marxismus konkret: Araber und Juden können in Frieden leben

Friedensplan: Ein großzügiges Angebot?

Edmund Stoiber nennt Jassir Arafat den "entscheidend Verantwortlichen" für die Eskalation in Nahost. Arafat habe vor zwei Jahren ein "großzügiges Friedensangebot" des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Barak abgelehnt. Die jüdische Menschenrechtlerin Felicia Langer urteilte in einem Interview mit dem "Friedenspolitischen Ratschlag" über das „Friedensangebot“:


Dass Barak kompromissbereit war und Zugeständnisse gemacht hat, ist reine Legende. Baraks Vorschläge konnten die Palästinenser keineswegs zufrieden stellen.



  • Erstens: Barak machte keine Zugeständnisse in der Siedlungsfrage: 80 Prozent der Siedlungen sollten bleiben, sie sollten von Israel endgültig annektiert werden, das Jordantal wollte man pachten.

  • Zweitens: Die strategischen Straßen, welche die Siedlungen untereinander verbinden, sollten unter israelischer Kontrolle bleiben.

    Barak sprach von 90 bis 95 Prozent des Landes, das den Palästinensern überlassen werden sollte, wenn man aber all das zusammenzählt, die Straßen, die Checkpoints, die Grenzstreifen und so weiter, dann müssen sich die Palästinenser real mit höchstens 80 Prozent ihres jetzigen Territoriums begnügen.

  • Drittens kommt noch die totale Zerstückelung des Landes hinzu. Palästina wäre unter diesen Bedingungen kein lebensfähiger Staat. Das Gebiet um das es jetzt geht, beträgt nur 22 Prozent des Territoriums, das früher Palästina ausmachte. Das heißt, die Palästinenser haben bereits eine riesige Vorleistung erbracht. Sie haben zu diesen 22 Prozent ja gesagt.

  • Viertens wurde bei den Verhandlungen die Flüchtlingsfrage völlig ausgeklammert, und fünftens wurde den Palästinensern die Souveränität Ost-Jerusalem verweigert. Eigene Verwaltung ja, aber die Oberhoheit sollte bei Israel bleiben. Man sprach von einer „geteilten Souveränität“. Aber wie immer wenn man mit Israel etwas teilt, ist das Ergebnis, dass Israel das Sagen hat – so sind eben die Kräfteverhältnisse.


All diese Vorschläge Baraks waren für die Palästinenser unannehmbar. Der Fehler von Arafat war, dass er die angeblichen Zugeständnisse von Barak nicht deutlich und offen genug kritisiert hat.


Es gibt keinen ewigen Hass zwischen Arabern und Juden. Die Geschichte des blutigen Konflikts ist viel kleiner als die gemeinsame Kultur.


Es gibt einen einfachen Grund, warum Araber und Juden in den letzten 100 Jahren nicht in Frieden zusammenleben konnten: Die "Eiserne Mauer". Jabotinsky, ein rechter Zionist, der von Mussolini begeistert war, prägte diesen Begriff in den 20er Jahren.


Er ging davon aus, dass die europäischen Juden, die sich in Palästina ansiedelten, eine überwältigende militärische Überlegenheit aufbauen müssten, um den Widerstand der arabischen Bevölkerungsmehrheit dort zu brechen. Das nannte er die Eiserne Mauer.


Professor Avi Shlaim zeigt in seinem gleichnamigen Buch, dass fast alle Staatsführer Israels sich dieser Philosophie verschrieben. Auch jene, die sich selbst als Sozialisten bezeichneten wie Israels erster Premierminister Ben Gurion oder der sogenannte Friedensstifter Rabin.


Die Eiserne Mauer verfestigt die auf militärischer Macht beruhende Überlegenheit der Juden. Jabotinsky behauptete auch, dass die Juden den Arabern kulturell überlegen seien, weil die europäische Kultur über der arabischen stehe.


Frieden lässt sich nur erreichen, wenn die Eiserne Mauer eingerissen wird. Wie wahr dies ist, wird deutlich, wenn man sich Hebron im der Westjordanland anschaut, eine der ältesten arabischen und jüdischen Siedlungen in Palästina.


