ihre Lieblingsarenen sind die parlamentarische Tribüne, die Gewerkschaftsbüros…im Gegensatz dazu sind wir…daran interessiert, die Reformisten aus ihren Zufluchtsstätten herauszuzerren und sie neben uns vor die Augen der kämpfenden Massen zu stellen. Mit der richtigen Taktik können wir daraus nur gewinnen." Das schrieb Trotzki in seinem Buch Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale.
Die Theorie erscheint klar. Aber ihre Anwendung war viel komplizierter. Es gab alle möglichen Problemen- und einige Fallgruben- bei der Einführung der Taktik. Und obwohl die 20er und 30er Jahre große und wichtige Gelegenheiten boten für diese Art von Einheit- speziell der Aufstieg des Faschismus- bewegte sich die Politik der Kommunistischen Parteien mehr und mehr fort von der Art Einheitsfront, die Trotzki bevorzugte.
Also verwandte Trotzki notwendigerweise viel Zeit darauf auszusprechen was mit Einheitsfront gemeint war und was nicht. Besonders von den Gefahren, die die alten reformistischen Parteien mit sich brachten sprach er zuerst viel. Eine offensichtliche Gefahr der Einheit war, daß sie, statt die Arbeiter von diesen Führern wegzubrechen, tatsächlich deren Illusionen in jene festigen könnte. Das würde katastrophale Konsequenzen für die Arbeiterbewegung mit sich bringen. Schließlich hatten die Revolutionäre aus sehr guten Gründen mit den Reformisten nur wenige Jahre früher gebrochen. Die reformistischen Führer hatten sicherlich nicht ihre konterrevolutionären Färbung verloren. Wie konnte dieses Problem vermieden werden?
Trotzki betonte eine Reihe von Leitlinien. Er schrieb ziemlich ausführlich über die Notwendigkeit für Revolutionäre, ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren. Sie müssen jederzeit die Freiheit der Kritik gegenüber denjenigen haben, mit denen sie sich vereinigen, die Freiheit ihre eigenen Publikationen und Propaganda zu produzieren und wenn nötig unabhängig zu handeln. Für Trotzki konnte das Verhältnis von Partei und Klasse durch die Einheitsfront sehr wirkungsvoll aufgezeigt werden. Aber das verlangte offensichtlich zunächst einmal eine Parteiorganisation. In den Fünf ersten Jahren der Kommunistischen Internationale erklärt er das.
"Wenn die Kommunistische Partei nicht drastisch und unwiderruflich mit den Sozialdemokraten gebrochen hätte…hätte sie nicht die ersten Schritte auf dem Weg zur Revolution gehen können. Sie wäre für immer als parlamentarisches Sicherheitsventil an den bürgerlichen Staat gefesselt geblieben."
"Wer das nicht versteht, kennt den ersten Buchstaben des ABC des Kommunismus nicht."
"Wenn die Kommunistische Partei nicht nach organisatorischen Wegen zur…gemeinsamen koordinierten Aktion…suchen würde, würde sie dadurch ihre eigene Unfähigkeit offenbaren, die Mehrheit der Arbeiterklasse- auf der Basis von Massenaktion- für sich zu gewinnen. Sie würde in eine Kommunistische Propagandagesellschaft degenerieren aber sich niemals zu einer Partei zur Eroberung der Macht entwickeln."
"Es reicht nicht aus, ein Schwert zu besitzen, man muß ihm eine Schneide geben; es ist nicht genug, dem Schwert eine Schneide zu geben, man muß es zu führen wissen."
"Es genügt nicht, die Kommunisten mithilfe organisatorischer Disziplin zusammenzuschmelzen nachdem man sie von den Reformisten getrennt hat; es ist notwendig, daß diese Organisation lernt, wie man all die kollektiven Aktivitäten des Proletariats in allen Sphären seines lebendigen Kampfes leitet."
