Wie die Gewerkschaften gegen Schröder gewinnen können

Rot-Grün treibt den Sozialabbau voran, doch die Gewerkschaftsführung bleibt passiv. Ein Kampf um die Politik in den Gewerkschaften ist nötig, um die Angriffe zurückschlagen zu können.

Das Rote Gewerkschaftsbuch

Mit dem "Roten Gewerkschaftsbuch” haben August Enderle, Heinrich Schreiner, Jakob Walcher und Eduard Weckerle eine bis heute gültige Beschreibung der Gewerkschaftsbewegung verfasst.
Alle vier waren Sozialdemokraten und aktive Gewerkschafter. Nach der deutschen Revolution 1918 schlossen sich drei von ihnen der KPD an, die sie Ende der 20er nach der Stalinisierung – zum Teil unter Zwang – wieder verließen.
Enderle, Schreiner, Walcher und Weckerle mussten wie Millionen andere miterleben, wie die Wirtschaftskrise 1929 ihr Leben zerstörte und die SPD, unterstützt von den Gewerkschaften, eine Kürzung nach der anderen durchsetzte.
In dieser Situation führten die Autoren mit vielen anderen einen harten Kampf um die richtige Strategie in den Gewerkschaften. Aber die tragische Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung in Sozialdemokraten und Kommunisten konnten sie nicht überwinden. Der Kampf gegen die Krise des Kapitalismus endete 1933 mit der Machtübernahme des Faschismus, der die Arbeiterbewegung in Deutschland erstickte. Erst nach 1968 legten Linke das Buch erneut auf, weil sich die Analyse aus der Weimarer Republik auf die Politik unter den SPD-Regierungen der 70er anwenden ließ. Auch heute können Antikapitalisten aus der Erfahrung schöpfen, wenn es darum geht, Widerstand gegen Schröders Sozialabbau und die Passivität der Gewerkschaftsführung aufzubauen.


August Enderle, Heinrich Schreiner, Jakob Walcher, Eduard Weckerle: Das rote Gewerkschaftsbuch, 1932 / 1980. In Internet-Antiquariaten, z.B. www.zvab.com oder auf politischen Flohmärkten finden sich viele gut erhaltene Ausgaben.


