Schröders Agenda 2010: "Der schärfste Angriff auf den Sozialstaat seit dem Krieg"

Vorwort

Der frühere IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel nannte die Agenda 2010
der rot-grünen Bundesregierung den „schärfsten Angriff auf den
Sozialstaat seit dem Krieg“
. Die Agenda 2010 unterscheidet sich von
früheren Kürzungsprogrammen nicht nur in ihrem Ausmaß, sondern auch
in ihrer Qualität. Ihre Zielsetzung ist ein neues Kräfteverhältnis
zwischen Kapital (den Interessen der Unternehmer) und Arbeit (den
Interessen der abhängig Beschäftigten und Arbeitslosen). Dieses
Kräfteverhältnis soll zu Gunsten des Kapitals verschoben werden, um
die allgemeine Profitrate zu steigern. Seine besondere Note erhält
dieser Raubzug im Interesse der Reichen und Konzerne dadurch, dass er
von einer sozialdemokratisch geführten Regierung durchgeführt wird.

Der Angriff wird von der Unternehmerklasse angetrieben, von den Medien
und den bürgerlichen Parteien (CDU, CSU und FDP) unterstützt und auf
die Ebene der Länder und Gemeinden ausgedehnt. Die Arbeitgeberverbände
nutzen ihrerseits die gemeinsame Offensive von Bund und Ländern, um die
geltenden sozialen Standards in der privaten Wirtschaft zu zerschlagen.
Sie wollen niedrigere Löhne, längere Arbeitszeiten und weniger
Mitbestimmungsrechte in den Betrieben und Verwaltungen durchsetzen. Sie
alle sehen in den Maßnahmen der Schröder-Fischer-Regierung nur einen
Anfang, einen Türöffner. So meint der frühere SPD-Geschäftsführer
und heutige Unternehmensberater Matthias Machnig, die Sozialreformen der
Agenda 2010 „bewirken wenig, bereiten aber wirklichen Sozialreformen
den Weg“
1. Die rechtskonservative Tageszeitung „Die Welt“
kommentierte, die Schröder-Jahre seien „nur das Vorspiel für einen
gesellschaftlichen Rückbau“
. Der BDI-Präsident Michael Rogowski
wünscht sich gar „ein großes Lagerfeuer, um das
Betriebsverfassungsgesetz und die Tarifverträge hineinzuwerfen“
2.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) stellt den von ihm eingeleiteten
Generalangriff auf die sozialen Rechte der Lohnabhängigen und
Arbeitslosen als Verteidigung des Sozialstaats hin und versucht so,
seine Wählerschaft zu beruhigen. In seiner Agenda-2010-Rede am 14.
März 2003 hat er versichert, dass es seiner Regierung „nicht darum
geht, dem Sozialstaat den Todesstoß zu geben“
3. Vielmehr gehe es um
seinen „Umbau und seine Erneuerung“, um seine Substanz zu
erhalten. Mit dem, was Schröder in Orwellscher Verkehrungssprache
„Reform“ des Sozialstaats nennt, soll – so verspricht er
zudem – „Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts bei Wohlstand und
Arbeit wieder an die Spitze“
gelangen.
Gerhard Schröder und mit ihm die Führung der Sozialdemokratie auf
Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, haben sich zum Anwalt einer
neoliberalen Reaktion auf die Wirtschaftskrise gemacht. Diese Strategie
besagt in ihrem Kern, dass es der großen Mehrheit der lohnabhängigen
Klassen (Arbeiterklasse und unterer neuer Mittelstand, das sind über 80
Prozent der Bevölkerung), erst einmal wesentlich schlechter gehen muss,
damit sich eine kleine Minderheit von Kapitalisten, also diejenigen,
deren wesentliches Einkommen nicht auf Erwerbsarbeit, sondern auf
Kapitalprofiten basiert, auf ihre Kosten bereichert. Dieser Logik
zufolge führen niedrigere Löhne und Sozialausgaben zu höheren
Gewinnen, damit zu höheren Investitionen und schließlich zu mehr
Arbeit und Wohlstand und Reichtum für alle.

