Börsencrash 1929

Wo man schaut, hört und liest – überall ist die Rede von Börse und Internet. Neue Technologien wie das Internet, so wird behauptet, würden anhaltendes Wachstum garantieren.

Durch die Aktie, so heißt es weiter, könnten wir alle von diesem neuen Kapitalismus profitieren. Und tatsächlich: Noch nie schien die Möglichkeit, durch Spekulation an der Börse reich zu werden, so nah.


Aber immer öfter sind auch kritische, oder zumindest fragende Stimmen zu hören, so der SPIEGEL: "Ist dies der schiere Wahnsinn, der nur in einem großen Crash enden kann, wie 1929, als schon einmal die Weltwirtschaft in die Krise stürzte? Oder ist es ein Aufbruch in ein neues Zeitalter, in dem die alten Maßstäbe nicht mehr gültig sind?"



Auch in den "Goldenen Zwanzigern" der USA, der Zeit direkt vor dem Großen Crash 1929, sprachen die Ökonomen und Bosse von einem Aufbruch in eine "Neue Ära".


Sie behaupteten, die Einführung neuer Technologien hätte dafür gesorgt, daß der Kapitalismus die "Kinderkrankheiten", das ständige Auf und Ab von Boom und Crash, hinter sich gelassen hat.


In diesem neuen Kapitalismus könne jeder reich werden. Der Amerikanische Traum – "vom Tellerwäscher zum Millionär" – entstand.


Die Veränderungen, die in den Zwanzigern durch technische Entwicklungen ermöglicht wurden, revolutionierten die gesamte Wirtschaft. Statt Kutschen wurden Lastwagen für den Warentransport eingesetzt, was die Produktion in großen Fabriken weit entfernt von den Käufern ermöglichte.


Telephon und Fernschreiber vereinfachten die gesamte Organisation von Produktion und Vertrieb. Kühlanlagen ermöglichten die Massenproduktion von verderblichen Nahrungsmitteln.


Dieselmotoren erlaubten Energiegewinnung an jedem beliebigen Ort. Und nicht zuletzt machte die Entwicklung des Fließbandes allgemeine Massenproduktion möglich.



Boom


Mit diesen neuen Technologien konnten Kapitalisten schneller und billiger produzieren als je zuvor. In immer größeren Fabriken konnten immer mehr Waren hergestellt werden – die handwerkliche Kleinproduktion wurde fast vollständig verdrängt.


Mit der Massenproduktion entstand auch ein Massenmarkt. Radios, Grammophone, Staubsauger hielten Einzug in Millionen von Privathaushalten. Eine Ware fand besonders großen Absatz – das Auto.


Die Unternehmer machten gigantische Profite. Und in Erwartung immer neuer Profite kauften sie immer neuere und größere Fabriken – so profitierte auch die Maschinenbauindustrie von dem Boom.



Sackgasse


Aber die Anarchie des Marktes trieb diese Entwicklung schnell in eine Sackgasse. Denn jeder Kapitalist wollte, getrieben durch Konkurrenz, möglichst viel von diesen neuen Märkten bedienen.


Jedes Unternehmen weitete seine Produktionskapazitäten auf Teufel komm raus aus. Unterm Strich konnte bald viel mehr hergestellt, als gekauft werden – es wird geschätzt, daß im Boomjahr 1928 in jeder Branche zwischen 25% und 75% mehr produziert hätte werden können, als der Markt aufzunehmen in der Lage war.


Die Nachfrage der Arbeiter nach Massengütern konnte nicht endlos steigen. Zwar sank die Arbeitslosigkeit in den USA auf 0,9% – aber die Löhne wurden nicht erhöht, weil die Kapitalisten um ihre Profite fürchteten.


So entstand eine klassische Überproduktion – trotz aller viel gepriesenen neuen Technologien. Die Waren konnten nicht verkauft werden, die Preise fielen und die Kapitalisten konnten ihre Maschinen nicht mehr voll auslasten.



Luxus


Aber noch schlug die Überproduktion nicht in eine allgemeine Wirtschaftskrise um. Die riesigen Profite, die die Bosse durch den Verkauf von Massenproduktionsgütern gemachte hatten, investierten sie nun nicht mehr in neue Fabriken, sondern in ihren privaten Luxus.


Die "goldenen Zwanziger" wurden geprägt durch diesen Luxus der Reichen. Der Schriftsteller Scott Fitzgerald bezeichnete diese Zeit als die "größte und teuerste Orgie in der Geschichte".


Das bewirkte, daß viele Kapitalisten in die Produktion von Luxusgütern investierten. Wieder schossen neue Fabriken aus dem Boden.


Auf dem Höhepunkt dieses Booms konsumierten 5% der Gesellschaft 48% aller Waren.


Doch es dauerte nicht lange, bis der Mechanismus der kapitalistischen Anarchie auch hier wieder eine Überproduktion geschaffen hatte. Bald gab es so viele Luxusartikel, daß selbst die dekadentesten Reichen sie nicht mehr verbrauchen konnten.



Aktien


Aber die Tatsache, daß die Profite bei Luxusartikeln genauso zurück gingen, wie im Maschinenbau und Massenkonsumbereich, wurde lange Zeit durch eine weitere neue Entwicklung überdeckt: den Börsenboom.


