Festival des Widerstands – sei dabei!

Im Juli kommt die weltweite globalisierungskritische Bewegung nach Deutschland: Tausende treffen sich in Erfurt zum Sozialforum.

Vom 21. bis 24. Juli treffen sich in Erfurt tausende Menschen, die Kritik an Globalisierung und Kapitalismus haben, zum ersten Sozialforum in Deutschland. Das Motto des Forums ist „Für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Natur“. Besucher und Redner aus vielen Teilen der Welt wollen gemeinsam über die Ursachen globaler Probleme diskutieren und darüber sprechen, wie die sozialen Bewegungen ihre Ziele weiterverfolgen können.
Das Sozialforum lädt alle ein, die über den Widerstand gegen Sozialabbau in Deutschland diskutieren und sich mit Aktivisten aus anderen Ländern austauschen wollen. Das Sozialforum bietet dafür Raum in vielen Workshops, Seminaren und Veranstaltungen.
Außerdem wird es ein lebendiges Kulturprogramm geben.
Einer der Gäste wird aus Brasilien kommen. Dort hat vor vier Jahren das erste Weltsozialforum stattgefunden. Aus dieser Idee hat sich eine weltweite Bewegung entwickelt, die von Protesten und Aktionen angetrieben wird und sie wiederum verstärkt. Ein Rückblick:

2001

Januar: 1. Weltsozialforum, Porto Alegre (Brasilien)

13.000 Menschen treffen sich auf einer Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum, das gleichzeitig im schweizerischen Davos stattfindet. In diesem exklusiven Ferienort versammeln sich in jedem Winter die Reichen und Mächtigen der Welt, um zu besprechen, wie sie ihre Gewinne steigern können.
„Wir sind Teil einer Bewegung, die seit Seattle gewachsen ist“, erklären die Teilnehmer des Sozialforums. In Seattle hatten Ende 1999 50.000 Umweltschützer, Gewerkschafter und Globalisierungskritiker gemeinsam gegen die neoliberalen Pläne der Welthandelsorganisation WTO protestiert und deren Konferenz so zum Scheitern gebracht.
„Früher dachte ich, dass diese jungen Leute, die von der Umwelt reden, verrückt sind“, sagte Gewerkschafter Doug Sabin in Seattle. „Jetzt denke ich, dass sie ein Teil des großen ‚Wir’ sind, das die Welt verändern muss.“
Dieses „große Wir“ trifft sich auf dem Weltsozialforum. „Wir kommen, um unsere Erfahrungen miteinander zu teilen, unsere Solidarität aufzubauen und unsere totale Ablehnung der neoliberalen Politik der Globalisierung zu demonstrieren.“ Nur Parteivertreter und Militärs schließt das Forum aus.
Die Aktivisten rufen unter anderem dazu auf, im Juli gegen den Gipfel der acht größten Wirtschaftsmächte G8 in der italienischen Hafenstadt Genua zu protestieren. 300.000 Menschen folgen diesem Aufruf. Danach wächst das globalisierungskritische Netzwerk Attac in wenigen Monaten von 400 auf 4.000 Mitglieder in Deutschland.

2002

Januar: 2. Weltsozialforum, Porto Alegre

Zur ersten Versammlung der globalen Bewegung nach den Terroranschlägen in New York und Washington kommen 30.000 Menschen. Viele Kommentatoren hatten vorausgesagt, dass die Bewegung nach dem 11. September am Ende sein werde.
Doch während die Aktivisten um die Opfer der Anschläge trauern, folgen sie US-Präsident Bush nicht in den weltweiten Krieg, den er ausruft. Hunderttausende auf der ganzen Welt gehen gegen den Einmarsch in Afghanistan auf die Straße.
Vittorio Agnoletto aus Genua sagt in Porto Alegre: „Wir sind ein und dieselbe Bewegung. Unser Kampf richtet sich gegen den Neoliberalismus und gegen den Krieg.“
Politiker aus der ganzen Welt besuchen das Weltsozialforum, um sich als Teil der Bewegung darzustellen. Sie steigen in teuren Hotels ab. Der wahre Geist der Bewegung herrscht im Jugendlager, wo 15.000 Jugendliche kampieren.
Die Versammlung der sozialen Bewegungen ruft dazu auf, Sozialforen auf allen Kontinenten zu gründen.