"Das ist der zweite Buchstabe im Alphabet des Kommunismus."
In anderen Worten: der Sinn einer revolutionären Partei ist die Entwicklung ihrer eigenen Theorien und Aktivitäten- aber nicht als ein Selbstzweck. Diese müssen dann benutzt werden, um zu versuchen andere zu gewinnen, die das selbe Ziel haben, es aber versuchen auf einem anderen Weg zu erreichen.
Der zweite Punkt war, daß die Einheitsfront für spezifische Fragen organisiert werden muß. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit, organisatorische Unabhängigkeit und politische Klarheit zu bewahren. Die verschiedenen Parteien der Einheitsfront könnten keine Einheit schaffen, die ihr gesamtes Programm umfaßt ohne ihre Differenzen unterzuordnen. Für die Minderheit der Revolutionäre bestünde die große Wahrscheinlichkeit, daß ihre Politik den dominanteren reformistischen Ideen untergeordnet würde. Das war genau was Trotzki und die Führer der Komintern vermeiden wollten. Tatsächlich wollten sie das Gegenteil. Die Revolutionäre mußten offen sein in Bezug auf ihre Differenzen damit sie sich vereinen konnten in Bereichen, wo sie übereinstimmten.
Die Einheit mußte sich also auf sehr spezifische und begrenzte Bereichen beziehen. Es gab daran auch eine andere Seite. Das bedeutete, daß Revolutionäre keine volle Übereinstimmung von den Arbeitern erwarteten, die kämpfen wollten. Trotzki erklärt die Gefahr eines solchen "Ultimatismus" in Was nun?:
"Statt ein einseitiges Ultimatum zu stellen, das die Arbeiter reizt und verbittert, muß man ein bestimmtes Programm gemeinsamer Aktionen vorschlagen; das ist der sicherste Weg, die Führung wirklich zu erobern. Ultimatismus ist der Versuch, die Arbeiterklasse zu vergewaltigen, wo es mißlingt, sie zu überzeugen."
Mit "Ultimatums" meinte Trotzki die Tendenz von Revolutionären von der Arbeiterklasse einfach einzufordern, daß sie dem Parteiprogramm folgt ohne zu versuchen, Arbeiter durch den Kampf für diese Ideen zu gewinnen.
Die Einheit für bestimmte Forderungen und Aktionen ermöglicht es den Revolutionären, die Gefahren des Ultimatismus zu vermeiden. Indem man den Einheit anbietet, schlägt man eine oder mehrere Forderungen vor über die sich viele Arbeiter verständigen können. Zum Beispiel sind viele Arbeiter gegen konservative Anti-Gewerkschaftsgesetze. Wenn wir Aktionen dagegen vorschlagen, sollten wir eine Aktionsform vorschlagen, mit der andere Arbeiter, die kämpfen wollen, einverstanden sind. In dieser Situation ist der entscheidende Punkt nicht, wie wir uns von den anderen abheben, sondern wie wir eine Aktion anführen, die die Forderungen durchsetzen kann, die große Gruppen vor Arbeitern vereinen.
Der dritte Punkt, den Trotzki betonte, war die Notwendigkeit, die Einheitsfront zwischen Organisationen mit vergleichbarer Größe zu schließen. Warum das? Nicht weil Trotzki aus Prinzip dagegen war, winzige Organisationen mit riesigen zusammenzuschließen, sondern weil die Einheitsfront kein Trick oder Manöver ist. Das heißt, daß sie wirkliche Kräfte beinhalten muß, die in der Lage sind, zumindest irgend etwas zu leisten, egal wie klein der Beitrag ist.
