Die russische Katastrophe

Kaum fünf Monate ist es her, daß der Zusammenbruch des Rubelsdas soziale Desaster eskalieren ließ. Infolge der Staats- und Finanzkrise
wurden Millionen russischer Arbeiterfamilien weit unter die Grenze des
Existenzminimums geschleudert. Jeder Dritte hat weniger als 73 Rubel, 57
Mark im Monat. Die Rente ist durchschnittlich nur noch 40 Mark wert – soviel
wie vier Kilo Dauerwurst.

Seit 1991 brach die industrielle Produktion um 40-50% ein. Selbst das
wenige, was die Arbeiter noch kaufen können, wird importiert.

Markt

Bezahlt wurden die Importe durch den Export von Erdöl und -gas.
Die ehemalige Supermacht Rußland fiel in wenigen Jahren auf das Niveau
eines rohstoffexportierenden Entwicklungslandes zurück.

Als dann die Preise für Öl und Gas um die Hälfte fielen,
geriet Rußland in jene Schuldenspirale, die im August letzten Jahres
zum Zusammenbruch der russischen Währung führte. Innerhalb weniger
Tage verlor der Rubel zwei Drittel seines Wertes.

Ganz offensichtlich sind weder die russische Regierung, noch der IWF
in der Lage, die Krise aufzuhalten. Ihre Politik der schnellen Markteinführung
hat Rußland in die Katastrophe manövriert.

Während sich die Geburtenrate zwischen 1989 und 96 um ein volles
Drittel reduzierte, schnellte die Zahl der Todesfälle um 40% nach
oben. Kein Wunder: Die Reallöhne halbierten sich im gleichen Zeitraum!

Weimar

Rußland steht an den Toren Weimars. Einem ökonomischen Absturz
ins Bodenlose steht eine beispiellose Vertrauenskrise der bestehenden Institutionen
gegenüber.

Als Institutionen, in die sie „keinerlei Vertrauen“ hätten, nennen
60% der Russen die Polizei, 70% die Staatsduma, 72% den Präsidenten,
70% private Unternehmen und 81% politische Parteien.

Das ganze Dilemma der Situation wird klar, wenn 70% auch den Gewerkschaften
keinerlei Vertrauen bescheinigen. Diese werden immer noch von der völlig
korrupten KP dominiert

Dabei gab es immer wieder größere Streiks und sogar Streikwellen.
Meistens ging es dabei um die Auszahlung ausstehender Löhne.

Aber die politische Perspektivlosigkeit blockierte bisher die Entstehung
starker, unabhängiger Arbeiterorganisationen.

Während es aufgrund der historischen Entwicklung keinerlei sozialdemokratische
oder gewerkschaftliche Tradition gibt, besudelt die vollständig reaktionäre,
antisemitisch verseuchte KP weiterhin die Symbole des revolutionären
Sozialismus.

Somit steht mitten in einem ökonomischen und politischen Zusammenbruch
der weitgehenden Nichtexistenz einer organisierten Linken ein immenser
Druck von rechts gegenüber. Die alte KP vermengt sich immer mehr mit
einer neu entstandenen faschistischen Rechten zu einem großen reaktionären
Sumpf.

Rußland zahlt den Preis für 70 Jahre Stalinismus und ein
Jahrzehnt freier Marktwirtschaft.

Ausweg?

Die Lage in Rußland ist finster. Einen Hoffnungsschimmer bieten
vor allem die sozialen Kämpfe, wie der landesweite Lehrerstreik Ende
Januar.

Eine Eskalation des sozialen Widerstands könnte die Entstehung
echter Klassenorganisationen und einer politischen Linken stimulieren.
Eine zweite Quelle der Hoffnung stellt die internationale Lage dar.
Spektakuläre Kämpfe gegen ein und dieselbe Weltwirtschaftskrise
in anderen Teilen der Welt und der Aufstieg einer neuen Linken könnten
auch verzweifelte Menschen in Rußland inspirieren und ein Gegengewicht
zur extremen Rechten entstehen lassen.

Rosa Luxemburgs historische Alternative „Sozialismus oder Barbarei“
wird in Rußland mit jedem Tag konkreter.

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