Am 11. September 1973 um 8 Uhr 45, wurde der Präsidentenpalast Santiagos, der Hauptstadt Chiles, von Flugzeugen der Luftwaffe bombardiert. Der Präsident, Salvador Allende, sendete seine letzte Botschaft aus einem Raum der Residenz. Er starb kurze Zeit später in den Trümmern des Gebäudes.
Militärputsche waren in Lateinamerika nichts Unbekanntes und beschworen im Ausland nur wenige Proteste herauf. Der Putsch in Chile jedoch spornte Demonstrationen überall in der Welt an und war überall ein zentrales Thema der politischen Debatte.
Chile wurde von Vielen der Linken international als Leuchtfeuer der Hoffnung für revolutionäre Veränderung in den 70er Jahren gesehen. Die Präsidentenwahlen von 1970 spiegelten den Umschwung wieder, der in der Luft lag. Die landbesitzende Klasse und der Finanz- und Industriesektor fühlten sich immer stärker bedroht.
Überall in Lateinamerika wurden Reformen und Modernisierung versprochen, um jeder Wiederholung der kubanischen Revolution von 1959 vorzubeugen. In Chile leisteten, wie überall woanders auch, die mächtigen landbesitzenden Klassen an jeder Front Widerstand gegen die Landreformen. Des Wartens müde begannen Bauern und landlose Arbeiter einfach damit, ungenutztes Land zu besetzen. Das wirtschaftliche Wachstum in den 60er Jahren trieb viele Menschen in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Es gab keine Unterkünfte für sie und sie begannen damit, leere Stellen für behelfsmäßige Wohnungen in Beschlag zu nehmen. Der Marsch von Studenten des ganzen Landes auf die Hauptstadt war 1969 Teil der sich verändernden Athmosphäre.
Im Herzen der sich ausdehnenden Krise wuchs das Niveau der Aktivitäten der Arbeiterklasse heran ? als eine Antwort auf die ökonomische Krise und die Enttäuschung über die christ?demokratische Regierung. Die Anzahl der Streiks stieg zwischen 1969 und 70 scharf an. Chile hatte eine lange Gewerkschaftstradition und eine Geschichte sozialistischer Organisationen.
Vor diesem Hintergrund leitete der siegreiche Präsidentschaftskandidat, Salvador Allende, eine Koalition, die die Kommunisten und andere kleine Parteien einschloß, die Volkseinheit (Unidad Popular) genannt wurde.
"Ein kleines Erdbeben" war Allendes Sieg für Robert Moss, einen späteren Ghostwriter von Thatcher. Tatsächlich hatte er aber nur 36 Prozent der Stimmen in einer Parlamentswahl gewonnen. Aber Allende hatte sich selbst zum Marxisten erklärt und bezeichnete sich als Sprecher des ‚chilenischen Wegs zum Sozialismus‘.
Dies war Allendes vierter Versuch, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Vor allem war er jemand, der an das Prinzip glaubte, daß der Staat über der Gesellschaft stehe und daß seine Institutionen ? die Richter, die Armee, die Gerichte, das Parlament ? nicht unter Kontrolle der herrschenden Klasse stünden. Er glaubte fest daran, daß die anderen Parteien und Seiten die Wahlurne respektieren würden. Sein Verständnis von Sozialismus war die Reform der Gesellschaft von oben, durch die Institutionen des kapitalistischen Staates und mit der Zustimmung aller Klassen.
So sagte er 1971:
"Chile sieht sich selbst der Notwendigkeit gegenüber, einen neuen Weg zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu initiieren – unseren eigenen revolutionären Weg, einen pluralistischen Weg… Chile ist heute die erste Nation auf Erden, die dazu berufen ist, dieses zweite Modell der Umwandlung zu einer sozialisten Gesellschaft zu schaffen… Skeptiker und Katastrophenbeschwörer werden sagen, daß ein Parlament, das der herrschenden Klasse so gut gedient hat, nicht imstande ist, sich selbst in ein Parlament des chilenischen Volkes zu verwandeln. Es wurde gesagt, daß die Streitkräfte und die nationale Polizei … nicht den Volkswillen in seiner Entscheidung unterstützen werden, den Sozialismus in unserem Land aufzubauen. Diese Menschen übersehen das patriotische Bewußtsein der Streitkräfte und der nationalen Polizei, ihre Berufstradition und ihren Gehorsam gegenüber der zivilen Herrschaft."
