Die Wut nutzen

Mit einer breiten Kampagne gegen Sozialabbau können wir die Regierungskrise nutzen.
Kanzler-Dämmerung in Berlin. Die Koalition ist zerstritten. Die Disziplin im Kabinett ist zusammengebrochen, wichtige Minister wie Fischer und Eichel greifen sich öffentlich an. Das Ende der Regierung Schröder vor den Wahlen 2006 wird immer wahrscheinlicher.
Am 1. Mai sind wieder ein halbe Million Menschen gegen den Sozialkahlschlag auf die Straße gegangen – wie schon bei den Protesten am 3.April. Auf ihren Schildern forderten Demonstranten von Schröder ein Ende der Kürzungen.
Auf der Kundgebung in Berlin hat der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Michael Sommer Schröder und die Agenda 2010 scharf angegriffen. Sommer hat aber nicht gesagt, was die Gewerkschaften gegen die Schröder-Regierung unternehmen wollen.
Der Vorsitzende der IG Metall Jürgen Peters schrieb in der Gewerkschaftszeitung metall: „Die Regierung ist am Zug. Noch hat es die Bundesregierung in der Hand, die Weichen neu und in Richtung einer besseren Politik zu stellen– nicht gegen, sondern gemeinsam mit den Menschen, die für eine soziale Politik auf die Straße gegangen sind.“
Doch Peters’ Warten auf eine andere Politik der Regierung ist vergebens, denn Schröder wird von Bossen und Konservativen unter Druck gesetzt, die Kürzungen noch zu verschärfen. In sechs Jahren Regierung hat Schröder diesem Druck fast immer nachgegeben.
Schon vor Jahren genügte ein Anruf des damaligen VW-Bosses und Schröder-Freundes Piech, um eine Verordnung zur Entsorgung von Altautos zu kippen. Nach der Wiederwahl 2002 forderten Wirtschaftsverbände und rechte Medien von Schröder einen Großangriff auf den Sozialstaat. Der Kanzler folgte: Die Regierung beschloss die „Agenda 2010“.
Auch jetzt klagen Unternehmerverbände wieder über „Stillstand“ und „Reformstau“. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Merz fordert weitere massive Absenkungen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Rechten wollen eine zweite „Agenda 2010“ – und danach eine dritte und vierte. Je länger wir warten, desto leichter werden sie damit durchkommen.
Deshalb müssen die Gewerkschaften jetzt eine Kampagne gegen die Regierung starten. Wir können die Begeisterung bei den Protesten am 3. April dafür nutzen. Gründe dafür gibt es genug.
Beispielsweise behauptet Schröder, die einzigen Möglichkeiten, das Haushaltsloch zu stopfen, wären weitere Kürzungen oder höhere Schulden. Doch über die einzig sinnvolle Alternative redet die Regierung nicht: Die Reichen besteuern, die seit 20 Jahren Steuersenkungen geschenkt bekommen.
Mit einer Kampagne beispielsweise für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer würden die Gewerkschaften massenhaft Unterstützung bekommen. In einer neuen Umfrage sagen 55 Prozent, die steigenden Kosten für die Sozialsysteme sollen durch höhere Steuern für Reiche gedeckt werden. Nur 12 Prozent sind für weitere Kürzungen, nur 3 Prozent für mehr Schulden.
In Stuttgart haben die Kollegen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine große Kampagne gegen die Regierung gefordert – und unter anderem eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer (siehe Seite 5).
Wenn diese Kampagne in und außerhalb der Gewerkschaften aufgebaut wird, wenn Kräfte wie Attac die Initiative aus Stuttgart aufnehmen, dann gibt es eine Perspektive für alle, die gegen die Regierung auf die Straße gegangen sind.
Schon einmal ist es gelungen, durch eine Initiative von unten die gewerkschaftliche Führung zum Handeln zu zwingen: Schon am 1. November letzten Jahres haben in Berlin 100.000 gegen Sozialabbau protestiert. Diese Demonstration war gemeinsam von linken Initiativen und Netzwerken in den Betrieben mobilisiert worden – ohne Unterstützung des DGB. Erst nach dem großen Erfolg beteiligte sich auch die Gewerkschaftsführung an der Organisation von Protesten. So können wir auch die nächsten Demonstrationen durchsetzen.
Schon jetzt zeigt der Druck der Gewerkschafter Wirkung an der Spitze. Keine zehn Tage nach dem 1. Mai kündigte DGB-Chef Sommer an, die Proteste gegen die rot-grüne Politik deutlich auszuweiten und „den Konflikt in die Betriebe zu tragen“. Er kenne niemanden in den Gewerkschaften, der derzeit bereit sei die SPD zu unterstützen.
Sommer hat recht. Hunderttausende sind bereit, gegen die Schröder-Regierung zu kämpfen – das hat der 3. April gezeigt. Dieser Kampf braucht eine politische Perspektive, um erfolgreich zu sein. Das einzige Argument, das Schröder noch hat, um Menschen vom Widerstand abzuhalten, heißt: Zu uns gibt es keine Alternative, außer den Konservativen. Darauf gibt es nur eine Antwort: Eine linke Alternative zur SPD aufzubauen. Eine neue Linkspartei kann denen, die zögern, gegen die Regierung aktiv zu werden, Hoffnung und Mut geben. Der Aufbau einer neuen Linkspartei ist eine Stärkung der Bewegung gegen Sozialabbau.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.