marxismus konkret: Sind die Medien allmächtig?

Keine Frage: Die Massenmedien waren Teil der "Heimatfront"in dem Krieg gegen Jugoslawien. Unkritisch haben sie jedes Wort
des NATO-Sprechers Shea verlautbart, als ob es sich dabei um "objektive"
Meldungen gehandelt hätte. Viele Kriegsgegner sehen im Einfluß
der Massenmedien die Ursache, warum Millionen diesen Krieg akzeptiert
haben.Massenmeinung und Massenmedien waren dabei in diesem
Krieg keineswegs deckungsgleich. Die Zustimmung zum NATO-Krieg
gegen Jugoslawien war niemals besonders euphorisch. Die massive
Pro-Kriegs-Kampagne der Medien mußte deshalb auf die pazifistischen
Gefühle in der Masse Rücksicht nehmen. Hätten sie
regelmäßig die zivilen Opfer der NATO-Bombardements
gezeigt, wäre die abwartende Haltung vieler Bundesbürger
in eine entschiedene Ablehnung des Krieges umgeschlagen.

Brüche

Dies verdeutlicht bereits, daß die Medien nur
in einem begrenzten Rahmen Stimmungen manipulieren können.
Dabei war der Kosovo-Krieg ein Konflikt, in dem die Masse gar
nicht persönlich verwickelt war. Je dichter ein Konflikt,
je mehr er den Leser oder Zuhörer berührt, desto deutlicher
zeigen sich die Schranken der Medienmacht.

Das beste Beispiel bietet dafür das schmierigste
und reaktionärste Massenblatt, die BILD-Zeitung. Diese hat
über sechzehn Jahre die Kohl-Politik gegenüber ihrer
Leserschaft gerechtfertigt. Da die BILD ihre Zeitung vor allem
an Arbeiter verkauft, kam sie jedoch nicht umhin, mitunter ganz
andere Stimmungen zu reflektieren, um nicht an verkaufter Auflage
einzubüßen. Als Kohl etwa wenige Monate nach der ersten
gesamtdeutschen Wahl das Versprechen brach, die Wiedervereinigung
werde keine Steuern kosten, bildete die BILD Kohl in der Horizontale
ab und titelte in großen Lettern: "Der Umfaller."
Schließlich konnte die BILD nicht verhindern, daß
im vergangenen September auch ein großer Teil ihrer eigenen
Leser Kohl abgewählt hat.

Viele, die die Medien für übermächtig
halten, sehen Brüche im Bewußtsein nicht, sondern stellen
sich den durchschnittlichen Arbeiter als eine Art lenkbare Marionette
vor. Doch das Gehirn eines Menschen ist keineswegs wie ein leerer
Behälter, in den jede Information einfach ungefiltert eingefüllt
werden kann.

Ideen entstehen nicht unabhängig und isoliert
von den Umständen, in denen die Menschen leben. Tatsächlich
können ganz gewöhnliche Menschen aufgrund ihrer persönlichen
Erfahrung sehr wohl mit den Meinungen der Herrschenden brechen.
Ein Arbeiter im Streik lernt ganz praktisch, auf welcher Seite
die Medien stehen. Als 1969 ein Hoesch-Arbeiter während eines
wilden Streiks demonstrativ unter dem Beifall seiner Kollegen
die BILD-Zeitung verbrannte, ging dieses Foto zur Begeisterung
einer damals neuen Generation von Revolutionären durch die
Republik.

Die Vorstellung von der Manipulierbarkeit der Massen,
wie sie Orwell in seinem Roman "1984" beschrieb, kann
nicht erklären, warum es überhaupt jemals große
Rebellionen, Streiks oder gar Revolutionen gegeben hat. Im Ostblock
bestand über Jahrzehnte eine „totale“ Meinungskontrolle -dennoch
zerbrach er wie andere Imperien zuvor.

Unabhängig vom Willen der Meinungsmacher schwingt
die Massenmeinung ständig hin und her. Nahezu jeder große
Krieg dieses Jahrhunderts erzeugte einen Meinungsumschwung, sobald
er sich in die Länge zog und seine Opfer immer sinnloser
erschienen. Antikriegsbewegungen konnten in diesem Moment an Kraft
gewinnen und mitunter die ganzen Grundlagen der Gesellschaft in
Frage stellen.

Als die USA in ihrem Krieg in Vietnam aussichtslos
steckenblieben, entwickelte sich eine Antikriegsbewegung, die
weit über die ursprünglichen Forderungen nach Frieden
hinausgingen. In diesem Klima durchbrachen einzelne Reporter die
stromlinienförmige Berichterstattung aus Vietnam und gaben
durch ihre Darstellung der Kriegsrealität der Bewegung weitere
Impulse.

Perverserweise ist es gerade die Konkurrenzlogik
des Kapitalismus, die für diese weitere Verbreitung sorgt.
Wenn es einmal soweit ist, möchte kein Magazin mehr die Schreckensbilder
zurückhalten.

Dieser Erfahrung waren sich die Kriegstreiber in
der Bundesregierung wohl bewußt – und scheuten deshalb einen
unkalkulierbaren Bodenkrieg. Sie haben nicht geglaubt, daß
ihr Gebäude aus Lügen und Halbwahrheiten ewig stehen
bleiben könnte.

Kein Automatismus

Die Einsicht in die Veränderbarkeit des Massenbewußtseins
bedeutet jedoch nicht, daß die Arbeiterklasse automatisch
ab einem bestimmten Punkt mit der Ideologie der herrschenden Klasse
bricht. Der Kampf um Ideen muß organisiert werden. Gerade
deshalb ist Linksruck als eine sozialistische Zeitung so
wichtig. Sie gibt der unzufriedenen Minderheit ein Instrument
in die Hand, um diesen Kampf aufzunehmen.

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