Palästina: Die Mauer muß weg

Shiko Behar und Michael Warschawski, zwei israelische Wissenschaftler, argumentieren für einen gerechten Frieden im Nahen Osten.

Stichwort: Das Genfer Abkommen

Palästina wird nationale Souveränität zugestanden – jedoch kein eigenes Militär. Israel darf alle nach 1967 im besetzten Westjordanland errichteten Siedlungen behalten und legalisieren. In diesen Siedlungen leben insgesamt rund 300.000 Menschen. Die Palästinenser sollen eine gleichwertige territoriale Entschädigung erhalten.
Die palästinensischen Verhandlungsführer übertrugen die Entscheidung über das durch die UN verbriefte Rückkehrrecht für die nach 1948 geflohenen 4,1 Millionen palästinensischen Flüchtlinge an Israel.

Shiko Behar ist Leiter des Alternative Information Center (AIC), einer israelisch-palästinensischen Organisation mit Sitz in Jerusalem und Beit Sahour. Michael Warschawski ist stellvertretender Vorsitzender des AIC.

Das Mitte Oktober veröffentlichte Genfer Abkommen soll die Rahmenbedingungen für einen israelisch-palästinensischen Frieden legen. Es dient jedoch nicht als offizielle Grundlage weiterer Verhandlungen. Trotzdem ist die Initiative ein Erfolg: Sie hat sowohl bei Israelis als auch bei Palästinensern Hoffnungen geweckt, aber auch lautstarken Protest hervorgerufen. Dabei hat die israelische Regierung das Papier ablehnt und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hat es nicht formal angenommen. Im Grunde genommen ein Neuaufguss von Präsident Clintons Friedensplan aus dem Jahre 2000 schreibt das Abkommen eine Reihe von elementaren Grundsätzen vor, auf denen ein endgültiger Friedensvertrag beruhen soll.

Die Lehren von Oslo

Zur Bewertung des jetzigen Vertrages sind die Erfahrungen mit dem 1993 gestarteten Osloer Friedensprozess und seinem Zerfall in den späten 90er Jahren zu berücksichtigen.
Viele hielten Oslo für den gerechtesten Frieden, der eben möglich ist. Sie betrachteten nur den Text des Abkommens und kamen zu dem Ergebnis, dass der Vertrag das Mindestmaß der Hoffnungen der Palästinenser erfülle. Obschon Oslo nicht einmal annähernd diese Ansprüche erfüllte, hätte es doch einen bescheidenen Ausgangspunkt für einen Frieden darstellen können, der die grundsätzlichsten Bedürfnisse der Israelis und der Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland sicherstellte – vorausgesetzt, dass Israelis und Palästinenser den Text gleichermaßen interpretierten und die Verhandlungen mit gutem Willen führten. Bedauerlicherweise war dies ganz und gar nicht der Fall.

Während die palästinensischen Unterhändler ein echtes Interesse daran zu haben schienen, einen "historischen Kompromiss” auf Grundlage der UN-Resolution 242 zu erreichen und dadurch 78 Prozent ihrer ursprünglichen Ansprüche auf palästinensisches Territorium aufzugeben, nutzten israelische Politiker den Osloer Text, um ihre koloniale Kontrolle über die Palästinenser und ihr Land zu festigen. Während des gesamten "Friedensprozesses” wurden bestehende Siedlungen ausgebaut, neue errichtet und die Zahl der Siedler verdoppelt. Das heißt, Premierminister Yithak Rabbin und Shimon Peres beabsichtigten von Anfang an, das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen dem besetzenden israelischen Staat und der besetzten palästinensischen Gesellschaft dazu zu nutzen, der PA eine Friedensordnung aufzudrängen, die auf fortgesetzter israelischer Vorherrschaft beruht.

Da die Genfer Abkommen aus dem gleichen politischen Lager in Israel stammt wie der Osloer Vertrag, hätten Beilin und seine Mitstreiter die politische Tragfähigkeit ihres neuen Genfer Prozesses erhöhen können, wenn sie ihr Scheitern in den 90er Jahren eingestanden hätten. Stattdessen enthalten sie der israelischen Öffentlichkeit ein weiteres Mal eine Erklärung für die Intifada vor, die über die übliche Behauptung, die Palästinenser hätten "sich für Gewalt entschieden”, hinausginge.

Was sollte getan werden?

Wenn ihnen wirklich an einem tragfähigen und dauerhaften Frieden gelegen ist, müssen die israelischen Politiker auf kurz oder lang einen Friedensplan vorlegen, dem nicht nur die Elite der Palästinenser zustimmen kann. (…)

Zuerst müssen kritische Israelis der israelischen Öffentlichkeit erklären, dass der Konflikt nicht aus palästinensischem Terror und Fanatismus gespeist wird, sondern seine Ursache in der Landnahme und Besatzung durch Israel hat. Israels Verantwortung in diesem Konflikt muss auch von Israelis entlarvt werden. Den Palästinenser werden unter der Besatzung durch die koloniale Politik Israels grundlegende politische und Menschenrechte vorenthalten. Das muss in jedem Abkommen, das einen gerechten Frieden anstrebt, angesprochen werden müssen.

Das Rückkehrrecht ist ein grundlegendes Menschenrecht. Die Bereitschaft der Palästinenser, es in den Verhandlungskatalog aufzunehmen und gleichzeitig Verständnis für die demographischen Sorgen Israels aufzubringen, muss als ein großzügiges Angebot verstanden werden. Kritische Israelis müssen fragen, wie sie von den Palästinensern die Aufgabe ihres Rückkehrrechtes verlangen können, bevor Israel dieses auch nur als Recht anerkannt hat.
Außerdem ist es nötig, dass kritische Israelis und letztlich israelische Politiker eine positive Vorstellung eines Friedens verbreiten, der auf Koexistenz und menschlicher Gleichheit beruht. Eine Auffassung von Frieden, wie sie von Oz [Romanautor und führend in der linkszionistischen israelischen Friedensbewegung, die Red.] und seinen Genfer Freunden vertreten wird, ist rigoros abzulehnen. Nicht nur weil sie moralisch unhaltbar ist, sondern weil ihre Vorstellung niemals funktionieren kann, solange sie die Palästinenser als existentielle Bedrohung verstehen und hinter einer Mauer verschwinden zu lassen wollen.

Wie schon bei dem 1993er Osloer Abkommen ist auch im Falle des Genfer Abkommens der politische Kontext weit wichtiger als der Vertragstext (…)Originalausgabe des Artikels

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