Hinter der Krise der CSU in Bayern steckt mehr als der Streit zwischen einem Ministerpräsidenten, der seinen Zenit überschritten und einer Fürther Landrätin. Wäre Stoiber in der Lage, die seit 49 Jahren unangefochtene Position der CSU in Bayern zu halten, hätte die Kritik von Gabriele Pauli kaum Widerhall in Bevölkerung und Partei gefunden. Doch Stoiber kann das Projekt der bayrischen Volkspartei, in der sowohl die Interessen von Unternehmern als auch von Arbeitern aufgehoben sind, nicht mehr glaubwürdig vermitteln. Die Krise des Kapitalismus hat dem Klassenkompromiss bayrischer Prägung die Grundlage entzogen.
Als sich in den 70er und 80er Jahren im stark landwirtschaftlich geprägten Bayern eine moderne Industrie entwickelte und sich Automobil-, Rüstungs- und später IT-Unternehmen niederließen, wurde ein Teil der steigenden Steuereinnahmen und Subventionen aus Bundes- und EU-Töpfen eingesetzt, um die Bevölkerung ruhig zu stellen. Das konservative Bayern verfügte so zeitweise über bessere Sozialleistungen und Bildungsmöglichkeiten als die sozialdemokratisch regierten Länder im Westen und Norden Deutschlands, die mit dem Niedergang der Montanindustrie und hohen Arbeitslosenzahlen zu kämpfen hatten.
Doch spätestens seit den neunziger Jahren ist das vorbei. Mehr und mehr wanderten Betriebe in den vergangenen Jahren ab. Massenentlassungen und Werksschließungen wurden immer häufiger. So wurden zuletzt das AEG-Werk in Nürnberg sowie das Infineon- und das BenQ-Werk in München geschlossen, um nur die größten des vergangenen Jahres zu nennen.
Während die rot-grüne Bundesregierung mit der Agenda 2010 drastische Sozialkürzungen durchführte, verschärften auch Stoiber und die CSU, die seit den Landtagswahlen 2003 über eine Zwei-Drittelmehrheit im Münchner Landtag verfügen, den Sparkurs erheblich. Vor allem im Sozial- und Bildungsbereich wurden große Summen eingespart. 2004 wurden bei einem Gesamthaushalt von etwas über 30 Milliarden Euro über 1,6 Milliarden gekürzt, und zwar 160 Millionen allein im Sozialbereich und rund 60 Millionen bei der Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen und Ausländern. Die wöchentliche Arbeitszeit von Beamten und Landesangestellten wurde ohne Lohnausgleich auf 42 Stunden angehoben, und Urlaubs- und Weihnachtsgeld empfindlich gekürzt.
Bei den Bundestagswahlen im Herbst 2005 verlor die CSU 900.000 Wählerstimmen. Doch trotz mahnender Stimmen und obwohl der Landeshaushalt im vergangenen Jahr ausgeglichen war, will Stoiber an seinem radikalen Sparkurs festhalten. Der Unmut darüber bricht sich jetzt in der von Gabriele Pauli gestarteten Debatte Bahn.