Dieser Traum Gerhard Schröders hat allerdings verschiedene
Bruchstellen. Eine höhere Ausbeutungsrate – das heißt die Erhöhung
der unbezahlten und vom Kapitalisten einbehaltenen Arbeitsleistung
(Mehrwert) im Verhältnis zur bezahlten Leistung (Lohn) – führt nicht
automatisch auch zu höheren Profiten, denn die Unternehmer müssen ihre
Waren erst einmal am Markt verkaufen, bevor der den Arbeitern
abgepresste Mehrwert zu Profit wird. Tatsächlich besteht im
Kapitalismus eine beständige Gefahr, dass das Angebot an Waren die
Nachfrage überschreitet. Die Gesetzmäßigkeiten dieses Ungleichgewichts
hat Karl Marx vor über 150 Jahren entdeckt und analysiert. Sie haben
seitdem nichts von ihrer zerstörerischen Kraft eingebüßt.

Die Sozialdemokratie demontiert den Sozialstaat

Die eigentliche Tragik dieses Angriffs besteht jedoch nicht einmal in
seinem Ausmaß, sondern darin, dass er von einer sozialdemokratischen
Bundesregierung verantwortet wird. Nie zuvor hat es ein
sozialdemokratischer Reichs- oder Bundeskanzler gewagt, den Sozialstaat
und die sozialen Rechte der abhängig Beschäftigten so zu demontieren.
Und nie zuvor haben die Taten einer sozialdemokratischen Regierung den
Worten ihres Wahlprogramms so offen und grundsätzlich widersprochen wie
unter Kanzler Schröder:
„Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den
Schwächeren in unserer Gesellschaft.“
So lesen wir es jedenfalls im
Wahlprogramm der SPD aus dem Jahr 2002. Oder: „Flexibilität darf
nicht zulasten sozialer Sicherheit gehen“
. Oder: „Die
Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen und Lebenschancen bleibt
nach wie vor eine große Herausforderung.“
Kein
SPD-Bundestagsabgeordneter würde sich im Frühjahr 2004 noch trauen,
solche Sätze in den Fluren von Arbeitsämtern oder Sozialrathäusern
laut vorzutragen, weil solche Sätze inzwischen nach Hohn und Spott
klingen.
Die Liste der mit der „Agenda 2010“ gebrochenen Wahlversprechen
der SPD ist bemerkenswert. Im Wahlprogramm heißt es über die
gesetzliche Arbeitslosenversicherung: „Wir wollen im Rahmen der
Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung auf das
Sozialhilfeniveau.“
Die Agenda 2010 sieht jedoch genau dies vor.
Über den Flächentarifvertrag heißt es im SPD-Wahlprogramm noch, er
habe „sich bewährt … Notwendige Reformen werden wir auch weiterhin
… mit den Sozialpartnern abstimmen“
. In seiner Agenda-Rede drohte
Schröder dagegen den Gewerkschaften mit einer gesetzlichen Regelung
auch gegen ihren Willen. Wenn sie nicht bereit seien, in den
Tarifverträgen „Optionen zu schaffen, die den Betriebspartnern
Spielräume bieten, wird der Gesetzgeber zu handeln haben“
. Ein
unverhohlener Versuch der Erpressung gegen die Gewerkschaften, die so
vor die Alternative von Selbstmord oder Mord, von „freiwilliger“

