X Gründe, warum der Castor-Transport keinen Atomausstieg bedeutet

Nach vier Jahren Pause rollte Ende März wieder ein neuer Castor-Transport durch Deutschland. Diesmal sollte alles anders sein. Die Castoren sind nicht gelb, sondern rot-grün, und die Polizei setzt freundliche "Konfliktmanager" ein. Schließlich gibt es den Ausstieg, sagt die Regierung, und forderte auf, nicht gegen die Castor-Transporte zu protestieren.

Sind Atomkraftgegner Gewalttäter?

"Wenn ihr unser Leben missachtet, missachten wir eure Gesetze." Unter diesem Motto hat sich zum Beispiel die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, eine der größten deutschen Anti-Atom-Gruppen, dem Castor und auch den 20.000 Polizisten entgegengestellt. Obwohl die Nutzung der Atomkraft den Tod von zehntausenden Menschen in Kauf nimmt, wurden die Castor-Transporte von der Polizei mit brutaler Gewalt durchgesetzt.


Das einzige Recht, das dabei durchgesetzt wurde, ist das "Recht" der Atomkonzerne auf den Weiterbetrieb ihrer milliardenschweren Profitquellen, der Atomkraftwerke. Doch selbst wenn man die Maßstäbe unseres "Rechtsstaates" anlegt, handelten ihre Bediensteten schon im Vorfeld der Proteste illegal: Der Verfassungsschutz bespitzelte den Vorstand der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Wie kürzlich bekannt wurde, protokollierten die "Staatsschützer" 4.700 Telefongespräche und Faxe, Autos wurden mit Peilsendern und Abhörwanzen versehen, Mobile Einsatzkommandos verfolgten die engagierten Bürgerinitiativler auf Schritt und Tritt, ohne jede rechtliche Grundlage, also illegal.


Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden versuchten, mit Hausdurchsuchungen, Demoverboten und Diffamierungen in Gorleben eine "Bürgerkriegskulisse" zu inszenieren. Nicht zuletzt deshalb, um gewalttätige Einsätze der Polizei gegen Demonstranten zu rechtfertigen. Ohne Gewalt wäre der Castor niemals ins Atommülllager Gorleben gelangt. Dabei wurden auch Menschen verprügelt, die durch Sitzblockaden keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit im Range von "Falschparken" begangen haben. Atomkraftgegner gelten als "Staatsfeinde".


Wenn allerdings Polizeiführer und Politiker sich für das "besonnene Verhalten" der Beamten auch noch bedanken, wenn Gerichte nicht dazu fähig sind, Gewalttäter in den Reihen der Polizei zu identifizieren und zu verurteilen, wenn die Regierung die Interessen privater Atomfirmen höher einschätzt als Grundrechte ihrer Bürger, dann sitzen die eigentlichen Staatsfeinde ganz woanders: Direkt an den Hebeln der Macht.


Wer bei den Blockaden der Castor-Transporte tatsächlich Gewalt anwendet, zeigen die Zahlen des niedersächsischen Innenministeriums: Bei drei Castor-Transporten zwischen 1995 und 1997 wurden 1.404 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Protesten eingeleitet. Nur in 109 Fällen kam es zu einer Anklage, und nur in 19 Fällen zu Verurteilungen. Allerdings waren bei den beiden schwerwiegendsten Urteilen, Körperverletzung und Nötigung, gar keine Atomkraftgegner betroffen. Die Verbrechen wurden von Polizisten begangen.


 


Es gibt keinen Ausstieg! Statt "Abpfiff" ist gerade mal Halbzeit. Je nach Baujahr sollen die Atomkraftwerke 30 bis 40 Jahre am Netz bleiben. Sie dürfen so lange Atommüll produzieren, bis auch der letzte Schrottreaktor seinen Profit erwirtschaftet hat. Unter der Hand ist aus dem Ausstieg eine regierungsamtliche Bestandsgarantie für die Atomkraftwerke geworden. Mehr war nicht drin, beteuerten damals die Grünen.


