Kommentar: Aufschwung in Sicht?

Gerhard Schröder schloss seine Neujahrsrede mit den Worten: "Wir haben ein hartes, ein dramatisches Jahr hinter uns. In den vergangenen Wochen aber sehen wir viele Zeichen der Hoffnung. Hoffnung auf Frieden in Afghanistan … , Anzeichen für einen neuen Aufschwung." Neun Monate vor der Bundestagswahl klingen diese Worte des sozialdemokratischen Kanzlers eher wie Beschwörungsformeln eines Wunderheilers, nicht wie die wissenschaftlich begründete Diagnose eines Arztes.

Denn die Kriegsgefahr ist "in den vergangenen Wochen" auf dem indischen Subkontinent dramatisch gestiegen, von Somalia und Israel ganz abgesehen. Tatsächlich hat Schröder mit der deutschen Kriegsbeteiligung selbst Öl ins Feuer des Kaschmirkonflikts zwischen Indien und Pakistan gegossen.


Wie steht es aber um die "Anzeichen für eine neuen Aufschwung ? Nachdem Schröder bereits im November sein Wahlversprechen von 1998 auf Senkung der Arbeitslosigkeit auf unter 3,5 Millionen zurückgenommen hatte, ist es ratsam, die von ihm entdeckten "Anzeichen" kritisch zu überprüfen.


Da ist zunächst einmal der rasante Anstieg der Aktienkurse. Der DAX stieg seit seinem Tiefststand im September 2001 von 4809 auf 5285 Punkte Anfang Januar. Ähnliche Erholungen gab es in den Pariser, Londoner und New Yorker Börsen. Die Börse, so heißt es, sei eine Art Frühwarnsystem, das zukünftige Entwicklungen vorweg nehme.


Die aktuelle Erholung der Börsen beruht auf der Annahme eines Wirtschaftsaufschwungs im kommenden Frühjahr oder Sommer in den USA, der sich dann auf Deutschland und Europa übertragen wird.


Das Handelsblatt vom 28./29. 12. warnte jedoch vor einem verfrühten Optimismus. Die "US-Gewinne können der Börse nicht folgen", heißt es. Die Gewinne der US-Unternehmen seien bereits "seit fünf Quartalen hintereinander" gesunken, das habe es seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr gegeben.


Ohne eine deutliche Ertragswende bestehe die Gefahr, dass die gegenwärtige Kursrally als "neuerliche Spekulationsblase platzt".


Als positive "Anzeichen" eines bevorstehenden Wirtschaftsaufschwungs bewerten Börsianer (und wohl auch Schröder), dass die Konsumnachfrage in den USA als wichtigste Nachfragestütze im Dezember 2001 kaum noch zurückgegangen sei, dass die Amerikaner also trotz Massenentlassungen bald wieder mehr einkaufen werden.


Firmen und Konsumenten haben sich jedoch in den letzten Jahren so hoch verschuldet, dass sie die jetzige Wirtschaftskrise zur Sparsamkeit zwingen wird und daduch wird ein Nachfrageausfall von mehreren hundert Milliarden Dollar wahrscheinlich, der das staatliche Konjunkturprogramm der Regierung Bush in Höhe von ca. 100 Milliarden Dollar bei weitem "neutralisieren" wird..


Die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosengeld waren nach dem 11. September zunächst auf 500.000 in die Höhe geschossen, weil viele Unternehmer sich die Chance nicht entgehen lassen wollten, im Schatten der Antiterrorkampagne Entlassungen durchzuziehen, die sie ohnehin schon geplant hatten. Als Anfang Dezember die Zahl der Erstanträge auf 390.000 fiel, sahen die Optimisten an der Wall Street darin einen deutlichen Beweis, dass der Tiefpunkt der Rezession erreicht sei.


Anfang Januar erwies sich auch dieses "Anzeichen" als Strohhalm, denn in der letzten Dezemberwoche stieg die Zahl der Erstanträge plötzlich wieder auf 447.000.



Deutschland



Auch in Deutschland geht die Konjunktur vorerst weiter bergab. Im Dezember hat die Zahl der Arbeitslosen die magische Viermillionengrenze wieder erreicht. Im dritten Quartal von 2001 war das Bruttosozialprodukt auch in Deutschland ins Minus gerutscht, d.h. "Negativwachstum" erreicht.


Die Krise hat inzwischen auch den Dienstleistungssektor erreicht, es entstehen dort keine neuen Arbeitsplätze mehr, die zur Entlastung des Arbeitsmarktes beitragen könnten.


Schröder und die rot-grüne Regierung sind sehr wahrscheinlich im Wahljahr mit einem rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit konfrontiert. Finanzminister Eichel betont lauthals, dass es keine Rezession gebe, und dass er von seinem Sparkurs nicht abweichen werde. Bei einem Frankreichbesuch ermahnte Schröder seinen französischen Kollegen Jospin, dass die Ausgabendisziplin keinesfalls gelockert werden dürfe. Hintergrund für die deutsch-französischen Spannungen in der Wirtschaftspolitik ist, dass Jospins sozialistische Partei ein Sofortprogramm zur Konjunkturankurbelung in Europa gefordert hat.


Statt Arbeitsplätze im Gesundheitssektor, Bildung und Umwelt zu schaffen, beschränkt sich der "Aktionismus" von Rot-Grün darauf, das schrumpfende Arbeitsvolumen neu zu verteilen, indem immer neue Maßnahmen und Gesetze zur Förderung von Teilzeitjobs im Niedriglohnsektor erlassen werden.


Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften müssen jetzt den Kampf um höhere Löhne und gegen Massenentlassungen miteinander verbinden. Die letzten Jahre haben erneut gezeigt, dass Lohnverzicht keine Arbeitsplätze sichern hilft. Gerhard Schröders "Hoffnungen" auf eine Konjunkturaufschwung sind zur Zeit durch nichts gerechtfertigt. Auch für einen Kanzler der SPD gilt, dass es kein Recht auf Faulheit im Kampf gegen Arbeitslosigkeit gibt.

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