oder gesetzlich erzwungener Durchlöcherung des Flächentarifvertrags
gestellt werden.
Im Wahlprogramm 2002 wird weiterhin gefordert, „dass jeder einen
seiner Leistungsfähigkeit entsprechenden Beitrag im Rahmen einer
gerechten … Besteuerung des Einkommens aus Arbeit und Vermögen
leistet“
. Auch diese Sätze klingen zwei Jahre später wie ein
schlechter Witz. Entspricht es dem Prinzip einer
„leistungsgerechten“ Besteuerung, wenn Sozialhilfeempfänger 10
Euro pro Arztbesuch und noch einmal soviel für jedes Rezept bezahlen
müssen? Wie „leistungsgerecht“ sind das Absenken der
Kilometerpauschale und der Arbeitnehmerpauschale für Werbungskosten,
die Erhöhung der Tabaksteuer und höhere Steuern für Alleinerziehende,
wenn zugleich der Spitzensteuersatz für Reiche und Superreiche von 48,5
auf geplante 42 Prozent im Jahr 2005 gesenkt wird ?
Gegenüber früheren konservativen und sozialdemokratischen Angriffen
auf den Sozialstaat unterscheiden sich die Maßnahmen der Agenda 2010 in
einem entscheidenden Punkt: das bisherige Finanzierungsprinzip der
staatlichen Sozialversicherungen beruhte (mit Ausnahme der
Unfallversicherung) auf der paritätischen (hälftigen) Belastung von
Unternehmern und Lohnabhängigen. Dieses Prinzip wurde schon von der
Regierung Kohl ausgehöhlt, z.B. durch die Streichung eines Feiertages
bei der Einführung der Pflegeversicherung und durch die stetigen
Erhöhungen von Zuzahlungen im Gesundheitswesen durch die Patienten.
Schon vor Einführung der neuen Zuzahlungen für Arzneimittel und
Arztbesuche ab 2004 hatten die Arbeitnehmer etwa 60 Prozent, die
Arbeitgeber nur noch 40 Prozent der Krankheitskosten aufzubringen. Die
Teilprivatisierung der Altersvorsorge durch Einführung der
Riester-Rente (2001) und die Ausklammerung immer weiterer Leistungen aus
der gesetzlichen Krankenversicherung (Brillen, Zahnersatz), sowie
drastische Erhöhungen der Zuzahlungen für Medikamente und ärztliche
Dienste werden dem bisherigen Prinzip der paritätisch finanzierten
Sozialversicherung einen weiteren, schweren Schlag versetzen.
Wie weit sich die SPD bei der Gesundheitsvorsorge von ihrer eigenen
Tradition als Reformpartei entfernt hat, lässt sich an ihren früheren
Beschlüssen ersehen. 1964 hatte sie auf ihrem Karlsruher Parteitag
unmissverständlich beschlossen: „Im Gegensatz zur amtierenden
Bundesregierung (CDU/CSU und FDP, V.M.), die ihren Willen darauf
konzentrierte, Kostenbeteiligungen einzuführen, den Weg zum Arzt zu
erschweren … lehnen die Sozialdemokraten jede Form von
Kostenbeteiligung für ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Arzneien
und Heilmittel sowie Krankenhausbehandlung ab.“

Im Wahlprogramm der SPD 1994 hieß es etwas vorsichtiger: „Es bleibt
bei unserer Ablehnung eines weiteren Ausbaus der Selbstbeteiligung der
Krankenversicherten.“
Und im Wahlprogramm 2002 noch einmal: „Das
Prinzip des solidarischen Gesundheitswesens bleibt richtig – die
Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, ebenso die paritätische
Finanzierung der Krankenversicherung“
.
Dass schon die Riester-Rente eine neue Qualität des Angriffs auf das
bisherige Versicherungssystem war, hat Schröder in seiner Agenda-Rede
ausdrücklich hervorgehoben. An die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP
gewandt, rief er – abweichend vom schriftlichen Redekonzept: „Wir
und nicht Sie haben die kapitalgedeckte private Vorsorge, die die zweite
Säule der Rentenversicherung darstellt, auf den Weg gebracht. Unter
Ihrer Führung ist mit solchen Reformen nicht begonnen worden.“

