"Die wollten gar keinen gerechten Frieden"

Linksruck sprach mit Ludwig Watzal, Redakteur von "Aus Politik und Zeitgeschichte", Lehrbeauftragter an der Uni Bonn und Autor des Buches "Feinde des Friedens" über die aktuelle Eskalation im Nahen Osten.

Linksruck: Kürzlich wurden drei israelische Soldaten in den besetzten Gebieten getötet. Gleichzeitig greift die israelische Armee immer wieder palästinensisch kontrolliertes Gebiet an. Der Friedensvertrag von Oslo 1995 galt als Ende der Gewalt. War Frieden damals möglich?

Watzal: Nein! Der Friedensprozess konnte keinen dauerhaften Frieden bringen, weil er auf die dauerhafte Unterwerfung der Palästinenser abzielte. Die Zerstückelung ihres Landes ging weiter – durch den Bau israelischer Siedlungen und Straßen.


Israel wollte keinen gerechten Frieden. Die israelische politische Klasse hat die palästinensische Führung über ihre wahren Absichten getäuscht.


Die Ursache der Gewalt ist nicht der Widerstand der Palästinenser, sondern die israelische Besatzung. Das wird bei uns oft vergessen.



LR: Sollten nicht die Palästinenser bei den letzten Friedensverhandlungen 95 Prozent der 1967 von Israel besetzten Gebiete erhalten?


Watzal: Die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen wird oft Palästinenserführer Arafat zugeschoben. Tatsächlich sind aber die damaligen Regierungschefs Israels und der USA Ehud Barak und Bill Clinton verantwortlich. Sie sind die Feinde des Friedens.


Israel war nicht bereit, bei den Hauptfragen Zugeständnisse für die Palästinenser zu machen: Die Kontrolle ihrer Außengrenzen, die Rückkehr der Flüchtlinge, der lebenswichtige Zugang zu Trinkwasser, der Abbau israelischer Siedlungen in Palästina und die Frage, wessen Hauptstadt Jerusalem sein soll.


Arafat hatte bis dahin schon sehr einseitige Verträge unterzeichnet und israelische Diktate akzeptiert.



LR: Worum ging es Israel dann bei dem Friedensprozess?


Watzal: Israel wollte sein Besatzungsregime von die Unterdrückten Palästinensern rechtfertigen lassen und damit den über 100jährigen Konflikt beenden. Das war auch die Absicht der USA.


Israel hat während des Friedensprozesses die Zahl der Siedler verdoppelt. In dieser Frage gibt es keinen Unterschied zwischen der Rabin-, Netanyahu-, Barak- oder Sharon-Regierung. Alle israelischen Regierungen haben die Palästinensergebiete kolonisiert.


Der Besuch Sharons auf dem Tempelberg am 28. September 2000 war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.



LR: Das sah damals nach Streit zwischen islamischen Fundamentalisten und orthodoxen Juden aus. Hat dieser Konflikt eine religiöse Wurzel?


Watzal: Das ist ein Klischee. Im Kern geht es nicht um Religion, sondern um Land. Der Konflikt ist leider religiös aufgeheizt worden.


Die Westbank wurde von jüdischen Fundamentalisten als Judäa und Samaria bezeichnet, auf der anderen Seite wird von Hamas das ganze Land als islamisches Land bezeichnet – es soll nicht "Ungläubigen" überlassen werden.



LR: Der US-Vizepräsident Cheney hat dem israelischen Premierminister Sharon zugestanden, Arafat aufhängen zu dürfen. Wieso unterstützen die USA Israel, obwohl das die "Allianz gegen den Terror" in der arabischen Welt gefährdet?


Watzal: Für die USA ist Israel von größter Bedeutung. Nach dem Sechs-Tage-Krieg wurde man sich der Bedeutung Israels bewusst. Israel wurde seither aufgerüstet, weil es als Bollwerk gegen den arabischen Nationalismus gebraucht wird.


Israel spielt in der US-Strategie die Rolle des "Feuerwehrmannes". Bei einer Revolution der arabischen Bevölkerung gegen die konservativen Regimes in Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien ist Israel jederzeit in der Lage, die herrschende Klasse dort zu stützen.



LR: Was hat sich seit Bushs Rede über die "Achse des Bösen" zwischen Irak, Iran und Nordkorea geändert?


Watzal: Ich hoffe, dass es zu keinem Krieg kommt. Es sieht aber nach einem neuen Krieg aus. Spätestens dann muss die "Anti-Terror-Allianz" sowohl von den arabischen als auch europäischen Staaten aufgekündigt werden. Die Solidarität mit den USA muss dann zu Ende sein, auch für Deutschland.



LR: Was wäre nötig, damit es Frieden im Nahen Osten gibt?


Watzal: Auf israelischer Seite muss man die zionistischen Mythen, die die eigene Identität begründen, revidieren. Damit haben die sogenannten "neuen Historiker" in Israel bereits begonnen.


Zu diesen Mythen gehören der "Mythos der Nichtvertreibung" der Palästinenser, der Mythos von den "Verteidigungskriegen" Israels, der Mythos von der "Reinheit der Waffen" sowie der Mythos vom "Recht auf Rückkehr nach Israel", das jedem Juden, egal wo er lebt, quasi inne wohnt.


Demgegenüber wird aber das Rückkehrrecht der Palästinenser in ihre Heimat abgelehnt, das auf völkerrechtlichen Ansprüchen beruht.


Aber auch die Palästinenser sehen sich als Opfer. Wie die Israelis leiten auch die Palästinenser ihre Identität aus einer Katastrophe ab.

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