Die Stadt ist der Überlieferung nach die Grabstätte von Abraham und hat daher große Bedeutung für Juden, Christen und Moslems.


Heute gleicht die Stadt einer Festung, in der Tausende israelischer Soldaten eine Handvoll extremer jüdischer Religionsfanatiker beschützen. Hebrons arabische Bewohner stehen unter einem fast permanenten abendlichen Ausgehverbot. Hebron steht schon lange unter Besatzung und wurde seinerzeit aus den Osloer Verhandlungen ausgeklammert.


Hebron war immer schon wichtig für den Zionismus, aber es gibt große Unterschiede zwischen den europäischen Siedlern und den alteingesessenen jüdischen Einwohnern. Der erfahrene israelische Journalist Tom Segev hat die 800-jährige Geschichte guter Nachbarschaft zwischen Juden und Arabern in Hebron beschrieben.


Während der anti-zionistischen Aufstände 1929 retteten arabische Einwohner viele ihrer jüdischen Nachbarn vor den Pogromen. Segev schrieb: "In der jüdischen Geschichte gibt es wenige Beispiele von Massenrettungen solcher Dimensionen."


Der europäische Antisemitismus, der seine Wurzeln in der mittelalterlichen Beschreibung der Juden durch das Christentum hat, hat nie ein vergleichbares Pendant in der arabischen Welt gehabt.


Es wäre natürlich naiv, so zu tun, als ob die Beziehungen zwischen Arabern und Juden in den letzten 2.000 Jahren immer perfekt gewesen wären. Das waren sie nicht. Aber es gab nicht die lange Geschichte systematischer Verfolgung, die wir im christlichen Europa finden und die den Anstoß für den Zionismus im späten 19. Jahrhundert gab.


In ihrer Geschichte Jerusalems beschreibt Karen Armstrong, dass die arabischen Herrscher in ihrer fast 1.300 Jahre ununterbrochenen Herrschaft sowohl Christen als auch Juden mit großer Toleranz behandelten: "Jüdische Besucher aus Europa waren über die Freiheit erstaunt, welche die Juden in Palästina genossen. David dei Rossi, ein italienischer Jude, bemerkte, dass Juden sogar Positionen in der Regierung innehatten. Das wäre in Europa völlig unvorstellbar gewesen."


Im 12. Jahrhundert lud der islamische Führer Saladin die Juden zurück in die Stadt ein, aus der sie von den Kreuzzüglern ausgesperrt worden waren. Er wurde dafür in der jüdischen Welt als zweiter Cyrus gepriesen. Cyrus war der persische König aus dem Alten Testament, der den Juden erlaubt hatte, einen zweiten Tempel zu bauen.


Letzten Monat verbrachte ich in Ägypten einen Tag mit Youssef Darwish. Darwish ist ein 91 Jahre alter jüdischer Kommunist, der in den Arbeiterkämpfen nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv war.


Er erzählte über die reiche Geschichte jüdischen Lebens in Ägypten während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir sprachen auch über die hervorragende Rolle, die Juden in der kommunistischen Bewegung in den arabischen Ländern spielten.


Aber etwas anderes fand ich viel bemerkenswerter: Es gibt eine lange historische Verbundenheit des Judentums mit Ägypten, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu neuer Blüte kam und sich in vielen, heute vergessenen kulturellen Formen äußerte – erst in der Malerei und in der Literatur, später im Film. Eine der ältesten mittelalterlichen Synagogen steht noch heute in Ägypten.


Wie Youssef es sagte, wurde das Banner der Unabhängigkeit gehisst, und die Bewegung verfolgte mit Entschlossenheit das Ziel der Gleichheit zwischen den sozialen Gruppen. Später zog der Zionismus viele Juden aus Ägypten weg und erzählte ihnen, sie kämen jetzt "nach Hause".


Der Zionismus erzählte den Juden in der ganzen arabischen Welt denselben Unsinn und trug dazu bei, dass sie ihre lange Geschichte vergaßen und stattdessen die Eiserne Mauer gegen ihre palästinensisch-arabischen Nachbarn bauten.


Sich diese Geschichte bald wieder bewusst zu machen wird wichtig werden, um zu zeigen, wie Araber und Juden in Frieden leben können.

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