Dies war eine Botschaft an das Unternehmerlager: nur die
Sozialdemokratie konnte es wagen, das bisherige
Sozialversicherungssystem grundsätzlich in Frage zu stellen, wie das
die Riester-Rente tat.
Und Schröder hat in diesem Punkt Recht: der große Angriff auf den
Sozialstaat gelang erst einem sozialdemokratischen Kanzler, während die
Regierung Kohl (CDU) damit in ihrer Endphase am wachsenden Widerstand
der Arbeiterschaft und ihrer Gewerkschaften scheiterte.
Es wäre eine gröbliche Unter- und Fehleinschätzung der Agenda 2010
und des mit ihr eingeschlagenen sozialpolitischen Kurses, darin in
erster Linie den Versuch einer „Kostensenkung für den Staat“ zu
sehen, wie z.B. die „Frankfurter Rundschau“ schrieb. 4 Wer
Schröders Angriff auf den Sozialstaat in seiner wirtschaftspolitischen
Logik verstehen will, darf auch nicht davon ausgehen, es handele sich
hier um das Bestreben – wie Gerhard Schröder beschwichtigend
beteuert – den Sozialstaat „in seiner Substanz“ zu erhalten. Es
geht der rot-grünen Bundesregierung vor allem darum, die Nettogewinne
der Unternehmer zu steigern.

Die Macht des Kapitals soll gestärkt werden

Das Hauptziel der Agenda, die Stärkung der Kapitalseite gegen die
Arbeiterschaft zur Erhöhung der allgemeinen Ausbeutungsrate, ergibt
sich erst aus der Kombination des gesamten Maßnahmepakets der Agenda
2010. Dazu gehören Verschlechterungen des Kündigungsschutzes
(Abschaffung des Kündigungsschutzes für Kleinbetriebe, weitgehende
Abschaffung der Sozialauswahl bei Massenentlassungen), die Förderung
eines Niedriglohnsektors (Ausweitung der Minijob-Regelung, Einführung
des sogenannten Kombi-Lohns), die Verschlechterung der rechtlichen
Chancen für eine arbeitsgerichtlich durchgesetzte Abfindung und eine
nochmalige Verschärfung der Zumutbarkeitsbedingungen bei der
Arbeitssuche (Arbeitslose müssen auch bereit sein, zu schlechteren als
tariflichen oder ortsüblichen Bedingungen Arbeit aufzunehmen).
Alle diese Maßnahmen bringen dem Staat keinerlei Ersparnis,
verschlechtern aber die rechtliche Lage der Arbeitnehmer im
Kündigungsfall beträchtlich und vergrößern so die Ängste der
Beschäftigten vor Arbeitslosigkeit. Zugleich unterstützt die
Schröder-Regierung die Unternehmerkampagne gegen den
Flächentarifvertrag durch die Drohung mit einer „gesetzlichen
Regelung“
, d.h. eines staatlichen Zwangseingriffs in die
Tarifautonomie. Sie will so die Gewerkschaften zu einer
„freiwilligen“ Aufweichung und Aufgabe der Flächentarifverträge
zwingen, die heute immerhin noch für 70 Prozent aller
Arbeitsverhältnisse in Westdeutschland und 55 Prozent in Ostdeutschland
Mindestlöhne und Maximalarbeitszeiten festschreiben.

Verschärfung der Konkurrenz

Diese Maßnahmen zielen auf die Verschärfung der Konkurrenz zwischen
Arbeitslosen und Beschäftigten. Diese Konkurrenz ist umso schärfer, je
geringer die sozialen Rechte der Arbeitslosen und je größer die Angst
der Beschäftigten vor einem Absturz in die Arbeitslosigkeit. Karl Marx
hat den Zusammenhang von beiden Teilen der Arbeiterklasse, ihrer
„Reserve“ (Arbeitslose) und ihres aktiven Teils (Beschäftigte),
so beschrieben:

