Kommentar: Die zwei Hochzeiten der PDS

Selten standen die politischen Zeichen für die PDS so günstig wie jetzt: Schröders Agenda 2010 hat SPD-Anhänger empört. Der Bedarf nach linken Alternativen ist groß.
Trotzdem befindet sich die PDS in der Krise. Auch der Parteitag von Chemnitz wird daran nichts ändern. Denn dort hat die Parteiführung um Lothar Bisky die Ursache der Krise weder benannt noch behoben: Der Sozialabbau durch die PDS in den Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern.
An radikaler Rhetorik herrschte auf dem Parteitag kein Mangel. Der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow sagte in seinem Einleitungsrede: "Die Welt befindet sich in einem Prozess ungeheurer Veränderungen, leider nicht zum Guten. Kriege sind wieder Mittel der Politik, Armut greift wie noch nie um sich, Ausbeutung und Sozialabbau werden in brutalster Weise betrieben" Zu Schröders Agenda 2010 hieß es: "Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde in so kurzer Zeit ein so tiefgreifender Sozialabbau betrieben."
Auch der Aufschwung von Bewegung auf der Straße wurde diskutiert. Modrow: "Einen Grund zur Hoffnung gibt das Anwachsen beachtlicher Gegenkräfte zur imperialistischen Entwicklung. Allerdings stehen die linken politischen Parteien dabei mehr oder weniger am Rande, was auch für die PDS gilt!"
Die PDS steht nicht ohne Grund "am Rande" der Bewegung auf der Straße: Vieles von dem, was jetzt Menschen auf die Straße treibt setzt die PDS in Koalitionen mit der SPD durch.
Beispiel Berlin: Hier regiert seit fast zwei Jahren ein rot-roter Senat: Bereits während der Koalitionsverhandlungen, die der Regierungsübernahme im Januar 2002 voraus gingen, waren Pläne bekannt geworden, durch Stellenabbau und Gehaltssenkungen die Personalkosten der Stadt bis zum Jahr 2006 um eine Milliarde Euro zu senken
Nach dem Scheitern der Verhandlungen über einen solchen "Solidarpakt" reagierte der Senat im Januar 2002 mit einer Arbeitszeitverlängerung für die Beamten von 40 auf 42 Wochenstunden und dem Austritt aus dem öffentlichen Arbeitgeberverband, um die damit verbundenen Flächentarifverträge zu unterlaufen.
Gerade drei Monate im Amt, beschloss der Senat im März 2002 drastische Maßnahmen gegen Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose. Die Gelder, die der Senat für Sozialhilfeausgaben an die Bezirke überweist, wurden um 178 Millionen Euro für 2002 und 138 Millionen Euro für das Jahr 2003 gekürzt.
Gleichzeitig mit den Angriffen auf Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose wurde auch der Kahlschlag im Bildungs- und Erziehungsbereich beschlossen. Die Hälfte der 852 Kindertagesstätten der Stadt soll bis zum Jahr 2006 privatisiert werden. 1100 der 15.000 Erzieherstellen wurden in diesem Bereich gestrichen.
Besonderes Aufsehen erregte die Entscheidung der beiden Regierungsparteien im Januar 2003, die Anschlussförderung für den sozialen Wohnungsbau mit sofortiger Wirkung einzustellen. Betroffen davon waren rund 25.000 Sozialwohnungen.
Der neueste Anschlag sind Personalkürzungen bei den Berliner Verkehrsgesellschaften. Über die Hälfte der beinahe 13.000 Arbeitsplätze soll bis spätestens 2007 wegfallen. Bei den verbleibenden 6.000 Mitarbeitern will der Vorstand die Löhne und Gehälter um 30 Prozent kürzen.
Gleichzeitig sollen die Beschäftigten mehr Leistung erbringen. Geplant ist, mit weniger als der Hälfte des heutigen Personals 80 Prozent der derzeitigen Leistung aufrecht zu erhalten.
Dieser mühelos fortsetzbaren Liste von Sozialkürzungen und Einsparungen steht ein stetiger Finanzfluss in die Kassen der Bankgesellschaft Berlin gegenüber. Die Bankgesellschaft ist durch Spekulationen bankrott gegangen – seitdem kommt di Berliner Bevölkerung für die Schulden auf.
Kein Wunder, dass in Berlin die Krise der Partei am tiefsten ist. Hier hat die PDS ihr letztes Wahlergebnis von über 22 Prozent in den Umfragen mittlerweile halbiert. Ganze 2 Prozent der Berliner trauen der PDS eine Lösung der Probleme der Stadt zu. Viele Berliner Sozialisten verlassen frustriert die Partei.
Der Chemnitzer Parteitag hat eine Fortführung der "Doppelstrategie" von außerparlamentarischen Protest und Regierungsbeteiligung beschlossen: PDS-Mitglieder sollen auf der Straße gegen Politik protestieren, die ihre Genossen im Parlament umsetzen. Dieser Widerspruch wird die Mobilisierungsfähigkeit der PDS weiter lähmen – die Partei kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Um effektiv Bewegung aufzubauen, muss die PDS aus den Regierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aussteigen – ansonsten sind alle Verdammungen des Sozialabbaus Lippenbekenntnisse.

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