Es wäre zum Beispiel sinnlos wenn eine Organisation wie die SWP eine Einheitsfront mit einer Partei von 200 Leuten schließen würde, den diese würde keine wirklichen neuen Kräfte mit einbeziehen. Das würde bedeuten, daß keine wirkliche Kampagne aufgebaut werden könnte und ebensowenig gäbe es dann irgendwelche Menschen, die in der Praxis durch den Kampf gewonnen werden könnten. Auch der Umkehrschluß ist wahr. Die 4000 Mitglieder der SWP sollten nicht versuchen, eine Einheitsfront mit der gesamten Labour Party zu bilden. Der Größenunterschied wäre so gewaltig, daß die Taktik bedeutungslos würde. Die meisten Labour-Mitglieder würden ihre Existenz nicht bemerken. Wir könnten eine Einheitsfront höchstens mit einer Minderheit der Labour Party haben- zum Beispiel mit Teilen der Labour-Linken.
Trotzki bezog sich immer wieder auf eine Situation, in der die Kommunisten ein Drittel oder Viertel der organisierten Arbeiterklasse in einem bestimmten Land umfaßten. Heute sprechen wir in Deutschland über eine sehr viel kleinere und weniger bedeutsame Kraft. Aber die selben Ideen passen. Die Taktik funktioniert nur, wenn beide Seiten etwas zur Einheitsfront beitragen können.
Natürlich hat keine dieser Leitlinien besondere Bedeutung, solange die Einheitsfront nicht in die Tat umgesetzt wird. Hier ist es wichtig zu verstehen, daß die Einheitsfront nicht einfach ein Abkommen zwischen den Führungen verschiedener Organisationen ist: "Die Frage der Einheitsfront ist keineswegs eine Frage des gegenseitigen Verhältnisses zwischen der Parlamentsfraktion der Kommunistischen und der Sozialistischen Partei oder zwischen den ZKs der beiden Parteien."
Die Einheitsfront ist eine Front an der Basis. Die Taktik entspringt den Notwendigkeiten des Klassenkampfes, der Notwendigkeit für die Arbeiter, sich zu vereinigen um den Faschismus, die Arbeitslosigkeit oder was auch immer zu besiegen. Deswegen muß sie in den einzelnen Betrieben aufgebaut werden; sie muß konkrete organisatorische Formen annehmen und sie muß sich um die Vereinigung der Arbeiter im Kampf drehen. Trotzki spricht von den Sowjets, den Arbeiterräten, die in Rußland 1917 errichtet wurden, als der höchsten Form von Einheitsfront.
Das heißt keineswegs, daß diejenigen, die die Einheitsfront vorschlagen die reformistischen Führer ignorieren können: "Alles Gerede, daß darauf hinausläuft, daß wir die Einheitsfront mit den Massen akzeptieren sollten, aber nicht mit den Führern, ist bloße Scholastik. Es ist unmöglich, die organisierten Massen zum gemeinsamen Kampf aufzufordern ohne mit denjenigen in Verhandlung zu treten, die von einem bestimmten Teil der Massen bevollmächtigt wurden."
Trotzkis Ziel ist es nicht, die alten Führer zurückzugewinnen oder umzuerziehen- seiner Ansicht nach eine vergebliche Bemühung- sondern sie in den Augen der Masse der Arbeiter zu entlarven. Die Einheitsfront wird den Führern vorgeschlagen, weil die Arbeiter so oder so auf sie blicken: "Wenn wir einfach in der Lage wären, die arbeitenden Massen um unser Banner und um unsere unmittelbaren praktischen Parolen herum zu sammeln und die reformistischen Organisationen dabei übergehen könnten, wäre dies natürlich die beste Sache der Welt. Aber dann würde die Frage der Einheitsfront selbst in ihrer gegenwärtigen Form nicht existieren."
Für Trotzki waren alle diese Punkte wichtig, wenn die Einheitsfront korrekt eingeführt werden sollte. Er argumentierte, daß innerhalb dieser Leitlinien eine große Flexibilität bestehen mußte, abhängig von den Umständen vor Ort. Und er glaubte nicht, daß die Einheitsfronttaktik jederzeit und unter allen Umständen anwendbar sei.
