Die SPD stellt ihre Familienpolitik in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit und der Ausblutung des Sozialstaats soll nun eine "Allianz für die Familie" das soziale Profil gegen den Unternehmerkandidat Stoiber schärfen.
Ab 2002 steigen die Leistungen für Familien um fast 2,5 Milliarden jährlich. Vor allem wird das Kindergeld erhöht und der Kinderfreibetrag bei der Einkommenssteuer angehoben.
Mogelpackung
Das hört sich sozial an, ist es aber nicht. Zum einen werden die Alleinerziehenden geschröpft, was zu 85 % Frauen trifft. Diesen ohnehin schon besonders belasteten Familien wird der Haushaltsfreibetrag gestrichen. Die Durchschnittsverdiener unter ihnen werden am Jahresende dann rund 300 weniger im Portemonnaie haben. Zum anderen soll nun das Ehegattensplitting angegriffen werden. Dieser Steuervorteil kann für einen durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt gut 300 pro Monat ausmachen.
Kurzum, die Wohltaten werden von den Beschenkten selbst bezahlt. Mehr: Wenn die Koalition die Steuerfreibeträge ausweitet, dann kommt das entgegen ihren Beteuerungen vor allem den Besserverdienenden zugute. Die Kindergelderhöhung bringt gerade mal 15 pro Kind. Diejenigen, die den Spitzensteuersatz zahlen, werden aber um weitere 235 entlastet. Demgegenüber gehen alle leer aus, die monatlich weniger als 1500 verdienen.
Regierung wie Opposition wollen die Familien unterstützen. Nur: Welche? Familien sind keine klassenneutrale Gebilde. Es gibt reiche und arme Familien. Die Reichen werden weiter gehätschelt. Der Spitzensteuersatz wird um über 10 % gesenkt. Doch was sollen die Millionen Familien sagen, die von der Arbeitslosenhilfe abhängig sind? Der neue sozialdemokratische Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Gerster, forderte dessen Absenkung auf Sozialhilfeniveau.
Sozialstaat
Es geht also nicht um wirkliche Besserstellung der Familien. Die "Allianz für die Familie" hat eine ideologische Funktion. Die Beschwörung der Familie soll die Wärme erzeugen, um bei den Arbeitnehmern den Eindruck zu erwecken, hier werde klassische sozialdemokratische Reformpolitik betrieben. Tatsächlich aber verbirgt sich dahinter das Gegenteil. Die Familie soll das auffangen, was die Demontage des Sozialstaats hinterlässt.
So konnten unter Schröder die Unternehmer weiterhin Beschäftigte ohne besonderen Grund mit befristeten Arbeitsverträgen einstellen. Dies hat die Existenzunsicherheit großer Teile der Arbeiterklasse erhöht und zugleich den Mutterschutz ausgehöhlt. Eine Schwangere mit einem Sechsmonatsvertrag braucht nur noch der Anschlussvertrag verweigert werden, schon ist aus ihr und dem Kind ein Sozialfall geworden.
Diese Politik hat für die herrschende Klasse den Vorteil, dass sie billig ist. Die Kosten für das Großziehen neuer Arbeiter wird den Familien aufbürdet. Eine wirklich soziale Familienpolitik würde dagegen die Familien durch den Ausbau sozialstaatlicher Einrichtungen entlasten. Aber es sind genau diese Einrichtungen, die systematisch von dem neoliberalen Sparkurs Eichels angegriffen werden. Neoliberale Politik heißt: Unternehmen zahlen keine Gewerbesteuer mehr an Kommunen, denen das Geld für die Kitas ausgeht. Alles, was keinen Gewinn abwirft, wird dicht gemacht. Und alles was einträglich ist, wird an Private verschachert, um den Familien noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen.
Sündenbock Eltern
Die Familie ist auch deshalb ein Wahlkampfschlager, weil sie populär ist. Jugendstudien zeigen, dass immer noch 90 % der jungen Bundesbürger Heirat und Kinder zu den großen Lebensträumen zählen. Das liegt daran, dass die Warenwelt des Kapitalismus nichts als Kälte ausstrahlt. Die Familie erscheint als Ort des Rückzugs und Erholung, der abgeschottet von dem Druck und den Widersprüchen der übrigen Gesellschaft besteht. In der Wirklichkeit kann die Familie diesen Erwartungen nicht standhalten. Sie ist häufig Schauplatz der größten menschlichen Dramen, mitunter ein sehr gewalttätiger Ort.
Diese Wirklichkeit wird in der herrschenden bürgerlichen Ideologie tabuisiert. Die CDU sagt: "Familie ist überall dort, wo Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung tragen." Individuelle Verantwortung heißt immer auch: Individuelle Schuld. Wenn Ehen nicht funktionieren oder wenn die Kinder in der Schule scheitern, dann haben Mütter und Väter versagt. In diesem Sinne erklärte auch Schröder in einer Wahlkampfrede zum schlechten Abschneiden deutscher Schüler: "Die Eltern müssen sich wieder intensiver um die Entwicklung ihrer Kinder kümmern."
So kann Stoiber nicht geschlagen werden. Rot-grün müsste statt dessen gegenhalten, wenn Stoiber angreift. Familienfreundlich wäre es, das Zuzugsalter für ausländische Kinder zu erhöhen, nicht abzusenken. Familienfreundlich wäre es, durch kostenlose Kindergartenplätze für alle Kinder die Belastungen zu Hause zu verringern. Oder durch Kündigungsschutz und unbefristete Arbeitsverträge den Eltern die materielle Sicherheit zu geben, um entspannt mit den Kindern umzugehen. Stoiber stoppen heißt, den Sozialstaat auszubauen.