Dieses Konzept der Reform erklärt die Bedeutung von Chile. Kommunistische und sozialistische Parteien traten überall für breite Wahlfronten und einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus ein und behaupteten, die soziale Umwandlung könne ohne Konflikt zustande gebracht werden. Für sie war Chile der Beweis, daß ein Marxist über die Wahlurne an die Macht kommen könne.
‚Macht‘ bedeutete für Allende und seine UP?Verbündeten Schlüsselpositionen in einer Staatsmaschinerie einzunehmen, die sie als neutral definierten.
Für die Arbeiterklasse vertrat die UP?Regierung die Hoffnung auf eine wirkliche Veränderung. Allendes erste Amtshandlung war es, die Kupferindustrie zu verstaatlichen, die die Masse der chilenischen Exporteinnahmen ausmachte. Allendes ökonomisches Programm basierte auf einer landesweiten Lohnerhöhung, die den Konsum anregen und so die ganze Wirtschaft in Bewegung bringen sollte. Eine Anzahl von Firmen, einschließlich Fabriken und Banken in ausländischem Besitz, wurde verstaatlicht, wenn auch bei weitem nicht in dem Ausmaß, das ursprünglich angekündigt worden war. Allende versprach, das lahmgelegte Landreform?Programm durchzuführen, während er den Landbesitzern großzügige Entschädigungen zubilligte und darauf bestand, daß alles über die Gerichte laufen sollte. Als die Landbesetzungen stattfanden, verurteilte Allende sie.
Aber von unten kamen immer mehr Initiativen, die auf eine ganz andere Interpretation der ‚Volksmacht‘ schließen ließen. Als die Grundbesitzer versuchten, Arbeiter zu zwingen, das Land zu verlassen, stießen sie auf den Widerstand der Massen. Als die Läden die Preise heraufsetzten oder mit gehorteten Waren künstliche Engpässe schufen, öffneten örtliche Verteilungskommitees die Geschäfte wieder und teilten die Mittel den Bedürfnissen entsprechend zu. Als einige Fabrikbesitzer versuchten, die Produktion zu verlangsamen oder Maschinerie insgeheim fortzuschaffen, wurden sie von Arbeiterorganisationen aufgehalten. Und 1971 erreichte die Anzahl der Streiks ihren bisherigen Höhepunkt, als Arbeiter die Initiative über Löhne und Arbeitsbedingungen und in einigen Fabriken sogar die Kontrolle der Produktion in die eigene Hand nahmen.
Mitte 1971 zeigten die Lokalwahlen eine wachsende Unterstützung für das Projekt der "Volksmacht"; Allende aber rief die Arbeiter auf, angesichts der Attacken der herrschenden Klasse Zurückhaltung zu üben. Im November 1971 gingen Frauen der Ober? und Mittelklasse (und ihre Dienstmädchen) auf die Straße. Sie schwenkten leere Kochtöpfe, um die Lebensmittel?Engpässe anzuprangern. Tatsächlich aber hatten die leeren Regale, über die sie sich beschwerten, ihre Ursache in ihrem eigenen Horten von Lebensmitteln. Der Protest zeigte, daß die herrschende Klasse ihr Selbstvertrauen unter Allende zurückgewann, und seine Strategie war es, alles zu tun, um einer schwankenden, ängstlichen Mittelklasse zu beteuern, daß ihre Interessen gesichert seien.
Im Januar 1972 wurde der Innenminister Jose Toha von einem von Christdemokraten beherrschten Kongress seines Amtes enthoben. Im selben Monat attackierte die Sozialistische Partei öffentlich die Linke. Im Mai wurden in Concepción auf Anweisung des kommunistischen Bürgermeisters Schüsse auf eine Demonstration abgefeuert. Im Juni wurde der Wirtschaftsminister, der mit der Ausweitung der Verstaatlichung identifiziert wurde, rausgeworfen. Die Strategie der Volkseinheit, der bei zwei Kongressen in diesem Jahr zugestimmt wurde, unterstützte eher die ‚Konsolidierung‘ (Festigung) als das Fortschreiten ? und die Angriffe gegen die Linke, insbesondere gegen die "Bewegung der revolutionären Linken" (MIR) nahmen stark zu.
Es lag nun an der Arbeiterklasse, das Versprechen auf Veränderung zu erfüllen, von dem sie dachte, die UP stünde dafür; die Grenzen des ‚chilenischen Wegs zum Sozialismus‘ wurden, wie bei allen anderen Wahlstrategien auch, von der herrschenden Klasse als Preis für ihre Mitarbeit gezogen. Das war ein Preis, den Allende bereitwillig zahlte, obwohl öffentlich bekannt war, daß die Rechte den Sturz der Regierung vorbereitete. Trotzdem sah Allende in der Massenmobilisierung von unten eine Bedrohung für die Regierung – und nicht ihre einzige Stütze.
