Wer befreit den Nahen Osten?

Das Öl macht den Nahen Osten zu einer reichen Region. Doch die Menschen dort leben in bitterer Armut. Sie haben aber die Macht, ihre Unterdrückung zu beenden.


Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will – das gilt auch im Nahen Osten. Die Konzerne sind auf Arbeiter, wie hier in der irakischen Ölindustrie, angewiesen.

Der Krieg der USA gegen den Irak und die Besetzung des Landes offenbart das noch immer vorhandene Ungleichgewicht zwischen entwickelten und ökonomisch schwachen Staaten innerhalb des Kapitalismus. Stets versuchten die "starken" Staaten im Kapitalismus die Abhängigkeit und Kontrolle gegenüber diesen Staaten aufrechtzuerhalten – mal durch direkte Besatzung, mal durch die Unterstützung von Marionettenregimes.
Ausbeutung und Unterdrückung durch den Kolonialismus führte immer wieder zu Widerstand großer Teile der dortigen Bevölkerung. Nationale Befreiungsbewegungen brachten schließlich in den 50er Jahren eine Reihe westlicher Marionettenregimes zu Fall. Die neuen Regierungen versuchten, unter dem Banner des arabischen Nationalismus mit Hilfe einer staatlich gelenkten Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Daher wurden große Teile der Wirtschaft verstaatlicht, wie zum Beispiel im Irak, wo sich 59,2 Prozent der Verarbeitenden Industrie in staatlicher Hand befanden.
Während des weltweiten Nachkriegsbooms der 50er und 60er Jahre konnten breite Schichten der arabischen Bevölkerung von dieser Politik profitieren. In Ägypten erließ der arabische Nationalist Gamal Nasser eine Landreform, die den Bauern die Existenz sicherte. Industrialisierung und wachsende Exportmärkte ermöglichten einen steigenden Lebensstandard für eine wachsende Zahl von Arbeitern.
Seit der Rückkehr der weltweiten Krisen ab den 70er Jahren geriet diese staatlich gelenkte Politik aufgrund der fehlenden Nachfrage des Weltmarktes selber in die Krise. So sah sich der ägyptische Präsident Sadat, Nassers Nachfolger, gezwungen, Kredite aufzunehmen und verstärkt ausländische Investitionen in das Land zu lassen. Die Folge war die vom Internationalen Währungsfonds vorgeschriebene Politik: Privatisierung und eine Senkung des Lebensstandards großer Teile der Bevölkerung.
Dennoch war die nationalen Unabhängigkeit nützlich, um den Kampf gegen die eigene herrschende Klasse zu stärken, wie gleichzeitig den Einfluss des Imperialismus zu schwächen. Lenin schrieb zum Verhältnis der Arbeiterbewegung gegenüber der bürgerlichen nationalen Befreiungsbewegungen: "Die Arbeiterklasse unterstützt die Bourgeoisie nur um des nationalen Frieden willen, um der Gleichberechtigung, um möglichst günstiger Bedingungen für den Klassenkampf willen."
Die stalinisierte Linke in den arabischen Ländern jedoch machte den Fehler, zu glauben, dass das Bürgertum gegenüber den feudalen vom Imperialismus abhängigen Herrscher progressiv sei und man es daher bedingungslos unterstützen müsse. Diese Unterstützung ging soweit, dass die Linke sich den Interessen des Bürgertums vollständig unterordnete und darauf verzichtete eine eigenständige politische Rolle zu spielen.
Das Scheitern des arabischen Nationalismus, und die Unfähigkeit der stalinistischen Linken, eine Opposition gegen die nationalistischen Führer aufzubauen, nutzte in den 70er Jahren dem politischen Islam. Aber der Iran zeigte, dass diese Unzufriedenheit erneut in eine staatskapitalistische Perspektive gelenkt wurde. Wie zuvor die arabischen Nationalisten zielte auch die klerikale Bürokratie auf die Durchsetzung ihrer nationalen wirtschaftlichen Interessen im Rahmen des Kapitalismus – und sah sich gezwungen, sich dem Weltmarkt zu unterwerfen.
Doch wie kann nach dem Scheitern dieser Ansätze eine wirkliche Veränderung erreicht werden?
Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb in seiner Theorie der "Permanenten Revolution", dass das Bürgertum, angesichts der Entwicklung des Kapitalismus in jedem Land der Erde, nicht mehr in der Lage sei, eine revolutionäre Rolle zu spielen. Diese Führungsrolle sei längst auf die Arbeiterklasse übergegangen.
Weiter analysierte Trotzki, dass die Arbeiter nicht nur im Gegensatz zum Kapital der unterdrückenden Kolonialmacht, sondern auch zu ihrer eigenen nationalen Bourgeoisie standen. Denn beide lebten von der Ausbeutung dieser Arbeiter. Die nationale Revolution müsse deswegen "permanent" werden, in die soziale Revolution übergehen.
Die Möglichkeit dafür wäre gegeben, denn, so argumentierte Trotzki: "Im Falle eines entscheidenden Sieges der Revolution geht die Macht in die Hand der Klasse über, die eine führende Rolle im Kampf gespielt hat – mit anderen Worten: in die Hand des Proletariats."
Gleichzeitig zeigte Trotzki auch, dass eine solche sozialistische Revolution nur auf nationaler Ebene in einem Land nicht ausreichen könne, sondern, dass die Revolution auch in einem internationalen Sinn "permanent" werden müsse. Das heißt, dass auch die Arbeiter in den Industriestaaten das kapitalistische System stürzen müssten. "Aber es kann auch nicht daran gezweifelt werden, dass eine sozialistische Revolution im Westen es uns erlaubt, die zeitweilige Herrschaft der Arbeiterklasse unmittelbar und direkt in eine sozialistische Diktatur zu verwandeln."
Die Theorie der "Permanenten Revolution" von Trotzki machte zwei Dinge deutlich: Erstens kann auch in Entwicklungsländern der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft geführt werden. Und zweitens bietet der entwickelte Kapitalismus keine Möglichkeit, nationale Befreiung innerhalb des Systems zu erlangen.

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