Die Einheitsfront ist normalerweise mit defensiven Kämpfen verknüpft. Sie macht überall dort Sinn, wo die reformistischen Führer wegen der Offensive der herrschenden Klasse unter Druck sind, kämpfen zu müssen, wie minimal und zögerlich sie dies auch immer tun. In einer solchen Situation, zum Beispiel bei der Verteidigung gewerkschaftlicher Rechte, können sich die Minimalforderungen von Revolutionäre mit den Maximalforderungen der reformistischen Führer decken und dadurch die Möglichkeit zum gemeinsamen Kampf schaffen.
Um zu beurteilen, wann die gemeinsame Aktion möglich ist, müssen Revolutionäre das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen abwägen, entscheiden für welche Forderungen sich die Arbeiter vereinigen könnten, entscheiden ob es tatsächlich möglich ist, eine Einheitsfront zu jeder Fragen aufzubauen. Aber der vielleicht wichtigste Gedanke, der Trotzkis Schriften durchzieht, ist die Notwendigkeit, zwei Gefahren bei der Anwendung der Einheitsfronttaktik zu vermeiden: einerseits die Gefahr des sektiererischen neben-den-Arbeiterkämpfen-Stehens; Andererseits die Gefahr des "Liquidationismus", des Auflösens der revolutionären Organisation in der Einheitsfront. Tragischerweise zeigt die Geschichte der kommunistischen Bewegung in den späten 20ern und den 30ern das wiederholte Abweichen von der ursprünglichen Einheitsfront und stattdessen ein Zickzack zwischen diesen beiden Gefahren.
Die KPD weigerte sich, sich mit anderen Kräften in der Arbeiterbewegung für die lebenswichtige Frage des Kampfes gegen Hitler und den Faschismus zu vereinen. Statt dessen forderten sie von der Parteibasis der deutschen Sozialdemokratie, der SPD, politisch mit ihren alten Führern zu brechen. In anderen Worten sagten sie mehr oder weniger: "Wenn ihr den Faschismus schlagen wollt, könnt ihr das nur unter der Führung der Kommunistischen Partei." Sie weigerten sich, an die Führung der SPD mit der Forderung nach Einheit im Kampf heranzutreten und argumentierten, daß die Sozialdemokraten die Führung der KPD akzeptieren müßten um den Faschismus zu bekämpfen. Sie nahmen genau die "ultimatistische" Haltung an vor der Trotzki gewarnt hatte.
All das hatte den Effekt, daß eine Mauer errichtet wurde zwischen den Revolutionären- die, wie fehlgeleitet sie auch immer waren, doch den Kapitalismus stürzen wollten- und der Basis der reformistischen Organisationen, von denen viele für eine ähnliche Perspektive gewonnen hätten werden können, wenn sie in der Praxis von ihren Führern weggebrochen worden wären. In dieser Situation hatte der Mangel an Einheit katastrophale Folgen. Als die Faschisten an die Macht kamen, machten sie keinen Unterschied zwischen revolutionären und reformistischen Organisationen oder zwischen linken und rechten Gewerkschaftsführern. -alle wurden unterdrückt.
Heute kann die Theorie der Einheitsfront oft sehr weit entfernt scheinen. Sie scheint sich um so riesige historische Ereignisse zu drehen: die Niederlage von Revolutionen, der Wachstum des Faschismus, der Aufstieg des Stalinismus. Nichtsdestotrotz sind die Lehren, die Trotzki in seinen Schriften zog immer noch zentral für alle, die heute versuchen, in der revolutionären Tradition aufzubauen. Die Einheitsfront dreht sich um Strategie und Taktik, darum wie Sozialisten nicht nur nach ihren politischen Prinzipien handeln, sondern auch entsprechend der Zahl derer, die sie beeinflussen könne, entsprechend dem Gleichgewicht der Klassenkräfte und vielen anderen Faktoren.