November: 1. Europäisches Sozialforum, Florenz (Italien)

Ein Jahr nach den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua trifft sich die Bewegung erstmals zu einem Sozialforum in Europa. Das Interesse ist riesig. 60.000 Besucher kommen, drei Mal mehr als erwartet.
Die italienischen Gewerkschaften haben in den Monaten zuvor mit Millionen auf Demos gegen Sozialabbau protestiert. Jetzt kommen sie zum Sozialforum und schließen sich dem Widerstand gegen den Krieg an.
„Ich will ‚Nein’ zu diesem Krieg sagen und ‚Ja’ zu einer besseren Globalisierung“, sagt Metallarbeiter Edi aus Turin. „Ich bin für die Einheit der Bewegung gegen die Globalisierung und der Arbeiterbewegung.“
Am letzten Tag demonstrieren eine Million Menschen gegen Bushs Kriegsvorbereitungen. Florenz hat 400.000 Einwohner. Ruby aus Großbritannien meint: „Wir schicken mit dieser Demo auch den Menschen im Nahen Osten die Botschaft, dass die Menschen in Europa keinen Krieg wollen.“
Die Versammlung der sozialen Bewegungen ruft unter anderem zu einem weltweiten Aktionstag gegen den Krieg auf.

2003

Januar: 3. Weltsozialforum, Porto Alegre

Zum dritten Treffen in Brasilien kommen bereits 100.000 Menschen. Die Versammlung der sozialen Bewegungen greift die Anregung aus Florenz auf und verbreitet den Aufruf auf der ganzen Welt, am 15. Februar gegen den drohenden Krieg gegen den Irak zu demonstrieren.
Gefeierter Gast auf dem dritten Weltsozialforum ist der neu gewählte brasilianische Präsident Lula. Er ist der erste Arbeiterführer auf diesem Posten und ein Hoffnungsträger der Armen und der Landlosen in Lateinamerika.
In seiner Rede zur Eröffnung sagt er: „Ich fliege heute Abend nach Davos, um ihnen von euren Zielen zu erzählen, um ihnen eure Botschaft zu überbringen.“ Ein Zwischenrufer ist von der Verbindung mit dem Weltwirtschaftsforum nicht begeistert: „Warum reist du so weit, Lula? Schick ihnen eine E-Mail!“
Die indische Aktivistin und Autorin Arundhati Roy drückt das Selbstvertrauen der Bewegung aus: „Wir sind viele. Sie sind wenige. Und sie brauchen uns viel mehr als wir sie.“

15. Februar: Aktionstag gegen Krieg

15 Millionen gehen weltweit auf die Straße: Die größte Demo aller Zeiten. Auf jedem Kontinent protestieren Menschen gegen Bushs Krieg.
In Spanien ist jeder zehnte Einwohner auf den Beinen, in der Hauptstadt Madrid jeder vierte. In Berlin demonstrieren 500.000.
Der Druck verhindert die Invasion nicht, aber viele Regierungen verlassen in den folgenden Monaten die von den USA geführte Militärkoalition.

November: 2. Europäisches Sozialforum, Paris (Frankreich)

50.000 Menschen kommen zur zweiten Konferenz der Bewegung in Europa. Neben den Protesten gegen Krieg und Besatzung steht der Kampf gegen Sozialabbau und Aufrüstung in der EU im Mittelpunkt.
Die Diskussionen in Paris sind eng mit den Protesten gegen die Agenda 2010 in Deutschland verbunden. Zwei Wochen vor dem Sozialforum haben 100.000 Menschen in Berlin gegen Schröders Sozialabbau demonstriert.
Viele von ihnen sind nach Paris gekommen, um zu diskutieren wie es weitergehen soll. In der Delegation aus Deutschland entsteht die Idee eines europäischen Aktionstages gegen Sozialabbau. Die Versammlung der sozialen Bewegungen beschließt Proteste am 3. April 2004.