Deutschland 2003: Die Gewerkschaften sind gefordert wie nie seit 1945. Die Massenarbeitslosigkeit wird 2003 im Jahresschnitt einen Rekord nach der Wiedervereinigung erreichen. Mit dem Kürzungsprogramm Agenda 2010 betreibt die Regierung Sozialabbau in bisher ungekanntem Ausmaß.
Die Unzufriedenheit darüber ist groß. Bei der letzten Landtagswahl in Bayern verlor die SPD hunderttausende Wähler. Aber auch die CSU konnte diese Enttäuschten nicht für sich gewinnen.
Jetzt hat die Gewerkschaft IG Metall eine bundesweite Kampagne gegen Agenda 2010 angekündigt. In vielen Städten und Gemeinden haben sich Bündnisse gebildet, die den Sozialabbau stoppen wollen, in denen Gewerkschafter mitarbeiten. Andere Gewerkschaften wollen mit Rot-Grün zusammenarbeiten.
Das widersprüchliche Bild entsteht, weil die Gewerkschaften selbst widersprüchliche Organisationen sind. In den Augen ihrer Mitglieder dienen sie dazu, für bessere Lebensbedingungen zu kämpfen. Von der anderen Seite üben ihre Verhandlungsgegner Druck aus: Unternehmer und Regierungen erwarten Zusammenarbeit im Interesse der Gewinne.
Während ihrer Gründungszeit wurden die freien Gewerkschaften als Vertretungen der Arbeiter überall von den Regierungen verboten oder in ihrer Arbeit behindert. In vielen Staaten der Erde gilt das auch heute noch, wie in Kolumbien oder in China. Wo Gewerkschaftsarbeit erlaubt ist, sind Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkannt und zu Institutionen geworden.
Die alltägliche Arbeit in den legalen Gewerkschaften erledigen vor allem bezahlte Funktionäre und Angestellte – nicht die Millionen von Arbeitern, deren Interessen sie vertreten sollen. Das verändert die Stellung der Funktionäre und Angestellten, wie die Autoren des "roten Gewerkschaftsbuches" in den 30er Jahren schrieben.
Sie waren selbst linke Gewerkschafter in führenden Positionen. Ihr Buch hilft, die Gewerkschaften zu verstehen.
"Die Gewerkschaftsbeamten, insbesondere die Gewerkschaftsführer, stehen mehr oder weniger ganz anders im Wirtschafts-, Staats- und Gesellschaftsleben als ein einfacher Arbeiter und Angestellter. Sie verwalten zwar auftragsgemäß und berufsmäßig die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten; aber dies geschieht von einer höheren gesellschaftlichen Warte aus."
Ihr Alltag bedeutet, Verhandlungen mit Arbeitgebern und Regierungen zu führen, um die Lebensbedingungen ihrer Mitglieder zu verbessern.
Wächst die Wirtschaft, kann diese Strategie durchaus Erfolge zeigen. Eine Machtdemonstration in Form eines Streiks oder einer Demonstration reicht manchmal aus, um einen Tarifvertrag oder neue Sozialleistungen herauszuholen. Regierung und Unternehmer wollen lange Konflikte vermeiden.
In Krisenzeiten wie heute sieht die Sache ganz anders aus. Die weltweite Konkurrenz verschärft sich.
Um ihre Profitraten zu steigern, greifen die Bosse die Einkommen und den Lebensstandard der Arbeiter hart an.
Die Strategie, einen Ausgleich zwischen den Bossen und den Arbeitern zu suchen, wird zum Problem. Der Teil der Führung, der das weiterhin probiert, verteidigt nicht mehr konsequent den Lebensstandard, sondern versucht, die Belastung möglichst gering zu halten – doch die Verschlechterungen des Lebensstandards bleiben. Dabei sind kämpferische Gewerkschaften gerade in Zeiten der Krise unverzichtbar. Das "rote Gewerkschaftsbuch":
"Die Unternehmer haben immer das Bestreben, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitern direkt, ohne fremde Einmischung festzulegen. Denn so können sie ihre wirtschaftliche Übermacht gegenüber dem einzelnen Arbeiter am besten zur Geltung bringen und faktisch dem nur auf Verkauf seiner Arbeitskraft angewiesenen Arbeiter die Bedingungen diktieren. Die Arbeiter dagegen können den Unternehmer gegenüber in der Regel nur dann eine Macht zur Geltung bringen, wenn sie vereint, kollektiv, auftreten. Denn so nehmen sie dem Unternehmer die Möglichkeit, einen Arbeiter gegen den anderen auszuspielen. Dazu benötigen Arbeiter aber eine Organisation, die Gewerkschaft."
Viele Gewerkschaftsführer glauben, dass der Kapitalismus im Prinzip funktionieren kann. Darum nehmen sie Kürzungen hin – in der Hoffnung auf baldige Erholung. Doch es erholen sich nur die Profite. Um ihre Mitglieder zu verteidigen, müssten die Gewerkschaftsführer ohne Rücksicht auf die Bosse kämpfen – denen sie aber aus der Krise helfen, weil sie glauben, dass später etwas für die Arbeiter abfällt. Das ist das Dilemma der Gewerkschaften.
Auch die Lähmung gegenüber dem Sozialabbau der Regierung hat politische Ursachen: "Was sich in den freien Gewerkschaften herausgebildet hat, ist nicht lediglich eine unvermeidliche Folge der Apparatisierung, sondern in erster Linie das Ergebnis der reformistischen, den kapitalistischen Staat bejahenden Politik und Tätigkeit der Gewerkschaften unter ihrer sozialdemokratischen Führung."
Um aus den Gewerkschaften echte Kampforganisationen auch in Krisenzeiten zu machen, braucht es einen Kampf um eine andere Politik. Entscheidend für die dauerhafte Aktionsfähigkeit der Gewerkschaften ist, ob sich eine antikapitalistische Strategie durchsetzt.
Die Gewerkschaftsführer, die mit der SPD verbunden sind, richten ihren politischen Kampf auf das Parlament aus. Sie vernachlässigen den "Einsatz der Arbeitermacht in direkten, außerparlamentarischen Massenaktionen." Die Gewerkschaftsmitglieder werden so entmachtet. Dagegen müssen aktive Gewerkschafter sich wehren.
"Wenn die Gewerkschaften… ihre speziellen Aufgaben, die Sicherung und Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen, erfüllen wollen, dann muss sich ihr Kampf weniger gegen die einzelnen Unternehmer als gegen den Staat, gegen die Regierung und schließlich gegen das kapitalistische System selbst richten. Das aber ist politischer Kampf."
Die Gewerkschaften sind riesengroß, und reformistische Politik scheint den Apparat zu beherrschen. Wie können Antikapitalisten in den Gewerkschaften oder im Bündnis mit linken Gewerkschaftern eine außerparlamentarische Strategie durchsetzen?
"Die Gewerkschaftsopposition darf nicht darauf warten, bis das etwa mit Hilfe der Propaganda und des Massendrucks gelungen ist, sondern alle revolutionären Gewerkschafter müssen heute schon jeden möglichen Anlass, jeden geeigneten Lohn- und Tarifkonflikt benutzen, um den Kampf über den nur-gewerkschaftlichen Rahmen hinaus zum politischen überzuleiten."
Kein Gewerkschaftsführer kann auf Dauer gegen die Stimmung in den eigenen Reihen Politik machen. Mitglieder und Funktionäre der IG Metall haben die Verwaltungsstellen und schließlich die Bundeszentrale unter Druck gesetzt, gegen Agenda 2010 zu kämpfen. Darauf musste der Chef Peters reagieren.
Im Bündnis mit diesem Flügel können Antikapitalisten kämpfen, doch es wäre falsch, sich auf ihn zu verlassen.
Zum Kampf um den Antikapitalismus in den Gewerkschaften gibt es keine Alternative, ansonsten drohen immer wieder faule Kompromisse mit den Bossen oder der Regierung. "Darum bei aller Kritik am Bürokratismus nicht nur darüber jammern und damit die eigene Passivität entschuldigen, sondern Hand angelegt, alle Kräfte der Opposition ans Werk."
Dabei können auch Aktivisten außerhalb der Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag leisten, wenn sie die Bewegung mit aufbauen, die enttäuschten Gewerkschaftern neue Hoffnung geben kann, dass eine andere Welt möglich ist.

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