In Concepción brachte eine Volksversammlung im Juli Delegierte von linken Parteien und Massenorganisationen zusammen, um eine Strategie zu diskutieren. Was wichtiger war, ist, daß die Schaffung des ersten Cordón zeigte, was Arbeiterdemokratie wirklich bedeutete. Der Cordón brachte Fabrikarbeiter, Landarbeiter, lokale Organisationen der Bewohner der Barackensiedlungen und Verteilungskommitees zusammen, um die direkte Kontrolle über lokale Angelegenheiten, über Verteilung und in einigen Fällen über die Produktion selbst auszuüben. Wie die Sowjets, die 1917 die Grundlage der Arbeitermacht in Rußland waren, wurden die Cordónes von unten aufgebaut – ungeachtet der Feindseligkeit der Regierung. Im August griff die Polizei mit Billigung der Regierung eine Barackensiedlung in Santiago an; ihre Angst, die Unterstützung der Mittelklassen zu verlieren, wurde wieder und wieder in der Serie von darauf folgenden Konfrontationen deutlich. Der Kampf erreichte deutlich eine neue Phase.
Der Oktober war der Beweis. In diesem Monat traten die Eigentümer des öffentlichen Transports und der LKWs, von denen Chile zum Gütertransfer abhängig war, in Streik. Ihre Führer kamen von einer vom Faschismus beeinflußten Organisation, die in den unteren Mittelklassen verwurzelt war. Aber das Gros des chilenischen Transportwesens (83%) war im Besitz von Geschäftsleuten mit anderen Interessen. Das war die Kriegserklärung der herrschenden Klasse, und die Arbeiterklasse antwortete sofort. Die LKWs wurden wieder zurück auf die Straße geschafft; Geschäfte, die geschlossen worden waren, wurden gewaltsam wieder geöffnet und die Waren demokratisch verteilt; Fabrikbesitzer, die versuchten, die Produktion zu stoppen, wurden aus dem Werk geworfen und die Arbeit ging weiter; Zeitungen und Radiosender, die von ihren Besitzern geschlossen worden waren, wurden unter der Kontrolle der Arbeiter wieder eröffnet. Es war ein Kampf, der von der Arbeiterklasse gewonnen wurde, da die Arbeiter unabhängig handelten.
Auf der einen Seite mit der mobilisierten Kraft der herrschenden Klasse und auf der anderen mit der Antwort der Arbeiterklasse konfrontiert, war die Regierung gelähmt. Nun war es Allendes Hauptsorge, die Kontrolle zurückzugewinnen. Und es war der bürgerliche Staat, den er – gegen die Arbeiterklasse – zu seiner Unterstützung mobilisierte. Er wandte sich an die Armee3, um wieder Ordnung zu schaffen, indem er sich Generäle ins Kabinett holte.
Zwischen Oktober 1972 und Juli 1973 gab es in Chile zwei Mächte. Die Regierung der Volkseinheit, die von der kommunistischen und sozialistischen Partei beherrscht wurde, wurde ihren Verbündeten in der herrschenden Klasse immer höriger, insbesondere dem Militär. Neue Organisationen, die durch den Kampf selbst geradezu aus dem Boden schossen, suchten nach einer neuen Strategie, die von einer klaren, sozialistischen Linie geleitet werden sollte. Hier lag die Verantwortung der Revolutionäre ? aber das bedeutete einen entschiedenen Bruch mit den Reformisten und ihrem Weg über Wahlen.
In diesem Schlüsselmoment war die politische Aufgabe klar. Die Rechte hatte Blut geleckt, und die Regierung ersetzte ihren Wankelmut immer mehr durch Angriffe auf die Massenbewegung. Im Verlauf des Oktobers war eine Anzahl von Fabriken besetzt worden, um die Bemühungen ihrer Eigentümer, die Produktion stillzulegen, aufzuhalten. Die Regierung forderte die Arbeiter auf, sie zurückzugeben. Es gab erheblichen Widerstand. Von den Parteien der Volkseinheit erhob nur die christliche Linke Einspruch gegen die Anwesenheit des Militärs im Kabinett, und im Februar 1973 schlug der kommunistische Wirtschaftsminister die Reduzierung der verstaatlichten Sektoren der Wirtschaft und die Rückgabe aller besetzten Werke vor.
