Der Kommentar: Sturm auf Berlin?

"Die neuen Radikalen: Fundamentalist Stoiber auf Rechts-Kurs" titelteder Stern über den bayerischen Ministerpräsidenten. Er sieht
die doppelte Staatsbürgerschaft als eine Gefahr für die Innere
Sicherheit – vergleichbar mit den RAF Terrorismus – und kündigte einen
"Sturm auf Berlin" an, der Rot-Grün zu einer "Episode" der Geschichte
machen soll.

Für Stoiber ist diese rechte Demagogie nichts neues. 1980 war
er als CSU-Generalsekretär mitverantwortlich für die Kanzlerkandidatur
des damaligen, erzkonservativen bayerischen Ministerpräsidenten Franz
Josef Strauß gegen den amtierenden SPD-Kanzler Helmut Schmidt.

Strauß polarisierte die deutsche Politik wie kein anderer. Mit
seinen rechten Positionen – Deutschland in den Grenzen von 1937 – und seinem
"starker Mann für einen starken Staat"-Image erntete er den Spott
der Karikaturisten, und Proteste wo immer er auftrat.

Das Sperrfeuer von rechts und die Auseinandersetzung um die CDU/CSU
Unterschriftenaktion heute, haben einen Hauch der Spannungen und dramatischen
Lagerbildung von damals: Wegen der massiven Gegenwehr konnten CDU-Infostände
oft nur unter Polizeischutz stattfinden.

Die Konservativen wollen die Uhr zurückdrehen und den Linksschwenk,
der Kohl stürzte, zurückdrängen. Laut CDU-Chef Schäuble
soll die CDU-Kampagne rechte Wähler halten und neue anziehen, um die
Entstehung einer "demokratischen Partei rechts von der Union" zu verhindern.

Die spontanen Aktionen gegen die Offensive von Rechts sind deshalb
eine notwendige Gegenwehr von links. Eine breite außerparlamentarische
"Stoppt Strauß"-Kampagne, die sich trotz dem Ruf der SPD-Führung
nach Mäßigung entwickelte, spielte eine große Rolle in
der Wahlniederlage von Strauß 1980.

Aber ein reiner linker Abwehrkampf auf der Straße – wenn auch
unverzichtbar – genügte nicht, um einen Rechtsruck zu verhindern.
1982 gelang es Kohl und Strauß gemeinsam mit der FDP Schmidt zu stürzen.
Diesmal kam es zu keiner Massenunterstützung auf der Straße
für die SPD, wie 1972. Bei den Wahlen 1983 konnte die neue CDU/CSU/FDP-Koalition
ihren Triumph besiegeln und ihren Stimmenanteil von 44,5% auf 48,8% erhöhen.
Die Ära Kohl und die Talfahrt der SPD wurden eingeleitet. Warum?

Das zentrale Problem einer Bewegung, die die SPD gegen die Rechten
und die Bosse unterstützt, ist die SPD selber. Oder genauer, das Verhältnis
der SPD zu ihrer Arbeiterbasis – besonders in Zeiten der ökonomischen
Krise.

In den frühen Siebzigern, als der Nachkriegsaufschwung andauerte
und die Arbeiter handfeste Verbesserungen erfuhren, war dieses Verhältnis
noch intakt. Deshalb streikten und demonstrierten sie1972, als die Konservativen
Willy Brandt durch einen Mißtrauensvotum zu stürzen versuchten.
1972 erzielte die SPD mit 45,8% das beste Wahlergebnis in ihrer Geschichte.
Die antizyklische, keynesianische Politik der staatlichen Lenkung der Wirtschaft
funktionierte immer noch.

Die Weltwirtschaftskrise von 1974 änderte das: Brandts Nachfolger
Helmut Schmidt beschrieb in einer Ansprache zum Jahreswechsel 1976/78,
welche Bedeutung dies für die Regierungspolitik hatte:

"Wir erleben, daß Theorien der modernen Volkswirtschaft, die
Jahrzehntelang als unumstößliche Glaubenssätze gegolten
haben, unversehens ihre Verbindlichkeit verlieren. …Isoliertes, eigenständiges
nationales Handeln einzelner Staaten wird immer seltener und schwieriger.
Wir hatten alle geglaubt, daß es eines Tages nach der Überwindung
der Weltwirtschaftskrise wieder so weiter gehen würde, wie vorher.
Doch gerade in den letzten Monaten ist uns klar geworden, daß nichts
so sein wird wie vor 1974… Manche der alten Instrumente greifen nicht
mehr."

Für die SPD-Arbeiter war Schmidts Sparpolitik eine Enttäuschung
und den Bosse ging es nicht weit genug. Die Bosse brauchten einen Wechsel,
um eine entschlossene Offensive gegen die Gewerkschaften durchzusetzen.

Eine enttäuschte Arbeiterklasse, der die Kampfkraft fehlt, ist
auch weniger immun gegen rassistische, nationalistische und auch neoliberale
Dogmen – wie etwa "Lohnverzicht schafft Arbeitsplätze". Die Konservativen
profitierten von dem Rechtsruck der SPD.

Die Lehren aus den 70ern sind für uns heute wichtig. Die Anti-CDU/CSU-Aktionen,
dürfen nicht als Proteste auf der Straße stehen bleiben. Sie
müssen Ausgangspunkt für eine breitere Bewegung gegen die Wurzeln
des Rassismus sein.

Eine Regierung, die eine Politik der kapitalistischen Krisenverwaltung
mitmacht, und sich unter Sparzwang stellt, kann nicht konsequent gegen
Rassismus vorgehen.

"Integration" müßte erstmal „Jobs für alle“ heißen.
Es muß auch höhere Löhne in öffentlichen Dienst bedeuten,
wo viele Ausländer in niedrig bezahlten Jobs arbeiten.

Weil die ökonomische Krise heute noch viel tiefer ist, entwickelt
sich die politische Krise im Zeitraffer. Schröder sagt jetzt schon:
"die Zeit der Verteilung von Wohltaten ist vorbei".

Lafontaine hat sich innerhalb von 100 Tagen vom Nachfragepolitiker
zum Sparkommisar und Lohndrücker entwickelt. Er fordert Einschnitte
ins soziale Netz und niedrige Lohnerhöhungen im öffentlichen
Dienst.

Wir nehmen die Rechten ins Visier, wenn wir auf der Straße gegen
Rassismus und die Rechten vorgehen. Aber um sie und andere Übel zu
bekämpfen, sind wir gezwungen, einen Streit mit der Regierung über
ihre Politik des Marktes, über das Abladen der Kosten der Krise auf
die Rücken der Arbeiterklasse aufzunehmen.

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