Zerlegt die Bildungslügen

Landesweiter Studentenprotest in Sachsen, Aktionstag am politischen Institut OSI in Berlin – an den Universitäten regt sich Widerstand. Aber kaum sind Studenten auf der Straße, treten ihnen die Politiker mit den ewig gleichen Argumenten entgegen. Der sächsische Bildungsminister verkündete vor 10.000 Demonstranten, "dass auch die Studenten kein Interesse an einem Schuldenberg haben können." Hinter dem Bildungsabbau steckt aber nicht Geldmangel, sondern die Prioritätensetzung der Politik.

25. Januar: Aktionstag am Osi, jeder kann mitmachen

Der Widerstand gegen Bildungskürzungen am politischen Institut (OSI) in Berlin geht weiter. Am 25. Januar findet ein weiterer Aktionstag statt. Aus dem Protestaufruf der Studenten: "Das Otto-Suhr-Institut ist das größte deutsche Institut für Politikwissenschaft, das mit seinem interdisziplinären Ansatz in der Bundesrepublik einzigartig ist. Nach den derzeitigen Kürzungsplänen des Berliner Senats würde das Institut jedoch in seiner Grundstruktur zerstört. Die geplante Reduzierung der Professuren und die drastische Mittelkürzung würde das Otto-Suhr-Institut zu einem Kleininstitut degradieren, in dem keine kritische Wissenschaft mehr stattfindet."


Jeder kann diese Proteste unterstützen.



  • Setzt Solidaritätsadressen auf und schickt sie bis zum 25.1. an die Faxnummer 030 / 62 67 15

  • Unterstützt den Aufruf zum Erhalt des OSI (zu finden unter www.1zu0.de)

  • Sammelt Solidaritätsunterschriften für das OSI

"Die Berliner Universitäten müssen ihren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leisten", heißt es in einem Papier des Berliner Kultursenators Stölzl. Das Sparargument ist jedoch falsch.


Eine Studie der GEW Berlin zeigt, dass der Bildungshaushalt überdurchschnittlich stark belastet wurde. Während in den Jahren von 1995 bis 1999 der Berliner Gesamthaushalt um 0,07 Prozent gekürzt wurde, wurden die Bildungsausgaben um 9 Prozent gesenkt.


Die Bildung musste aber nicht für soziale Zwecke bluten. Gleichzeitig wurde die Zahl der geplanten Wohnungen im sozialen Wohnungsbau um die Hälfte gesenkt und Kitaplätze abgebaut.


Die Löcher, die aus Mitteln des Bildungshaushalts gestopft wurden, haben andere Ursachen. In den 90ern senkte die Stadt Berlin die Gewerbesteuern gleich zweimal. Die Einnahmen liegen heute rund 300 Millionen Mark niedriger als 1993.


Verschärft wurde die Situation durch Großprojekte wie den umstrittenen Tiergartentunnel und die gescheiterte Olympiabewerbung Berlins. Trotz Bundeshilfen haben sie einen Schuldenberg hinterlassen.


Trotzdem gibt sich der Berliner Senat großzügig gegenüber Großkonzernen. Die wertvollen Innenstadtgrundstücke am Potsdamer Platz wurden den Konzernen Sony und Daimler-Benz für den Preis von einer Mark angeboten – noch nicht einmal pro Quadratmeter, sondern als Gesamtgrundstück. Erst nach allgemeiner Empörung wurde der Preis hochgesetzt, blieb aber dennoch symbolisch.


Umbau


Ob in Berlin, Sachsen oder in jedem anderen Bundesland: Das Sparargument ist vorgeschoben, um den Hebel für ein viel größeres Projekt zu haben.

Studiengebühren

Die geplante Einführung von Studiengebühren rechtfertigt Stölzl mit der Misere an den Unis. Das Geld würde in die Hochschulen zurückfließen.


Wie weit der Berliner Senat tatsächlich geht, um Bildung als Verfügungsmasse zu benutzen, zeigt ein versehentlich bekanntgewordener Brief des Finanzstaatssekretärs Robert Heller. Adressat ist der Kultursenator Stölzl. "Da auch die Hochschulen weiterhin einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten müssen, können wir einem vollständigen Verbleib der Einnahmen bei den Hochschulen, ohne Anrechnung auf die Landeszuschüsse nicht zustimmen."


Mit anderen Worten: Die Studiengebühren dienen zum Stopfen der Haushaltslöcher, nicht dem Ausbau der Unis.

Dieses Projekt ist der Umbau der Hochschulen in Produktionsstätten für "Humankapital", verwertbare Arbeitskräfte für die Wirtschaft. Im Herbst 1996 veröffentlichten die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft einen Forderungskatalog zur Hochschulreform. Die Industrie wünscht sich unter anderem mehr "Kundenorientierung". Der Kunde ist in diesem Fall der Abnehmer des Hochschulendproduktes – die Wirtschaft selber.


Die Bosse rufen, und die Regierungen folgen. Anlass der Demonstration in Dresden war neben Mittelkürzungen der Plan der Landesregierung "Sachsen wieder zum Land der Ingenieure zu machen", wie es der sächsische Bildungsminister formulierte. In Dresden sollen die geisteswissenschaftlichen Studiengänge weitestgehend gestrichen werden. Die Studenten müssten künftig nach Leipzig pendeln.


Appelle


Weil die Einsparungen mit einem grundlegendem Umbau einhergehen, nützen Appelle an wirtschaftliche Vernunft wenig: "Keine Bildungskürzungen: Ihr sägt an dem Ast auf dem ihr sitzt!" Die Herren in den Konzernetagen sind am Fortbestand von Fachbereichen wie Judaistik, Romanistik oder an der Ausbildung kritischer Politikwissenschaftler nicht interessiert.


Deswegen werden diese Fachbereiche auch als erstes unter Beschuss genommen.


Aber auch die Studenten der technischen und anderer Studiengänge werden vom neoliberalen Umbau der Hochschulen nicht profitieren. Die Unternehmen haben nur ein Interesse daran, dass eine Minderheit umfassend ausgebildet wird.


Für die Mehrheit strebt sie kurze Studiengänge an, die eng an den spezifischen Berufsanforderungen ausgerichtet sind.


Überall werden sogenannte Bachelorabschlüsse eingeführt. Diese Schmalspurstudiengänge liefern die Studenten den Schwankungen des Arbeitsmarktes aus. Verlieren sie ihren Arbeitsplatz, fällt es schwer umzusteigen.


Bildung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, und der angestrebte neoliberale Umbau der Hochschulen stehen sich unvereinbar gegenüber.

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