Trotzdem zögerten die Parteien der Linken, debatierten und zankten sich untereinander. Es wurde ein koordinierendes Kommitee für die Cordónes gebildet, welches hauptsächlich von Mitgliedern der Basis der sozialistischen Partei geleitet wurde; es war zumindest der Keim für eine nationale Herrschaft. Aber die anderen Organisationen der Linken, so z.B. die MIR, bauten in sektiererischer Konkurrenz parallele Organisationen auf. Die Führer des Koordinatotionskomitees der Cordónes blieben in der Sozialistischen Partei und erklärten, sie seien dabei, sie von unten zu verändern. Und tatsächlich unterstützte die MIR bei den Wahlen im März sozialistische Kandidaten, die noch in der UP waen. Die UP vergrößerte ihren Stimmanteil unter den Arbeitern – und benutzte das neue Vertrauen in sie, um im April den nächsten Angriff auf die Linke zu unternehmen.
Überall traten neue Formen der Organisation und der Herrschaft in Erscheinung. Eine spontane Volksversammlung trat tagelang in Villa Constitución zusammen; viele neue Cordónes wurden gegründet. All das geschah im Zusammenhang mit einer sich vertiefenden Wirtschaftskrise, die noch durch Embargos gegen chilenische Exporte verschärft wurde, das Ausbleiben ausländischer Investitionen (mit Ausnahme des mysteriösen kontinuierlichen Zustroms an Militärhilfe!) und die Flucht des einheimischen Kapitals. Patricio Aylwin, der neue Führer der Christdemokraten (und der heutige Präsident Chiles), trat öffentlich für eine ‚Politik der verbrannten Erde‘ ein, für die Unterminierung der Regierung mit wirtschaftlichen und politischen Mitteln. Die Schlägerkommandos der Rechten waren auf der Straße aktiv. Am 29. Juni wurde ein Putschversuch schnell niedergeschlagen – aber er war ganz klar eine Probe für weitere militärische Aktionen.
Die Regierung jedoch sah die Arbeiter immer noch als Hauptbedrohung für ihre Existenz. Die Kupfer?Bergleute in El Teniente, die stärksten und kämpferischsten Gewerkschafter im Land, wurden von Allende angegriffen, der von ihnen verlangte, einen geringeren Tariflohn zu akzeptieren, als in ihren Verträgen festgesetzt war. Sie lehnten das ab und traten in Streik – woraufhin sie von allen Organisationen der Linken als reaktionär verurteilt wurden. Die Rechte nutzte die Gelegenheit, erklärte sich mit den Streikenden solidarisch und nahm sie für sich in Anspruch. In Wahrheit hatten diese Arbeiter nur ihren Lebensstandard und ihre Rechte gegen eine Regierung verteidigt, die sie nicht mehr länger vertrat. Unter solchen Umständen hätten sie die aufrichtige Unterstützung der Linken verdient. Anstatt dessen wurden sie mit militärischen Straßensperren konfrontiert, als sie nach Santiago marschierten, und die Linke war still.
Das Finale war arrangiert. Im Juli riefen die LKW-Besitzer, die Unternehmer und Andere einen "unbegrenzten Streik, um die Regierung zu stürzen" aus. Wieder antworteten die Arbeiter – und wieder prangerten ihre Führer sie für die Schaffung ‚paralleler‘ Organisationen an. Die MIR rief im Juli zum bewaffneten Aufstand auf, warnte dann aber ein oder zwei Wochen später davor, unabhängig von den ‚traditionellen‘ Organisationen zu handeln. Als der August begann, war das Militär wieder in Allendes Kabinett, und Sozialisten und Gewerkschafter wurden überall im Land verhaftet und gefoltert. Als die Sozialisten in der Marine und in den Luftstreitkräften öffentlich davor warnten, daß Vorbereitungen für einen Putsch im Gange sind, bedankte sich Allende bei ihnen für ihren Patriotismus und übergab sie den Militärgerichten.
Einige in der Linken wandten sich an die Masse der einfachen Soldaten in der Armee, aber die Armee kann man nur spalten, wenn eine starke und unabhängige Arbeiterorganisation existiert, die darauf vorbereitet ist, die Macht zu übernehmen und den Staat zu zerschlagen. Eine solche war aber nicht aufgebaut worden.