Der amerikanische Aktienindex, der Dow Jones, stieg seit Mitte der Zwanziger Jahre unaufhörlich. Während zwischen August und Oktober 1929 die Produktion um 5% einbrach, verdoppelte sich der Dow Jones von 191 auf 381 Punkte.


Irrsinniger Weise war gerade die Krise in der Produktion der Grund für diesen Boom. Je weniger Geld die Kapitalisten durch die Herstellung von Waren verdienen konnten, desto mehr lockten die schnellen Gewinne an der Börse.


Der Konkurrenzdruck sorgte dafür, daß jeder Kapitalist sich an dem profitablen Geschäft an der Börse beteiligte – ansonsten hätte er den Anschluß an die Konkurrenten verloren. Das ging soweit, daß sich Unternehmen mehr Geld liehen, um mehr Aktien kaufen zu können.


Solange immer mehr Leute, bis hin zu den Arbeitern, ihr Geld an die Börse brachten, stiegen die Kurse und flossen die Gewinne, die wieder in Aktien investiert wurden. Viele Unternehmen konnten mit diesen Gewinnen ihre Bilanzen in Ordnung halten – was die Voraussetzung dafür war, daß ihre Aktien auch in Zukunft stiegen.



Crash


Das war die Grundlage, auf der die US-Wirtschaft am im Herbst 1929 zusammenbrach. Es fing damit an, daß Clarence Hatry, ein Hersteller von Spielautomaten, seine Pleite verkündete.


Diese Pleite zwang die Spekulanten, die ernsthaften Ausmaße der Überproduktionskrise zu erkennen – schlagartig brach eine Panik aus. Die Aktien von allen Unternehmen, die von der Pleite mitgerissen werden konnten, wurden verkauft.


Die Kapitalisten, die sich Aktien von diesen Unternehmen gekauft hatten, verloren den größten Teil ihres Geldes. So verloren auch ihre Aktien drastisch an Wert.


Dies ganze fand seinen Höhepunkt am 29. Oktober. In einer Massenpanik unter den Aktionären wurden an einem Tag 16.000.000 Aktien verkauft. Die Preise purzelten – der Dow Jones fiel von 391 auf 198 Zähler. Milliardenwerte wurden in Minutenschnelle vernichtet.


Alle Unternehmen, die nur noch durch den Wert ihrer Aktien am Leben gehalten wurden, gingen pleite. Alle, die Schulden aufgenommen hatten, um Aktien zu kaufen, konnten sie nicht mehr zurückzahlen.


Davon waren wiederum die Banken betroffen, die ihr verliehenes Geld nicht zurückbekommen konnten. Nach dem Crash waren 5.000 regionale und vier der größten nationalen Banken der USA pleite.



Ausweitung


Die Banken versuchten panisch, so viele ihrer vergebenen Kredite wieder hereinzubekommen, wie möglich. Dadurch wurde auch dem letzten Rest profitabler Unternehmen die Grundlage entzogen.


Schon vorher waren die Fabriken bei weitem nicht ausgelastet – aber zwischen 1929 und ‘31 fiel die industrielle Produktion noch mal um 28%.


Über die Banken verbreitete sich die Krise auf die ganze Welt. Als die US-Banken verzweifelt versuchten, ihre an europäische Unternehmen verliehenen Gelder wiederzubekommen, brach auch da die Krise voll aus – und entwickelte sich zur Weltwirtschaftskrise.



Elend


Wie immer versuchten die Bosse die Krise ihres Systems auf die Arbeiter abzuwälzen. Die Arbeitslosigkeit stieg in den USA innerhalb kürzester Zeit von 129.000 auf 7 Millionen.


Das Elend für die große Mehrheit der Bevölkerung erreichte unvorstellbare Ausmaße.


Löhne, Renten, Krankenversicherungsleistungen, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – überall kürzten die Regierungen in der Hoffnung, den eigenen Kapitalisten einen Vorteil vor der ausländischen Konkurrenz zu verschaffen.


Aus dem selben Grund schufen die Großmächte Handelsblöcke und schützten sie mit Importzöllen. In mehreren europäischen Ländern profitierten faschistische Parteien von der Kombination aus Kürzungen, Nationalismus und Rassismus.


Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust waren Ergebnis dieser Entwicklung.



Heute


Die Geschichte warnt uns, den begeisterten Vertretern des globalisierten Kapitalismus und der Börsenökonomie nicht zu trauen.


Selbst der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman sieht "unheimliche Ähnlichkeiten zwischen dem, was heute am US-Aktienmarkt geschieht, und dem, was in den zwanziger Jahren in den USA passiert ist."


Auch heute können fast alle Konzerne bei weitem nicht alles verkaufen, was sie produzieren. Und auch heute produzieren sie bei weitem nicht so viel, wie ihre Maschinen es hergeben würden – wir befinden uns bereits in einer Überproduktionskrise.


Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein moderner Clarence Hatry pleite geht und eine Krisenspirale die Weltwirtschaft in den Abgrund reißt. Denn das irrsinnige System, in dem Überfluß zu Krisen und Krieg führt, beherrscht immer noch unser Leben.


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