Die Medien haben in ihrer Berichterstattung über die Proteste gegen den Weltwährungsgipfel in Prag auf ein altbewährtes Spaltungsmanöver zurückgegriffen. Man habe Verständnis für die Anliegen der Demonstranten. Doch eine gewalttätige Minderheit habe den Protest gekapert, um die Gelegenheit zu zielloser Randale auszunutzen.
Auch unter den Demonstranten lassen sich nicht wenige von der Lawine der immer gleichen Gewaltbilder verwirren. Eine weitverbreitete Auffassung besagt, daß "wir selbst zum System werden, wenn wir wie das System handeln." Deshalb dürfe man keine Gewalt anwenden, wenn man für eine friedliche Zukunft eintritt.
Die hierin zum Ausdruck kommende Abneigung gegenüber jeder Form der Gewalt ist eine gute Sache. Sozialisten wollen eine gewaltfreie Gesellschaft. Die Frage ist nur, wie wir dort hinkommen
Staatsgewalt
Unsere Gesellschaft ist gespalten: Auf der einen Seite gibt es eine winzige Minderheit, die den Reichtum besitzt und die Mittel, ihn zu produzieren. Auf der anderen Seite die überwältigende Mehrheit, die arbeitet und so den Reichtum schafft, der ihr von der Minderheit abgenommen wird.
Diese Gesellschaftsordnung ist auf verschiedene Arten abgesichert. Zum einen ideologisch die Herrschenden erzählen uns, dieses System ist das einzig mögliche und Auflehnung dagegen hätte kein Zweck.
Doch die offensichtlichen Widersprüche und Ungerechtigkeiten des Kapitalismus lassen sich nicht auf ewig ideologisch zukleistern irgendwann bröckelt der Putz und Menschen lehnen sich gegen das System auf.
Deshalb kann keine herrschende Klasse jemals auf Gewaltmittel zur Sicherung ihrer Stellung verzichten.
Der moderne Kapitalismus hat zu diesem Zweck einen komplexen Staatsapparat geschaffen, der über ein abgestuftes System der Repression von Justiz und Gefängnissen, Polizei und Armee flexibel auf Herausforderungen von unten zu reagieren versteht. Der tschechische Staat fuhr alle Repressionsinstrumente zum Schutz der Tagung von IWF und Weltbank auf. Er erließ ein generelles Demonstrationsverbot und bot Panzerspähwagen, Tränengas und 11.000 Polizisten im Robocop-Stil auf. Die Polizeiführung forderte schließlich die Armee an.
So lange die Macht des Kapitals nicht bedroht ist, gewährt die parlamentarische Demokratie bürgerliche Freiheiten wie Rede- und Versammlungsrecht. Sollte sich die herrschende Klasse jedoch in ihrer sozialen Stellung bedroht sehen, wird sie nicht zögern, diese mit aller Gewalt zu verteidigen. Zahllose historische Beispiele belegen, daß keine herrschende Klasse sich jemals "guten Argumenten" gebeugt und kampflos aufgegeben hätte. Als 1973 der demokratisch gewählte Präsident von Chile, Salvador Allende, sich gegen den Willen der herrschenden Klasse an der Regierung hielt, wurde er durch einen blutigen Militärputsch unter General Pinochet gestürzt und getötet.
Die Herrschenden werden mit allen Mitteln an der Macht festhalten. Keine soziale Revolution wird daher ohne Gewalt auskommen. Diese revolutionäre Gewalt wird aber nur einen Bruchteil dessen ausmachen, womit der Kapitalismus uns täglich konfrontiert. Und sie ist abhängig von der Stärke der revolutionären Bewegung. Während der russischen Oktoberrevolution von 1917 war die Bewegung so stark und die alte Regierung so schwach, daß beim Umsturz in der Hauptstadt Petrograd nicht mehr als sechs Menschen umkamen. Der Erste Weltkrieg, aus dem diese Revolution geboren wurde, tötete 10 Millionen.
Sympathien
Genau das ist der entscheidende Punkt für die Bewegung heute. Die Gewaltfrage ist nicht nur moralischer, sondern vor allem strategischer Natur. Je breiter und dynamischer die Bewegung ist, desto schwerer wird es für die Herrschenden sie zu kriminalisieren und anzugreifen.
Es ist ein Unterschied, ob die Polizei auf eine leicht zu isolierende Gruppe von 200 Vermummten einknüppelt oder eine gemeinsame Demo von Gewerkschaftern und jugendlichen Aktivisten vor sich hat. Der Staat versucht seine Gewalt meistens mit der Behauptung zu rechtfertigen, es müßten nur ein paar außerhalb der Gesellschaft stehende Radikale zur Räson gebracht werden.
Dieses Manöver funktioniert, wenn sich die Bewegung auf ein sozial isoliertes Milieu einengen läßt. So geschehen mit der Hausbesetzerszene in den 80er Jahren in Westdeutschland. Ein Gegenbeispiel ist die Massenbewegung in der DDR 1989, die von einer so überwältigenden Breite und Dynamik war, daß die Staatsmacht regelrecht überrollt wurde und keinen Schuß abgab.
Die Lehre für die antikapitalistische Bewegung sollte sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, den Protest zu verbreitern und vor allem die organisierte Arbeiterklasse mit in die Bewegung einzubeziehen. So entsteht eine Bewegung von Kraft, die Schritte zu einen klassenlosen, gewalfreien Gesellschaft gehen kann.