Als das Militär dann am 11. September zuschlug war niemand überrascht. Ein oder zwei Tage vorher hatte die Kommunistische Partei ein Plakat veröffentlicht, in dem es hieß "Nein zur Gewalt von links und rechts". Als die Armee die Macht übernahm, wurde den Kämpfern gesagt, sie sollen nach Hause gehen und "weitere Instruktionen abwarten" – es kamen aber keine weiteren Instruktionen. Aber einem Beobachtet war bereits bei einer eine Woche zurückliegenden Demonstration aufgefallen, wie sehr sie durch eine Athmosphäre der Niederlage geprägt war. Der Kampf war schon verloren.
Revolutionäre Momente warten nicht auf die Entscheidungen von Revolutionären; das Gleichgewicht wird zu der Klasse hin kippen, die am entschlossensten ist, die Macht zu übernehmen. In Chile handelte die herrschende Klasse mit Selbstvertrauen, um ihre Interessen zu verteidigen. Sie wußte zwar, daß die chilenischen Arbeiter kämpfen würden, aber sie wußte auch, daß die politische Führung der Arbeiterklasse entwaffnet war.
Es gibt nichts besonders Brutales an der herrschenden Klasse Chiles, dennoch wurde ihre Reaktion nach dem September zum Inbegriff für Blutbäder. Nach einer konservativen Schätzung zufolge wurden 30.000 ermordet und weitere Zehntausende gefoltert, eingekerkert, verbannt und verhungert. Warum? Es war bezeichnend, daß die Unterdrückung vor allem die Aktivisten an der Basis, die Führer in den Elendsvierteln und die militanten Arbeiter betraf. Sie waren die wirkliche Bedrohung, viel eher als die Bürokraten und die politischen Führer, die am Ende bewiesen, daß sie lieber einen Kompromiß eingehen, als ihre Versprechen denjenigen gegenüber zu erfüllen, die sie an die Macht gebracht hatten. Die herrschende Klasse Chiles hat reagiert, wie jede andere herrschende Klasse, die den Spuk der Arbeitermacht kurz erblickt hat, indem sie versuchte, die ganze Erfahrung auszurotten und jeden zu ermorden, der den aufstrebenden Kampf der chilenischen Arbeiterklasse geführt hatte.
Was in Chile vor 20 Jahren passiert ist, war der Schlußakt eines brutalen Klassenkampfes, der mit der massiven Niederlage der Arbeiterklasse geendet hat. Die Antwort der Linken war weltweit die, daß Allende die Errichtung des parlamentarischen Sozialismus viel zu schnell betrieben habe. In Wahrheit führten sein Hin? und Herschwanken und seine Attacken auf die Arbeiter zur Niederlage.
Es dauerte 17 Jahre bis der Führer des Putsches, General Augusto Pinochet, sein Amt niederlegte – aber er bleibt eine starke Macht in der chilenischen Politik. Die "Rückkehr zur Demokratie" begann 1990 mit seiner Abdankung. Seitdem sind viele, die in den dazwischen liegenden Jahren vor dem Militärregime geflohen waren, zurückgekehrt. Was sie vorfanden, ließ nicht annehmen, daß ihr langes Exil in einem Sieg geendet hatte. Die Folter und die Unterdrückung, die das Pinochet-Regime kennzeichnete, blieb praktisch unbestraft. Viele, die in diesen Schreckensjahren mit dem Regime kollaborierten oder unter einer Decke steckten, bekleiden nun Regierungsämter.
Die Arbeiterklasse hatte den Preis für diese neue ‚Versöhnung‘ zu bezahlen – 35% leben in Armut, die Arbeitslosigkeit ist hoch, und diejenigen, die in den Pinochet-Jahren reich wurden, werden geschützt.
Heute sind einige derselben Leute, die in der Volkseinheit waren, wieder in der Regierung, jetzt als Verbündete der Parteien und Individuen, die diesen blutigen Putsch gegen die Arbeiter Chiles geplant und ausgeführt hatten. Was machen die Linken? Sie verstreuen die gleichen Illusionen und schieben ihre Entscheidung immer noch hinaus. Es gibt nichts, was sie entschuldigen könnte. Sie haben gesehen, was einem Machtkampf widerfährt, der nicht auf die unabhängige Organisation der Arbeiterklasse baut und der keine Strategie für die Unterwerfung des Staates hat.
Die Lehren von Chile gehören zu unserer Bewegung – und sie erheben sich aus der Asche der Illusion, die unter den Trümmern von Allendes Präsidentenpalast begraben liegt.