Weil die Stromerzeuger die garantierte Gesamtstrommenge zwischen den Atomkraftwerken beliebig hin- und herschieben können, ergibt sich eine groteske Situation: Je mehr Strom wir sparen, desto länger bleiben die Atomkraftwerke am Netz! Obwohl die Menge des bislang produzierten Atommülls schon gigantisch groß ist, soll mit der Option auf den geregelten Weiterbetrieb noch einmal die gleiche Menge dazukommen.



Wiederaufarbeitung und kein Ende.



Ausstieg sollte vor allem heißen: Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft. Geht es nach dem "Konsens", dürfen abgebrannte Brennelemente bis 2005 nach La Hague gebracht werden. Schlimm genug, aber noch zu toppen. Der Blick ins Kleingedruckte zeigt, dass alle Brennelemente, die nach Frankreich gebracht werden, dort auch wieder aufgearbeitet werden müssen. Bei vollständiger Ausnutzung der Transportvereinbarung würde das bedeuten: Wiederaufarbeitung bis ins Jahr 2018!



Dieser Transport ist der Türöffner. Rücknahme von deutschem Müll, na klar. Jedoch ist genau an diesen Transport die französische Zusage geknüpft, die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente fortzusetzen. Dieser Transport beweist: Castor-Behälter von La Hague bedeuten Castor-Behälter nach La Hague, bedeuten eine Fortsetzung der Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien, bedeuten eine weitere Verseuchung von Ärmelkanal und Irischer See.



Auch in Frankreich wächst der Widerstand gegen die Wiederaufarbeitung. Die dortigen AtomkraftgegnerInnen wollen den deutschen Atommüll lieber heute als morgen loswerden, aber sie wollen vor allem, dass die Plutoniumschleuder in La Hague endlich dichtgemacht wird. Genau deshalb demonstrierten und blockierten diesmal deutsche und französische AtomkraftgegnerInnen gemeinsam gegen den Castor.



Gorleben soll Endlager werden. Mit jedem Castor, der das Wendland erreicht, wird Gorleben als Endlagerstandort festgeschrieben. Daran ändert auch das Moratorium nichts, das die Regierung immer wieder als Erfolg verkaufen möchte. Im Erkundungsbergwerk ruhen die Arbeiten, na und? Der Begriff Denkpause hat einen bösen Doppelsinn. Längst ist klar, dass trotz der drei- bis zehnjährigen Pause nicht ernsthaft nach Alternativen gesucht wird. Der Baustopp soll lediglich bewirken, dass wir müde werden und endlich Ruhe geben. Tun wir aber nicht!


Schon deshalb nicht, weil in Gorleben die betriebsbereite "Pilotkonditionierungsanlage" steht. Hinter dem harmlos klingenden Kürzel PKA verbirgt sich eine chemische Fabrik, die es an Giftigkeit mit einer Wiederaufarbeitungsanlage durchaus aufnehmen kann. "Konditionieren" bedeutet, abgebrannte Brennelemente "endlagerfähig" zu machen. Was aber heißt "endlagerfähig", wenn gar nicht klar ist, wie ein zukünftiges Endlager aussieht? Rot-Grün hat immer wieder betont, die PKA mache nur Sinn an einem Endlagerstandort. Fakt ist: Rot-Grün hat die PKA genehmigt! Mit jedem Castor wächst der Druck, diese Hexenküche in Betrieb zu nehmen. Das heißt: verseuchte Luft, verseuchtes Wasser. Ganz legal und unumkehrbar.



Dieser Konsens ist nicht unser Konsens. Unser Konsens heißt Widerstand. Der Begriff "Konsens" bedeutet eigentlich eine breite gesellschaftliche Übereinkunft. Daraus ist eine Kungelei geworden, bei der die Bevölkerung gar nicht erst gefragt wurde. Jetzt hat sich gezeigt, dass Rot-Grün die Kraft und die Ausdauer der Anti-Atom-Bewegung unterschätzt hat. Man hat uns zwar nicht gefragt, aber wir antworten trotzdem. Unser Konsens heißt konsequenter Widerstand. Auch beim nächsten Castor-Transport wird es wieder heißen: Tag X – wir stellen uns quer!



Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der BI Lüchow-Dannenberg

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