Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Linke gefordert wie lange nicht mehr. Wie soll sie den Herausforderungen gerecht werden? Linksruck möchte Raum für diese Debatte bieten. Sascha Kimpel, Mitglied von attac und aktiv in der Initiative für ein Berliner Sozialforum, eröffnet die Diskussion.
Beim Europäischen Sozialforum in Paris Mitte November werden wie in Florenz vor einem Jahr Zehntausende Aktivisten aus ganz Europa zusammenkommen. Die verschiedensten Meinungen treffen dort aufeinander. Wir sind jedoch einig in der Ablehnung von Neoliberalismus, Krieg und Rassismus.
Eine neue, junge, radikale Generation ist auf die Bühne der Geschichte getreten. Diese Generation akzeptiert die Verhältnisse, wie sie sind, nicht. Zum anderen haben wir dieses Jahr erlebt, dass die Arbeiterklasse in zahlreichen europäischen Ländern wieder an die Rampe der politischen Bühne getreten ist. Die Streiks gelten trotz des Trommelfeuers der Massenmedien in der Bevölkerung weiterhin als legitim.
Diese Klassenkämpfe beweisen, dass die neoliberale Politik weiterhin in breiten Schichten unbeliebt ist, selbst wenn die Niederlagen der Vergangenheit Spuren von Ermüdung und Zweifel hinterlassen haben. Doch wenn die Bedingungen für wirksames Handeln erst einmal geschaffen sind, nehmen die Lohnabhängigen in großer Zahl und voller Energie umfangreiche Kämpfe auf. Noch reicht die enorme Aktivität nicht aus, um zu gewinnen. Die Möglichkeiten zu gewinnen, haben sich jedoch entscheidend verbessert.
Wir befinden uns inmitten einer tief in die Gesellschaft einwirkenden Umwälzung. In der Mehrheit Arbeiterklasse gibt es schon eine tief verwurzelte Erkenntnis, dass die von der alten Linken betriebene Politik in den Institutionen lediglich den Reichen und Privilegierten nutzt, und dass die "kleinen Leute" immer draufzahlen.
Ein "Zurück" zu Wirtschaftsaufschwung, Keynesianismus und mehr sozialer Gerechtigkeit wird es nicht geben, denn die Globalisierung des Kapitalismus und seine anhaltende Krise lassen auch langfristig keine Reformen erwarten, die Verbesserungen bedeuten.
In Deutschland und in ganz Europa wird der Krieg gegen den Irak, der Kahlschlag der Gesundheitssysteme, die Massenentlassungen in den Betrieben, die Kürzungen der Arbeitslosengelder, das Bereitstellen von Milliardensubventionen für die Kapitalseite von immer mehr Menschen abgelehnt. Daran müssen wir ansetzen. Wir können heute tendenziell Mehrheiten ansprechen und mobilisieren.
Mehr als früher ist daher eine Politik, die auf Dialog mit den Unternehmern und den neoliberalen Parteien setzt, schädlich und irreführend. In einflussreichen Teilen der Bewegung ist diese Ausrichtung noch immer vorherrschend, an der Basis jedoch immer weniger.
Die globalisierungskritisch Bewegung, insbesondere das Europäische Sozialforum und die nationalen Sozialforen können in den nächsten Monaten einen wichtigen Beitrag zur Zuspitzung des Konflikts zwischen Unternehmen und Arbeitern leisten.
Ausgehend vom ESF wird am 20. März nächsten Jahres sehr wahrscheinlich ein europäischer Aktionstag gegen Sozialkahlschlag, Privatisierungs- und Kriegspolitik organisiert. Durch die deutschlandweite Demonstration am 1. November werden sich die Chancen für eine gute Mobilisierung zum 20. März weiter verbessern.
Die Regierungen der EU wollen in den nächsten Monaten eine gemeinsame Verfassung verabschieden. Doch diese Verfassung ist undemokratisch, unsozial und militaristisch. Der wahre Charakter der EU ist mittlerweile immer durchsichtiger für die Mehrheit der Arbeiter. Die Ablehnung und Mobilisierung gegen die geplante EU-Verfassung ist daher zentraler Bestandteil des Kampfes gegen Neoliberalismus und Krieg.
Die Arbeiterbewegung steht trotz erster Fortschritte erst am Anfang einer neuen aktiven Rolle in der Politik. Doch die Gewerkschaftsapparate können längst nicht mehr alles in die von ihnen gewollten Bahnen lenken. Für uns geht es jetzt darum, den sozialen Widerstand auf stabile Füße zu stellen und Anstöße dafür zu geben, eine aktive und demokratische Gewerkschaftsbewegung neu zu organisieren.
Die letzten Monate zeigen, dass Fortschritte auf dem Weg zu einer neuen radikalen und politischen Kraft mit sozialen und politischen Erfahrungen im großen Maßstab verbunden sind. Nicht ideologische Debatten sind entscheidend. Vielmehr brauchen wir Erfahrungen, die politische Neugruppierungen und Annäherungen, die Ansammlung von Kräften, die Verankerung in der Gesellschaft sowie die Herausbildung einer Plattform, von der die Masse der Bevölkerung und die Jugend sich angesprochen fühlt, auslösen.
Für die antikapitalistische Linke gilt es, den politischen Raum, der sich links von den alten Parteien aufgetan hat, aktiv zu nutzen. Alle Kräfte, die einen Bruch mit dem Kapitalismus wollen, sollten die neuen Möglichkeiten offensiv nutzen. Die Zusammenfassung dieser radikalen, pluralistischen, repräsentativen, nicht-sektiererischen Kräfte in ganz Europa steht auf der Tagesordnung.
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