Unsere heutigen Rahmenbedingungen unterscheiden sich ziemlich stark von denen, die Trotzki zu meistern hatte. Sozialisten sind in Deutschland nicht in einer Lage, die es ihnen ermöglicht Einheitsfronten von dem Ausmaß aufzubauen, die er beschreibt. Im Moment haben wir nicht den entscheidenden Einfluß auf den Klassenkampf, den die KPD und viele andere der Kommunistischen Parteien in den 20ern und 30ern hatten.
Vielfach ist es faktisch nicht einmal möglich anzufangen, die Idee einer Einheitsfront aufzuwerfen. Die Taktik ist nur unter bestimmten Umständen anwendbar.
Natürlich mag es beispielsweise sein, daß eine Defensive Einheitsfront nicht nötig ist, wenn die Arbeiter in der Offensive sind und Revolutionäre in der Lage sind, Massenkämpfe zu führen. Ebenso gibt es Zeiten, in denen die Arbeiter in der Defensive sind aber das Wesen der politischen Periode dazu führt, daß weder sie noch ihre Führer die Notwendigkeit oder Möglichkeit zur Einheit sehen. Die Situation in den frühen 80ern war so: im Allgemeinen war es für Revolutionäre nicht möglich, defensive Kampagnen oder Kämpfe aufzubauen, weil diese praktisch nicht existierten. Wenn die politische Situation stagniert, gibt es wenig Gelegenheit zur gemeinsamen Arbeit.
Das Jahr 1984 sah in dieser Hinsicht wichtige Veränderungen. Die Generaloffensive der englischen herrschenden Klasse hat eine Reihe von defensiver Gegenaktionen provoziert, die nichtsdestotrotz eine große Zahl von Menschen einschlossen. Diese reichte von den NGA [die englische Druckergewerkschaft] Druckern in Warrington über den Kampf gegen den Ausschluß der Gewerkschaften aus den Kommunikationshauptquartieren der Regierun, GCHQ, bis hin zum Bergarbeiterstreik. Solche Gelegenheiten geben Revolutionären weit mehr Möglichkeiten, ihre Ideen denjenigen außerhalb der Partei näherzubringen.
In so einer Situation sind die Leitlinien, die Trotzki gab, sehr nützlich, selbst wenn das Niveau dieser Kämpfe weit niedriger ist als das der ursprünglichen Einheitsfronten.
Die Wichtigkeit, sich für eine bestimmte Frage zu vereinen, sich mit Organisationen vergleichbarer Größe zu vereinen und die eigene politische Unabhängigkeit zu bewahren, wenn man an solchen Kampagnen beteiligt ist- das können nützliche Leitlinien sein, wenn wir in den Gewerkschaften, in Solidaritätskommittees für die Bergarbeiter oder in lokalen Kampagnen arbeiten.
Aber obwohl es ein viel größeres Publikum für sozialistische Ideen gibt als vor ein paar Jahren, gibt es immer noch eine sehr große Kluft zwischen beispielsweise der passiven Unterstützung der streikenden Bergarbeiter und der viel geringeren Zahl von Menschen, die auf der Straße Geld sammeln oder auf eine Demonstration gehen.
Es kann immer noch eine massive Kluft geben zwischen den Aufrufen zur Einheit von linken Gewerkschaftsführern und dem, was unten geschieht. Sozialisten sollten sich nicht zurücklegen und diese Kluft bejammern. Statt dessen sollten wir einige von Trotzkis Lehren benutzen um mit den anderen Sozialisten und Gewerkschaftsaktivisten zusammenzuarbeiten, die bereits aktiv in der Unterstützung für die Bergarbeiter und in anderen Bereichen sind, damit wir mehr Menschen in die Aktivität und hoffentlich in den Kampf miteinbeziehen können- selbst wenn wir nicht über Einheitsfronten in dem Ausmaß reden wie es Trotzki tat.