2004

Januar: 4. Weltsozialforum, Mumbai (Indien)

Das Weltsozialforum trifft sich zum ersten Mal in Asien. 100.000 Menschen versammeln sich, um über den Widerstand gegen Neoliberalismus und Krieg zu sprechen.
Gegenüber den Versammlungen in Brasilien sind viel mehr Menschen aus der Dritten Welt gekommen, beobachtet Sven Giegold von Attac Deutschland: „All die Menschen, über die wir immer reden, waren da: Von vertriebenen Waldarbeitern über Betroffene von Staudammprojekten, diskriminierte Ureinwohner und Angehörige der niedrigsten Kaste bis hin zu Frauengruppen.“
Aufsehen erregt Arundhati Roys Solidarität mit den Irakern, die gegen die US-Armee kämpfen: „Wir müssen uns einig werden, nicht nur den Widerstand im Irak zu unterstützen – wir sollten der Widerstand im Irak werden. Jeder US-Konzern, der im Irak Geschäfte macht, sollte unser Ziel werden.“

April: Aktionstag gegen Sozialabbau

Die Bewegung ist in Deutschland angekommen. Beim europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau gehen in Berlin, Köln und Stuttgart insgesamt 500.000 Menschen auf die Straße.
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland ist gegen Schröders Agenda 2010, mit der die Regierung die Unternehmen auf Kosten der Menschen wettbewerbsfähig machen will. Wolfram Portwich, ein Rentner aus Rostock, sagt in Berlin, was viele denken: „Eine neue Linkspartei muss kommen.“
Wenige Monate später kocht die Wut über Hartz IV bei den Montagsdemos hoch. Auf dem Höhepunkt demonstrieren Hunderttausende gegen Schröders Politik. Von den Gewerkschaften kommt keine Unterstützung. Die Proteste flauen ab, aber die Wut bleibt.

Oktober: 3. Europäisches Sozialforum, London (Großbritannien)

25.000 Menschen kommen zur dritten Versammlung der Bewegung. In der britischen Hauptstadt wird weiter über den Widerstand gegen Krieg und Sozialabbau diskutiert, aber auch über das Verhältnis des Sozialforums zu Parteien.
Manche Teilnehmer lehnen es ab, dass der sozialdemokratische Bürgermeister von London auftritt. Andererseits sind Versammlungen mit Vertretern linker Parteien am Rande des Sozialforums gut besucht.
Die attac-Aktivistin und Autorin Susan George spricht sich gegen die EU-Verfassung aus: „Ich bin überzeugte Europäerin, aber ich kann nicht für die vorgeschlagene Verfassung stimmen, die die Konkurrenz und den freien Markt als Herz der europäischen Identität festschreiben würde.“
Zwei Wochen vor der Wahl in den USA gehen zum Abschluss des Treffens 100.000 Menschen gegen Krieg und Besatzung im Irak auf die Straße.
Die Versammlung der sozialen Bewegungen ruft zu Protesten gegen Besatzung und die EU-Verfassung am 19. und 20. März auf.

2005

Januar: 5. Weltsozialforum, Porto Alegre

Das Weltsozialforum kehrt nach Brasilien zurück. 150.000 Menschen nehmen teil.
Der ehemals gefeierte Präsident Lula wird ausgepfiffen und als „Verräter“ beschimpft. Die Landreform, die er versprochen hatte, hat er nicht umgesetzt. Stattdessen drückt er Sparprogramme durch.
Begeistert empfangen die Menschen den venezolanischen Präsidenten Chavez, der sich gegen die neoliberale Globalisierung zu wehren versucht. In Porto Alegre spricht er zum ersten Mal öffentlich von Sozialismus.

März, Brüssel

Zehntausende gehen am 19. März gegen die EU-Verfassung auf die Straße. Einen Tag später demonstrieren Hunderttausende auf der ganzen Welt gegen Krieg und Besatzung im Irak.
Sollten die Franzosen bei der Abstimmung Ende Mai die EU-Verfassung ablehnen, wäre das auch ein Erfolg der weltweiten Bewegung und der Sozialforen, die der Kampagne gegen die EU-Verfassung geholfen haben, sich zu entwickeln.

Die Geschichte der Sozialforen ist eine Erfolgsstory. Die Herrschenden können keine Entscheidung mehr fällen, ohne dass sich Widerstand regt – sei es gegen Krieg oder gegen Sozialabbau.
Dennoch sind viele Fragen offen. Das Sozialforum in Deutschland ist der Ort, an dem alle, die die Welt verändern wollen, miteinander diskutieren können und die nächsten Schritte planen, vorwärts zu einer anderen Welt.

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