„Die Überarbeitung des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse
schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte
Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt,
diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals
zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungenem
Müßiggang (!) durch Überarbeit des anderen Teils, und umgekehrt, wird
Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten.“
5
Ganz in diesem Sinn zielt das Maßnahmenpaket der Agenda 2010 auf die
Bereicherung nicht nur des einzelnen Kapitalisten, sondern ihrer
gesamten Klasse. Die Arbeiter versuchen, mit ihren Gewerkschaften
Schutzdämme gegen die Konkurrenz untereinander zu errichten, die
Schröder-Regierung gewährt den Arbeitgeberverbänden Schützenhilfe
dabei, diese Dämme einzureißen.
Zu Recht werfen Gewerkschafter Schröder vor, er betreibe eine
„Umverteilung von unten nach oben“. Dabei schlägt er zwei Wege
ein, die zum gleichen Ziel führen: zur Erhöhung der Nettoprofitrate
der Kapitalbesitzer, d.h. jenes Profits, der ihnen nach Abzug von
Steuern und Sozialabgaben verbleibt
Die erste Gruppe von Maßnahmen der Agenda 2010 beeinflussen das
Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit zugunsten der
Kapitalseite „beim Backen des Kuchens“, d.h. in der Produktion.
Zu dieser Gruppe gehören die Aushöhlung bzw. Abschaffung von
Schutzrechten der Arbeitslosen und Beschäftigten – mit dem Ziel der
Erhöhung der Konkurrenz untereinander. Das Verhältnis des Lohns zu den
von den Arbeitern geschaffenen Werten wird damit beeinflusst: der Anteil
der unbezahlten Arbeitsleistung, oder wie Marx sagt, die
Ausbeutungsrate, wird dadurch erhöht. Das Absinken des Krankenstandes
im Jahr 2003 auf seinen niedrigsten Stand (3,3 % März 2004) seit
Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch für Arbeiter im
Jahr 1970 ist ein verlässlicher Indikator dafür, dass die Angst vor
Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg stark zugenommen hat.
Die zweite Gruppe von Maßnahmen betrifft den „Soziallohn“ der
Arbeiter. Denn die Renten, das Pflegegeld, Lohnersatzleistungen,
Sozialhilfe und alle anderen Leistungen des Wohlfahrtsstaates gehören
ebenso zum effektiven Einkommen der Arbeiterfamilien wie der ausbezahlte
Lohn. Weil Rentner, Kinder, Sozialhilfeempfänger, Behinderte,
Arbeitslose und andere Empfängergruppen keine schlagkräftigen
Organisationen haben, ist der Soziallohnanteil der arbeitenden Klassen
noch leichter angreifbar als der ausbezahlte Lohn.

Zwar wurde auch bisher schon der größte Anteil des Wohlfahrtsstaates
von den Lohnabhängigen selbst über Abgaben und Steuern bezahlt. Aber
die bisherige Regelung, nach der die Unternehmer für 50 Prozent der
Lohnnebenkosten aufkommen mussten, war eine effektive
Einkommenserhöhung für die Arbeiterklasse.
Schröder wollte davon ablenken, als er in seiner Agenda-Rede scheinbar
bekümmert beklagte, die „Lohnnebenkosten haben eine Höhe erreicht,
die für die Arbeitnehmer zu einer kaum mehr tragbaren Belastung
geworden ist.“
In Wahrheit müssen die Arbeitnehmer durch immer
höhere Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen einen immer größeren Anteil
der sozialen Leistungen alleine bezahlen.
Die Kampagne gegen zu hohe Lohnnebenkosten in Deutschland läuft daher
auf eine „staatlich verordnete Lohnsenkung“ hinaus, wie der
frühere IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel richtig kritisiert hat.
Und alle Pläne auf Einführung einer Bürgerversicherung an Stelle der
bisherigen Krankenversicherung müssen daraufhin kritisch überprüft
werden, wie sie sich auf die Belastung der gesellschaftlichen Klassen
auswirken. Eine rein steuerfinanzierte Krankenversicherung würde nur
keine Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterschaft mit sich
bringen, wenn die dafür nötigen Steuern zumindest zur Hälfte von den
Reichen und Kapitalbesitzern aufgebracht werden müsste. Die bisherigen
Pläne einer Bürgerversicherung von SPD und Grünen sehen dies jedoch
nicht vor und sind deshalb abzulehnen.

Anmerkungen:
1 Die Welt, 22. Juli 2003
2 Der Spiegel 44/2003, 25. Oktober 2003
3 www.faz.net-spezial:agenda2010
4 Frankfurter Rundschau, 16. Oktober 2003
5 Marx-Engels-Werke 23 (Das Kapital, Bd. 1), S. 665
6 Metall, Monatsmagazin der IG Metall, April 2003

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