Geschichte von Enttäuschungen

Häufig wird das Nachgeben vor dem Druck der Bosse mit der Globalisierung
erklärt. Das Kapital sei flexibel, so das Argument, und suche sich
die günstigsten Investitionsbedingungen aus. Ein Blick in die Geschichte
zeigt aber: Seit jeher haben SPD-Regierungen, die mit großen Hoffnungen
ins Amt gewählt wurden, dem Druck der Bosse nachgegeben.

Die erste SPD-Regierung ist nach der Novemberrevolution 1918 mit dem
Versprechen angetreten, die Wirtschaft zu sozialisieren und die Macht der
Militärs und Industriellen zu brechen. Tatsächlich hat die SPD
aber mit allen Mitteln versucht, genau diesen Kreisen zu beweisen, daß
sie "regierungsfähig" sei: Regelmäßig setzte die SPD die
Reichswehr und reaktionäre Freicorps gegen streikende Arbeiter ein
– Tausende Arbeiter wurden erschossen. Nachdem die Arbeiterbewegung geschlagen
war, verlor die SPD die Regierung an bürgerliche Parteien.

1928 gab es einen massiven Linksschwenk nach einer Welle erfolgreicher
Streiks. Die SPD wurde strahlender Sieger der Reichstagswahlen. Rudolf
Hilferding vom linken Flügel wurde zum "marxistischen" Finanzminister.
Er forderte die sozialistische Planung der Wirtschaft durch den Staat und
die Abschaffung der Konkurrenz privater Unternehmen.

Die Bosse waren mit diesen Vorstellungen nicht einverstanden und machten
eine Pressekampagne gegen Hilferding. Kaum ein halbes Jahr im Amt drängte
der Parteivorstand Hilferding aus dem Kabinett und ersetzten ihn durch
den Industrielobbyisten Moldenhauer.

Wirtschaftskrise

Das Hauptargument der Bosse war, daß Hilferding am Rückgang
des Wirtschaftswachstums schuld sei. Die SPD beeilte sich, alle von den
Bossen gewünschten Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise
durchzuführen.

Als die SPD zwei Jahre später sah, daß sie bei weiteren
Kürzungen die nächsten Wahlen vollständig verlieren würde,
brach die Regierung auseinander. Der neue Reichskanzler Brüning regierte
ohne oder sogar gegen das gewählte Parlament. Er kürzte per Gesetz
die Löhne, zerschlug die Sozialversicherungen und schwächte die
Gewerkschaften – und die SPD tolerierte ihn, anstatt ihre Mitglieder gegen
diese asoziale Politik zu mobilisieren. Diese katastrophale Politik ebnete
Hitler den Weg zur Macht. Hunderttausende Sozialdemokraten, Kommunisten
und Gewerkschafter bezahlten dafür in den KZ mit ihrem Leben.

Die nächste SPD-Regierung war die Regierung Brandt. Sie war angetreten
unter dem Slogan "Mehr Demokratie wagen". Enorme Hoffnungen einer ganzen
Generation des Aufbruchs orientierten sich auf Brandt – in dieser Zeit
baute die Regierung das Hochschulwesen aus und führte einige Reformen
im Ausbildungsbereich durch.

Aber als 1974 die erste Weltwirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg
hereinbrach, bemühte sich die Regierung, den Bossen alles recht zu
machen. Brandt meinte: "Wir dürfen die Kuh nicht schlachten, die wir
melken wollen!" Aber Brandt schaffte es nicht, die Gewerkschaften zu einer
Politik der Mäßigung zu zwingen – die ÖTV erfocht 1974durch
Streiks 11% Lohnerhöhung. Danach benutzte die SPD-Rechte eine eigentlich
unbedeutende Affäre, um Brandt durch den "Wirtschaftskanzler" Schmidt
zu ersetzen.

Seine Politik beinhaltete soziale Kürzungen, wie beim Kindergeld,
und gleichzeitig Aufrüstung und Atomwaffenstationierung in Deutschland,
Hetze gegen Linke in SPD und Gewerkschaften und Berufsverbote für
Sozialisten.

Angesichts dieser Bilanz wird deutlich, daß nicht die Globalisierung,
sondern die politische Strategie des Parlamentarismus immer wieder zu Niederlagen
führt.

Dieser Beitrag wurde unter Sozialdemokratie und Reformismus, SPD veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.